Nach fünf Minuten droht „Hart aber fair“ schon wieder vorbei zu sein: „Gibt es in dieser Runde jemanden, der das um eine Nuance anders sieht?“, fragt Moderator Frank Plasberg seine fünf Teilnehmer. Gerade gab es eine erste Interpretation der Bilder des Tages: Wladimir Putin hat der Nato und der Ukraine vorgeworfen, aggressiv zu sein. Er hat Kriegsrhetorik ausgespuckt. Aber er hat nichts von all dem Schlimmen getan, was erwartet wurde: keine Generalmobilmachung. Keine Kriegserklärung an die Nato. Und schon gar kein Druck auf den Roten Knopf. Sieht das jemand anders? Keiner der Teilnehmer meldet sich. Eigentlich könnte Plasberg jetzt den Laden zumachen.
Erwartet hatte seine Redaktion anderes vom Tag. Deswegen hatte sie die Sendung auch unter das vielversprechende Motto gestellt: „Siegesparade am Rande des Abgrunds: Was macht Russland jetzt?“ Das mussten sie runterfahren: „Putins Parade: Ist keine Drohung schon Grund zur Hoffnung?“, heißt das downgegradete Debattenthema jetzt. Also das Thema. Denn eine richtige Debatte gibt es nicht her. Das merkt Plasberg früh.
Diese Logik muss man nicht verstehen. Denn eigentlich geht es nicht darum. Was Kiesewetter wirklich sagen will: Dass er am 8. Mai eine falsche Prognose abgegeben habe, halte ihn nicht davon ab, am 9. Mai die nächsten Prognosen abzugeben. Er ist ohnehin vor allem darum in der Sendung, um stolz zu erzählen, dass er mit Friedrich Merz in der Ukraine war und wie gut die ihnen dort zugehört hätten. Ein zu einem Fernsehauftritt geadelter Dia-Abend.
Die Sendung ist am Ende. Mehr als eine Stunde zu früh. Zu Plasbergs Glück erbarmt sich Wolfgang Merkel: „Uns steht ein langer, blutiger Krieg bevor“, sagt der Politikwissenschaftler. Fragt, wie lange der Krieg eigentlich dauern soll. Und warnt, der Westen dürfe Putin nicht an die Wand drücken, denn das würde Reaktionen provozieren. Gut gemeinte, unglücklich ausgedrückte Aussagen eines deutschen Geisteswissenschaftlers. So könnte man es eigentlich stehen lassen.
Es ist ein schlechtes Schauspiel: Roth ist als politischer Scharfmacher bestenfalls mittelmäßig; Merkel als russlandtreuer Kriegshetzer eine glatte Fehlbesetzung. Ein besorgter Wissenschaftler, der nicht versteht, sich glücklich auszudrücken. Die Älteren werden sich an den Schröder-Kirchhof-Wahlkampf von 2005 erinnern.
In einer guten Passage befragt Plasberg die Militärexpertin Claudia Major. Sie gibt einen Überblick über Putins Waffenarsenal. Dass dieses, so nah an der deutschen Grenze, durchaus bedrohlich ist, wird auch für die nachvollziehbar, die vielleicht die Details nicht verstehen.
Zu diesem Nebel trägt auch der ausgemachte Bösewicht Merkel bei. Ständig redet er von den Verhandlungen, die „wir“ führen müssten. Zwischendrin erinnert ihn Major daran, dass diese Verhandlungen die Ukraine führen muss. Und dass es deren Entscheidung sei, wie viele Eingeständnisse des Aggressors Russland sie in einem Friedensvertrag verewigen will. Ein seltener Moment der Klarheit.
Später blendet die Redaktion den Online-Kommentar einer Zuschauerin ein: Die Debatten um einen möglichen Atomkrieg machten sie wahnsinnig. Untaugliche Diskussionen wie diese bei „Hart aber fair“ tragen zu solchem Alarmismus bei. Da ist ein Merkel, der ständig von „wir müssen verhandeln“ redet. Für den Geisteswissenschaftler ist der Krieg etwas Abstraktes, der wie irgendeine Theorie zu Ende gedacht werden müsste. Und auf der anderen Seite stehen Politprofis wie Roth, die keine Gelegenheit auslassen, ihren Text an den Mann zu bringen. Es ist, als ob sich zwei in unterschiedlichen Sprachen streiten, vor einem Dritten, der wiederum eine ganz andere Sprache spricht. Am Ende ist es Getöse. Mit wenig Erkenntnisgewinn. Bestenfalls gut für ein wenig Stimmung und um sich den Montagabend mit Bewegtbild zu vertreiben.
Ganz am Ende fordert Plasberg seine Gäste nochmal zu Prognosen auf. Ja. Er weiß, die bringen nichts. Aber andererseits füllen sie seine Sendezeit. Und das ist schließlich sein Auftrag. Die Journalistin Gesine Dornblüth war übrigens auch da und hatte die gleiche Meinung wie Roth, Major und Kiesewetter.