In einem Buch über die Wirtschaftsgeschichte Deutschlands wird das Jahr 2009 eine zentrale Rolle spielen. In dem Jahr gab es laut Statistischem Bundesamt hierzulande erstmals mehr Studenten als Lehrlinge. 20.000 junge Menschen betrug damals die Differenz. Mittlerweile sind es weit mehr: 2,9 Millionen Studenten waren es im Wintersemester 2020/21. Und 1,3 Millionen junger Menschen befinden sich in einer Lehre.
Mit Folgen für die Kunden: Neun Wochen müsse man derzeit im Schnitt auf einen Handwerker warten, sagte der Fachverband ZDH gegenüber HR Info. Im Baubereich müsse man noch länger warten: im Schnitt 15 Wochen. Wobei dringende Fälle eher behandelt würden. Wer daher planbare Aufgaben vergeben wolle wie etwa den Bau einer Terrasse, der sollte dies möglichst frühzeitig angehen. 160.000 Stellen waren laut Agentur für Arbeit 2019 im Handwerk unbesetzt. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer geht von 250.000 Stellen aus. Viele Betriebe melden ihre offenen Stellen der Agentur gar nicht mehr. Offensichtlich gehen sie nicht davon aus, dass sich über die Agentur der Bewerber meldet, den sie gebrauchen können.
Denn die Qualität ist ein Problem. Selbst Meister, die händeringend suchen, nehmen nicht jeden. Nachvollziehbar: Was will zum Beispiel ein Maler mit einem jungen Menschen, der in neun beziehungsweise 13 Jahren Schule nicht gelernt hat, wie er den Inhalt einer Fläche ausrechnen kann? „Bei mir bewerben sich Jugendliche, die können nicht mal Dezimeter in Zentimeter umrechnen“, beklagte sich Erwin Kosytra jüngst in der BZ. Er ist Inhaber der Alu-Stahl Metallbau in Berlin-Pankow. Neun von zehn Bewerbern scheiterten an der Theorie. Mathe sei immer dabei. Eine Rechnung, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bestätigt: Demnach hätte nur jeder vierte Deutsche gute oder sehr gute Kenntnisse in Mathematik. Kosytra erzählt aus der Praxis, dass die Bewerber nicht an Analysis Zwei scheiterten – sondern an den Grundrechenarten.
Besonders betroffen sind Service-Berufe: 37,5 Prozent der Lehrstellen blieben laut IW im Bereich Gastronomieservice unbesetzt. Im Verkauf von Fleischprodukten waren es sogar 60,4 Prozent – also deutlich mehr als die Hälfte. Doch auch bei den handfesten Berufen wird es eng mit Mitarbeitern: 38,9 Prozent der Klempner-Lehrstellen blieben demnach unbesetzt, bei den Betonbauern waren es 33,8 Prozent. Auch die „Energiewende“ ist durch den Handwerkermangel gefährdet. Die Ampel will den Ausbau an Windkraft forcieren. Die Ampel will den Ausbau an Solarenergie forcieren. Und die Ampel will die Wärmedämmung forcieren. Nur: Die Handwerker, die das alles machen sollen, sind die selben, auf die Deutsche jetzt schon warten müssen. Die OECD sieht in der Fortbildung einen Ausweg aus dem Handwerkermangel.
Deutschland habe zwar gute Angebote in diesem Bereich, doch der Zugang zur Fortbildung sei so kompliziert, dass Arbeitskraft und mögliche Arbeitsstelle oft nicht zusammenfinden. Deutschland verschwende auf diese Weise viel Potenzial, etwa wenn Menschen umsteigen wollen, in deren Branche durch die Digitalisierung Stellen wegfallen. Auch Studienabbrecher könnten sich im zweiten Anlauf durch Fortbildung ein solides Fundament für ihren Lebensunterhalt schaffen: Denn fast jeder dritte Studienanfänger bricht nach Angaben des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung ab. Die Studienwechsler sind da nicht mitgerechnet.
Wobei das Thema Handwerkermangel nicht unbedingt kompliziert sein muss. Die Antwort lässt sich in vier Buchstaben zusammen fassen: G – E – L und D. Während in den Metall- und Elektroberufen laut IW überdurchschnittlich gut bezahlt wird, verdienen die Menschen in den Berufen unter dem deutschen Schnitt, in denen es an Bewerbern für Lehrstellen fehlt. Doch während der Staat 200 Professuren für Gender-Studies schafft und jedem der 736 Bundestagsabgeordneten im Monat 23.205 Euro gibt, um sie unter Parteisoldaten zu verteilen – schafft es der gleiche Staat nicht, nötige Arbeiten zu fördern. Wer also auf einen Klempner wartet, weil sein Klo verstopft ist, kann sich daher in der Zwischenzeit mit Studien trösten, warum er trotzdem gesellschaftlich privilegiert ist.