Mit Blick auf die Schlagzeilen dieser Tage könnte man meinen, das Ende der doch erst gerade ins Amt gekommenen Bundesregierung stünde schon wieder vor der Tür: ein scheinbar in jeder Hinsicht zaudernder und beschlussunfähiger Bundeskanzler Scholz; das äußere Erscheinungsbild geprägt vom Auftreten der Grünen und der teilweise aggressiv vorgetragenen Kritik der FDP an der Ukraine-Politik des Kanzlers. So gebärden sich in der Regel Ehepaare kurz vor der Trennung. Und dennoch ist diese Einschätzung falsch.
Keiner der Partner ist an einem Crash der Ampel interessiert. Denn was wären denn die Alternativen? Denkbar wären da, selbst nach möglichen Neuwahlen, nur drei Modelle. Da man unter den heutigen Bedingungen eine wie auch immer geartete Minderheitsregierung ausschließen kann, bleiben nur eine Große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis unter Führung der CDU mit Grünen und FDP als Partner übrig. Eine Neuauflage der Ampel kann definitiv ausgeschlossen werden. Es kommt hinzu, dass die derzeitige Lage alles in allem für die Beteiligten ganz komfortabel erscheint.
Der alles entscheidende Faktor ist jedoch noch ein anderer: Die Bundesrepublik steht vor dem größten Umbruch in ihrer noch jungen Geschichte. Zum ersten Mal gerät die jahrzehntelange Phase wachsenden Wohlstands und sozialer Abfederung selbst kleinster Härten an ihr Ende – und droht dabei in ihr Gegenteil umzuschlagen.
Nicht ohne Grund gibt es erste besorgte Warnungen vor möglichen Gefährdungen der gesellschaftlichen Balance in Deutschland. Worauf beruht denn die Stabilität dieser Demokratie außer dem Wohlstandsversprechen? Bekenntnis zur Nation? Empathie und Begeisterung für die Freiheit? Etwa religiösen Fundamenten? Aus verschiedenen Gründen muss all dies verneint werden. Als Ersatz bieten sich radikale Lösungen von links und rechts geradezu an.
Es ist unter diesen Umständen ein Segen, dass mit der SPD als letzter funktionierender Kraft der demokratischen Linken die bevorstehende Schocktherapie verantwortlich mitgestaltet werden muss. Bei einer rein bürgerlichen Regierung aus CDU und FDP würden alle Hemmungen möglicherweise auch für gewaltsame soziale Proteste fallen. Das überschwängliche Lob des FDP-Chefs Christian Lindner für den SPD-Kanzler Scholz auf dem Parteitag in Berlin bei gleichzeitig scharfer Kritik an der CDU zeigt, dass er die strategische Gesamtlage begriffen hat.
Bleibt die CDU/CSU: Es ist normal für die größte Oppositionspartei und auch ihre Pflicht, die Regierung immer wieder zu attackieren, was zugleich deren Zusammenhalt fördert. Unter staatspolitischen Aspekten sollte Kanzler Scholz dem CDU-Profi Friedrich Merz täglich dankbar sein, denn er ist sein bester Unterstützer.
Die bevorstehenden Erschütterungen – dazu muss man kein Schwarzseher sein – werden so wirken, dass die notwendige Renaissance der Kernkraft sowie die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe im Rückblick der Geschichte wie kleine Petitessen erscheinen werden. Die normative Kraft des Faktischen wird so manche Träumereien und Irrwege beenden – auch das muss nicht das Schlechteste sein.