Sehr glücklich war der Start der mühsam zusammengezimmerten Koalition aus SPD, Grünen und FDP nicht. Scholz, wie schon immer ohne jegliches Charisma, versuchte sein Hamburger Regierungsmodell zu kopieren, wonach der beste Regierungschef derjenige ist, den das Volk nicht wahrnimmt. Die von ihm stets propagierte Führung sollte sich darauf beschränken, „seinen“ Ministern an der langen Leine behutsam den Weg zu weisen. Alles andere stand im Koalitionsvertrag – was also gab es tatsächlich noch zu führen?
Vollends in der Versenkung verschwand der Bundeskanzler, als Russland über das Nachbarland Ukraine herfiel und damit all die cosmoglobalhumanistischen Illusionen der linken Traumfabriken Lügen strafte. Nach einem vielzitierten Bundestagsauftritt, dessen Zeitenwendeerklärung sich offensichtlich mehr an die eigene Partei als an das Volk richtete, verschwand der Kanzler der Bundesrepublik wieder im Kommunikationsloch und überließ das Feld der Erklärungen seinen Ministern. Deren für das Innere zuständige Nancy Faeser, bekannt für ihre grundsätzlich antifaschistische Agenda, hatte dann nichts Eiligeres zu tun, als mit dem absehbar ergebnislosen Versuch, die EU-Migrantenquoten über den Umweg der Ukraine-Flüchtlinge nun doch noch durch die Hintertür zu erzwingen, im Sinne Putins den Spaltpilz in die Europäische Gemeinschaft zu bringen. Die Kommission reagierte kühl und entschlossen – und Faeser war von nun an still.
Die wahre Sternstunde allerdings gebührte jener Christine Lambrecht, die vom schlechten Justizminister zum noch schlechteren Verteidigungsminister aufstieg. Ihr Einstieg mit den 5.000 Helmen, die die Bundesrepublik großzügig zum Schutz gegen russische Raketenangriffe an die Ukraine weiterleitete – vermutlich Altbestände, die nicht mehr benötigt wurden, nachdem die Wehrpflichtarmee auf ein Berufsheer umgestellt worden war – sorgte für fassungslos-amüsiertes Entsetzen. Doch Lambrecht blieb sich treu. Künftig wurde die großzügige Verteidigungsspende aus bundesdeutschen Kriegswaffenbeständen überhaupt nicht mehr verifiziert. Angeblich, um den Russen keine Anhaltspunkte zu geben – tatsächlich aber dann offenbar doch nur deshalb, weil, wie es Scholz dann in einem viel zu späten, mehr als halbherzigen Erklärungsversuch bestätigte, es überhaupt keine Lieferung jener Waffen, die die Ukraine zur Abwehr der Invasion benötigt, gegeben hat und geben wird.
Während sich das SPD-Personaltableau qualitätsgemäß öffentlich demontierte, liefen die beiden Frontfiguren der grünen Partner zu neuen Hochformen auf. Annalena Baerbock reist wütend durch die Welt und beschimpft ohne Unterlass Putins Terrortruppe des Völkerrechtsbruch und der Unmenschlichkeit. Sie verkörpert damit perfekt die Befindlichkeit der Klientel der immer auf der Seite des Guten stehen wollenden bundesdeutschen Gefühlspartei.
Robert Habeck, schon seit einem Besuch der Ukraine im vergangenen Jahr in neopazifistischer Läuterung begriffen, wurde zum knallharten Bellizisten der umfassenden Bewaffnung Kiews – dabei flankiert aus den Reihen der FDP und übertroffen nur noch von Anton Hofreiter, dem bei der Ministerverteilung durchs Rost gefallenen Agrarwender der Grünen, der zum Trost mit dem Vorsitz des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union abgefunden wurde.
Olaf Scholz: Zur Führung ungeeignet
Während nun die Führungen der Grünen und der Gelben die umfassende Aufrüstung der Ukraine auch mit schweren Waffen fordern und dabei mit knallharter Kritik an der Unfähigkeit des Kanzlers zur Führung nicht hinter dem Berg halten, eiern die Sozialdemokraten, wie schon immer innerlich zerrissen zwischen einem Rest von nationalem Pflichtgefühl und dem Traum eines sich um Russlands Hauptstadt kristallisierenden, sozialistischen Internationalismus, unter der Nichtführung des Kanzlers um klare und zielführende Entscheidungen in Sachen Ukraine, Nato und Abwehrbereitschaft herum. Selbst des Scholzens Versuch, in langjähriger Tradition in die ohnehin schon geplünderte Staatskasse zu greifen, um für europäische Nato-Partner neue und moderne Waffen zu kaufen, wenn diese dafür ihre Restbestände aus Zeiten des Warschauer Pakts an die Ukraine abtreten, vermag nicht zu überzeugen. Bemerkenswert und kennzeichnend auch, dass der SPD-Generalsekretär, dessen Job es für gewöhnlich ist, den Ausputzer zugunsten von Partei- und Regierungsführung zu geben, wie verdampft erscheint. Kevin Kühnert, aus dem sozialinternationalistischen Antifa-Lager der Jusos erwachsen, scheint jegliche Positionierung vermeiden zu wollen, um nicht am Ende die Hälfte oder mehr der Partei gegen sich zu haben.
Die Bundesrepublik gilt so angesichts der Agonie in der führenden Regierungspartei zunehmend als Bremser nicht nur in der Verteidigung der Ukraine, sondern in der Abwehr der Putin’schen Attacke auf die westlichen Werte an sich.
Die Opposition meidet die harte Attacke
Umso verwunderlich daher, dass sich Friedrich Merz als neuer, alter Führer der Union spürbar zurückhält. Deren Attacke in Sachen Schwere Waffen reitet der Husumer Johann Wadephul, der droht, die Koalition mit einem Initiativantrag zur Waffenlieferung im Parlament vorführen zu wollen.
Tatsächlich ein nicht ungeschickter Versuch, die längst vorhandenen Gräben in der Koalition aufzuzeigen, nachdem sich führende Grüne und Gelbe eindeutig für die umgehende Lieferung schwerer Waffen positioniert haben und nur unter erheblichen Windungen aus diesem Anspruch herauskämen. Zugleich aber könnte der Antrag auch die Grünen intern vor ein Problem stellen, denn die klare und eindeutige Haltung für militärischem Widerstand und Aufrüstung wird in der aus pazifistischer Anti-Nachrüstungs-Kommune entstandenen Partei zumindest an der Basis nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen.
Unabhängig davon, ob es zur angekündigten Abstimmung kommt oder die Koalition sich noch irgendwie aus ihrem Dilemma herausmanövrieren kann, scheint die Halbwertzeit der Scholz-Koalition dennoch deutlich geschrumpft. Und so beginnen bereits hinter den Kulissen erste Überlegungen darüber, welche Machtoptionen die Parteien aus der sozialdemokratisch verursachten Wirkungslosigkeit herausführen könnten, ohne dass es dabei zu Neuwahlen kommen muss, an welchen in den faktischen Kriegszeiten niemandem gelegen ist.
Drei Varianten der Regierungsneubildung
Auch wenn sie derzeit noch nicht unmittelbar vor der Tür steht, so läuft in der Bundesrepublik die Abwahl eines Kanzlers gemäß Grundgesetz ausschließlich über die Neuwahl eines anderen. Sollte also Scholz nicht irgendwann genervt von der eigenen Partei hinwerfen und damit Neuwahlen erzwingen, könnte das Ende seiner jetzt bereits als gescheitert anzusehenden Kanzlerschaft nur über den Austritt der beiden kleinen Partner und ein konstruktives Misstrauensvotum führen. Das wäre dann die Stunde der Union, die mehrere Optionen hat.
Variante 1: Eine rotschwarze Bundesregierung
Denkbar wäre, dass es zu einer Neuauflage der Zusammenarbeit aus SPD und Union kommt. Davor allerdings stehen mehrere Hürden, die kaum zu überwinden sind. Zu einem hat sich das schwarzrote Modell beim Bürger nachhaltig zerschlissen. Das gilt auch dann, wenn es nun rotschwarz daherkäme. Zum zweiten müsste die Union – und müsste Merz – den Kanzlerjob der SPD überlassen. Die SPD als derzeit stärkste Fraktion wird unmöglich bereit sein, einen CDU-Kanzler zu unterstützen. Und die Union müsste sich als Retter eines zum führungsunfähigen Nichtfestleger gestempelten Kanzlers aufraffen. Zum dritten müsste die Union in einer solchen Koalition zudem noch das bereits als unzulänglich bewiesene Personalangebot der SPD schlucken. All das sind vor allem für die Union gute Gründe, eine Koalition mit der SPD bis auf Weiteres grundsätzlich auszuschließen.
Variante 2: Eine schwarzgrüngelbe Koalition
Auf Grundlage des Parteienproporzes im Parlament wäre die naheliegendste Lösung die ursprünglich angedachte, sogenannte Jamaika-Koalition. Dabei wäre Merz der „natürliche“ Kanzler, der mit seinem Personal quasi in das bestehende Tableau hineingrätschen und die SPD-Minister ersetzen könnte. Die FDP könnte damit im Grundsatz leben, auch wenn die Nachwehen der Merkel-Missachtung noch nicht überwunden sind. Schwieriger allerdings wird die Erklärung eines solchen Wechsels für die grüne Spitze. Merz gilt als Wirtschaftsliberaler dort nicht als Wunschkanzler – und die Frage, ob die grünen Habeck und Baerbock nicht als beliebteste Minister unter einem schwachen Scholz sehr viel wirkungsvoller sind als unter einem dominanten Merz, dürfte bei den Grünen erhebliches Zögern verursachen.
Variante 3: Eine grünschwarzgelbe Koalition
So bliebe unter den voran genannten Aspekten eine dritte Variante, wie die bereits innerlich zerrüttete Koalition ohne Neuwahlen ersetzt werden kann. In dieser Variante müssten Merz und die Union ein wenig zurückstecken und um der Regierungsbeteiligung willen einem anderen den Vortritt lassen: Robert Habeck.
Habeck dürfte gegenwärtig der beliebteste Politiker der Republik sein, weil er nicht nur die weichgespülte Kuschelmentalität der Deutschen verkörpert, sondern als verständlicher Politikerklärer die Bürger mitzunehmen in der Lage ist und zudem als läuterungsfähig auftritt. Anders als bei den Sozialdemokraten, deren mea culpa immer unglaubwürdig wirkt, nehmen die Bürger einem Habeck seinen Positionswandel als ernstgemeintes Ergebnis ständiger Lernfähigkeit ab. Ein Kanzler Habeck dürfte insofern schlagartig eine breite Zustimmung der Bevölkerung hinter sich spüren. Vor allem aber nähmen ihm die Bürger das ab, was er sagt. Gerade in Krisenzeiten unterschiede ihn dieses maßgeblich vom blassen, uncharismatischen Scholz.
Für die Grünen wiederum wäre die Möglichkeit, sich des blassen Scholz und der katastrophal besetzten SPD-Ministerriege zu entledigen und stattdessen den eigenen Frontmann ins Kanzleramt zu bringen, überaus verlockend. Es könnte den Grünen die Möglichkeit geben, bedeutende Teile der SPD-Klientel an sich zu binden und zur führenden Partei in der Bundesrepublik zu avancieren. In Sachen Ukraine und Bundeswehr besteht ohnehin deutlich größere Nähe zwischen Grünen und Schwarzen als zwischen Grünen und Roten. Auch das grüne Lieblingsthema Klimaschutz sollte nicht an schwarzen Unzumutbarkeiten scheitern. Lediglich die Kernkraft könnte hinderlich sein – aber um den Preis eines Boykotts russischen Öls wäre zumindest ein befristeter Betriebserhalt auch bei den Grünen durchsetzbar.
Christian Lindner verbliebe im Finanzressort – was ihm die Bereitschaft zum Umstieg erleichtern wird. Vor allem aber eine mögliche Option, das von Unions- und SPD-Frauen in Grund und Boden gewirtschaftete Verteidigungsministerium künftig von der taffen Marie-Agnes Strack-Zimmermann führen zu lassen, müsste bei der FDP jeglichen Widerstand gegen eine Ablösung des Scholz und dessen Gruselkabinett schwinden lassen. Mit diesem erweiterten Personaltableau der Liberalen und einer insgesamt mehr ins bürgerliche Lager gerückten Koalition unter grüner Führung müsste sich die FDP zudem keine Sorgen machen, vom Wähler künftig als überflüssig betrachtet zu werden.
So laufen nun also hinter den Kulissen bereits erste Überlegungen, wohin der Weg führen könnte, wenn die SPD wie bisher an ihrer eigenen Unfähigkeit zur eindeutigen Positionierung scheitern wird. Sie erklären auch, warum sich Oppositionsführer Merz derzeit so auffällig unauffällig mit harten Attacken zurückhält. Für die Union gilt, sich vor allem Grüne und Gelbe gewogen zu halten. Schließlich ist Merz nicht zurückgegangen in die Politik, um irgendwann als erfolgloser Oppositionsführer aufs Altenteil abgeschoben zu werden.