Die Stadt Bologna hat angekündigt, in diesem Sommer die „Smart Citizen Wallet“ einführen zu wollen. Sie entscheidet dann darüber, wer ein „Smarter Bürger“ ist – und wer nicht. Die Idee: Der Bürger, der sich für die Wallet angemeldet hat, sammelt auf seinem Smartphone Punkte. Die erhält er, wenn er sich aus Sicht der Stadt „smart“ verhalten hat: Als Wahlhelfer bereit gestanden; keine Strafzettel gesammelt; eine Monatskarte für den Stadtbus gekauft oder den Müll pünktlich vor die Tür gestellt hat. Für viele Punkte gibt es dann eine entsprechende Belohnung.
Der Begriff „Wallet“ heißt auf Deutsch übersetzt Geldbeutel. Die meisten „Social Scoring“-Systeme sind denn auch ans Einkaufen oder Bezahlen gekoppelt. Sowohl in der Bewertung als auch in den Konsequenzen aus der Bewertung. So kann sich das System für Betroffene schnell existenziell auswirken: Ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Hotelzimmer zu buchen, könnte dann nicht mehr möglich sein, wenn man einen schlechten oder gar keinen Score hat. Die soziale Bewertung würde dann die Auskunft über die Kreditwürdigkeit ablösen.
Welche Belohnung es in Bologna gibt, hat die Stadt noch nicht gesagt. Auch ist die Teilnahme an „Smart Citizen Wallet“ freiwillig. Doch angesichts der Technik ist nicht die entscheidende Frage, wie der Staat ein solches Mittel aktuell handhabt. Sondern: Welche Möglichkeiten gibt es dem Staat in die Hand, wenn er anfängt, seine Bürger in smart und stupid zu unterscheiden? Für eine Diktatur ist ein solches „Social Scoring“ die Möglichkeit, seine Bürger in freundlich und feindlich zu trennen. Und darüber, was Diktaturen mit unfreundlichen Bürgern machen, stehen die Geschichtsbücher voll.
Es überrascht daher wenig, dass China der Vorreiter im Social Scoring ist. Solche Systeme gibt es dort in Testregionen bereits seit acht Jahren: Die „smarten“ Chinesen genießen Vorteile, die Verharmloser der Technik noch als Bonussystem betrachten könnten: zum Beispiel bevorzugte und verbilligte Sitze in Fernzügen. Doch der Staat nutzt in China seine Hoheitsrechte bereits ebenfalls dafür, Bürger abzustrafen, die im Social Scoring durchfallen – oder sich der Anmeldung verweigern. Sie müssen zum Beispiel höhere Steuern zahlen.
Mit dem Social Scoring ist es wie mit der Büchse der Pandora: Ist sie erstmal geöffnet, lässt sie sich kaum wieder schließen. Ein System kann harmlos starten. Zum Beispiel: Wer viel Obst und Gemüsse, aber wenig Fleisch und zuckerreiche Produkte kauft, bekommt von seiner Krankenkasse einen Rabatt auf seinen Beitrag. Was ist schon schlecht daran, sich gesund zu ernähren? Warum sollen Menschen nicht weniger für die Gesundheitsvorsorge bezahlen, die sich gesund ernähren? So heißen die Relativierungsfragen der Befürworter des Social Scoring.
Für den Staat ist das ein Machtgewinn. Und wie so oft tut mehr Macht nicht jedem gut. Ein Beispiel dafür lieferte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in der XG-Zeit: Von ihren Image-Beratern ist sie über Jahre als soziale Wohltaten verteilende Heilige Malu von Trier aufgebaut worden. Der gute Mensch, der keinem Böses will. Und nun sagte sie plötzlich in die Kamera, die G-Regelungen sollten dazu dienen, dass Ungeimpfte nicht Weihnachten feiern. Aus der Heiligen Malu war Dreyer der Grinch geworden, der Weihnachten stiehlt. Eine Entwicklung, die keine zwei Jahre brauche. Deswegen sollten Bürger gut überlegen, ob sie sich in Kleinkinder verwandeln wollen, die Fleißpunkte sammeln wie in der Vorschule – und den Staat darüber entscheiden lassen, ob sie ohne Abendessen ins Bett müssen.