Die so genannte Kleine Eiszeit zwischen 1550 und 1850 war in den Alpen eine „Gletscherhochstandsphase“. Gletschervorstöße und damit viel mehr Lawinen, Muren und Überschwemmungen, vorrückende Eismassen und Eisseen, die sich hinter Moränen aufstauten, dann den natürlichen Eisdamm sprengten, zerstörten ganze Ortschaften und Flure.
Franz Jäger, Jurist und promovierter Ethnologe beschreibt die Zeit in seinem Buch „Gletscher und Glaube“.
In den Ötztaler Alpen, wo heute unzählige Besucher im Winter und Sommer mit einem blühenden Tourismus einen wesentlichen Teil zum Wohlstand des Landes und seiner Bewohner beitragen, zog das Volk jahrzehntelang mit seinen Priestern voran in Bittprozessionen zu den Gletschertoren, um Verschonung zu erbitten. Im ganzen Alpenraum suchten die Menschen damals ähnliche übernatürliche Erklärungen für die Naturkatastrophen und fanden Erklärungen in ihrer eigenen Sündhaftigkeit und dämonischen Ungeheuern, die zu ihrer gottgewollten Bestrafung geschickt worden waren.
Mit Bezug auf Niklas Luhmann sieht Autor Jäger die Funktion der Religion darin, „auf Grundbedürfnisse, Sinnfragen und Existenzkrisen“ zu reagieren und Lösungen anzubieten: Alljährlich geweihte Palmzweige, Lichtmesskerzen, Glockenläuten, Wettersegen und Wetterprozessionen, die teilweise bis heute stattfinden, ohne dass die Leute noch wüssten warum, waren die Antwort. Volksfrömmigkeit ist nach Jäger „ein sensibler volkskundlicher Indikator für den Klimawandel während der ‚Kleinen Eiszeit‘ bis zur Klimaerwärmung der Gegenwart“.
Religion als mentale Bewältigungsstrategie bei Katastrophen ist aber keineswegs eine nur historische Kategorie. Sie führt mitten in die Bewegungen der Gegenwart, wo neue Priester in sämtliche Institutionen und Organisationen hinein die Illusion gepflanzt haben, der Mensch könne der Natur die Richtung des ihr immanenten Klimawandels vorschreiben und seinen Ausmaß steuern.
Die Bittprozessionen der Fridays for Future und die Anschlagsprozessionen der „Letzten Generation” – welch volksfrömmelnder Name – in den Häuserschluchten der Städte werden den Gang der Natur so wenig beeinflussen wie die seinerzeitigen in den Bergen.
In den Bergen half und hilft es nicht lückenlos, aber weitgehend, gegen die Gewalten der Natur intelligent vorzusorgen. Für die Nachfahren der Gletscherbedrohten war die Klimaerwärmung ein wahrer Segen. Sie machten das Beste daraus. Sonst hätten wir nicht die heutigen Kulturlandschaften, sondern Gebirge von Geröllhalden.
Ich würde auch gerne wie vor 50 Jahren über die Gletscher in ihrer damaligen Größe gehen, aber ich sehe natürlich, wie sich das Leben in den Bergen für viele ihrer Bewohner verbessert hat. Auswüchse des Tourismus und Raubbau an der Natur sind ein ernstes Thema, das der Mensch nicht hinnehmen muss, sie sind nicht naturgemacht, sondern von jener Classe Politique verursacht, die sich einbildet im Auftrag der Klimareligion unserer Tage den Klimawandel steuern zu können.
Verstand und Augenmaß sind gefragt statt Klimafrömmigkeit.