Von ihnen sprechen alle – den Tschetschenen, die Wladimir Putin im Ukraine-Krieg einsetzt. Kürzlich folgte die nächste Nachricht: Russland will Söldner im Nahen Osten anwerben. Weitaus weniger bekannt ist, dass bereits vor Jahren Dschihadisten in der Ukraine im Einsatz waren und dort immer noch kämpfen – aber auf ukrainischer Seite. Klingt merkwürdig? Nein, es gibt einen direkten Konnex.
Bereits 2015 berichtete die New York Times von tschetschenischen Bataillonen, die gegen russische Einheiten kämpften. Die Ukrainer heißen sie willkommen im Konflikt in der Ostukraine. „Wir kämpfen gerne gegen die Russen“, sagte einer von ihnen gegenüber dem US-Blatt. „Wir kämpfen immer gegen die Russen.“ Besonders in der Gegend von Mariupol kommen sie zum Einsatz. Dort kämpfen sie gegen die pro-russischen Separatisten. Die Zeitung berichtet: „Die Armee, korrupt und unterfinanziert, war weitgehend wirkungslos. Daher begrüßen die Ukrainer die Unterstützung sogar von militanten Islamisten aus Tschetschenien.“
Seit Jahren kämpfen Tschetschenen für die Ukraine, den Westen juckt es nicht
Laut New York Times unterstehen die Tschetschenen einer rechtsextremen Miliz. Die Regierung gibt keine Auskunft darüber, wie viele Tschetschenen in der Ukraine kämpfen. Unter den Islamisten bilden Tschetschenen die Mehrheit, doch es gibt auch Usbeken, Balkaren und Krim-Tartaren. Das Besondere: Sie kämpfen ohne Sold.
Es ist demnach fraglich, wie sehr sich Kiew einen Gefallen getan hat, die muslimischen Söldner gegen den gemeinsamen Feind kämpfen zu lassen. Französische Behörden warnten die ukrainischen Kollegen frühzeitig vor der Gefahr, die mit solchen Söldnern drohe. Viele Tschetschenen hatten vorher schon in Europa gelebt und waren als Extremisten aufgefallen.
Syrische Dschihadisten mitten in Kiew
Der tschetschenischen Vorhut folgten andere islamistische Kämpfer, die eines gemeinsam hatten: den russischen Feind. Die Entwicklung gipfelte im Jahr 2019, als mitten in Kiew der IS-Kämpfer Caesar Tokhosashvili festgenommen wurde. Tokhosashvili, gebürtiger Georgier, schloss sich 2015 dem Islamischen Staat (IS) an. Er hatte den Posten eines Kriegsministers inne und gehörte damit zur Elite des IS. Bekannt war er unter dem Kampfnamen Al-Bara al-Shishani – und galt als tot. Vermutlich lebte er bereits seit 2018 in der ukrainischen Stadt Bila Tserkva, nachdem er im August 2017 seinen Tod falsifiziert hatte.
In Bila Tserkva lebte er unbehelligt mit seiner Frau und drei Kindern, arbeitete als Taxifahrer ohne Lizenz und betrieb eine Bude auf dem Markt. Im ukrainischen Refugium plante „al-Shishani“ weitere Terrorattacken, warb neues Personal an und blieb im Kontakt mit Amniat, dem Geheimdienst des IS.
Dass die Ukraine potenzielle islamische Terroristen in der Vergangenheit kaum durchleuchtet hat, hängt nicht nur mit der Hilfe gegen die Russen zusammen: Islamischer Terrorismus ist für Kiew kaum eine Bedrohung, der Geheimdienst hat sich nicht darauf spezialisiert. Weil die Ukraine Aufmarschplatz und Rückzugsort ist, ist auch nicht mit islamischem Terror zu rechnen. Insbesondere vor der Einführung biometrischer Pässe waren ukrainische Pässe einfach zu beschaffen – oder wurden zu Spottpreisen von Krim-Einwohnern nach 2014 verscherbelt.
Wo sind die Islamisten jetzt?
Nach dem Fall des IS verschwanden zehntausende IS-Kämpfer aus Syrien – niemand kann ihre Spur konkret nachverfolgen. Doch eines der Auffangbecken dürfte die Ukraine sein. Ähnlich der historischen „Rattenlinie“ gelangten viele Islamisten nach Osteuropa und konnten dort untertauchen. Die Ukraine mit ihren schwachen Institutionen und korrupten Behörden war ein lohnendes Ziel. Im andauernden Krieg in der Ostukraine war das auch deswegen möglich, da die Ukraine Freiwilligenbataillone anwarb. Auch finanziell bot sich die Ukraine als dschihadistischer Umschlagplatz an.
Was das für Deutschland bedeutet, das mit Innenministerin Nancy Faeser der Überzeugung ist, die Grenzen für Unbekannte öffnen zu können, ist offensichtlich. Denn was aus den Islamisten geworden ist, die bis vor wenigen Monaten gegen die russische Seite kämpften, ist nicht eindeutig geklärt. Anders als Russland greift die Ukraine seit Jahren auf dieses Werkzeug zurück – mit kaum quantifizierbaren Folgen.