Das Staatsoberhaupt eines anderen Landes zur „unerwünschten Person” zu erklären, ist im internationalen Umgang miteinander wohl die denkbar größte Brüskierung. Die Regierung der Ukraine hat dies jetzt getan! Das höchste der Gefühle war bislang der Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Automatisch ist das die Begleiterscheinung einer Kriegserklärung oder eines ähnlich dramatischen Vorgangs. Auch die Ausweisung von Botschaftern oder die Reduzierung des diplomatischen Personals auf ein Minimum hat es schon gegeben. In der Regel übernimmt dann ein Drittland zumindestens die konsularischen Aufgaben des offiziell nicht mehr vertretenen Staates. Ein Beispiel ist die Schweiz, die seit 1979 die Interessen der USA im Iran vertritt.
Die Zurückweisung des höchsten Repräsentanten eines anderen Staates hat es bisher jedenfalls noch nicht gegeben. Selbst in Fällen schwerer Spionage liefen nach deren Aufdeckung, die die Titelseiten weltweit beherrschten, die Kontakte auf höchster Ebene wie gewohnt weiter. Nicht selten wurde daraufhin besonders auf die Wahrung der diplomatischen Usancen Wert gelegt. So verliefen beispielsweise nach der Enttarnung des DDR- Top Spions Günter Guillaume 1974 – immerhin war es Markus Wolf, dem Chef der Stasi- Auslandsspionage, gelungen, einen seiner Männer als persönlichen Referenten des Bundeskanzlers Willy Brandt zu platzieren – ungeachtet der skandalösen Dimension des Geschehens, die offiziellen und die geheimen Geschäfte zwischen den beiden Staaten in Deutschland weiter wie zuvor.
An all dem gemessen kann das Verhalten Kiews in der Causa Steinmeier nicht auf eine bloße Verstimmung zurückzuführen sein. Dazu reicht das enge und verständnisvolle Verhalten Steinmeiers gegenüber Russland in der Vergangenheit nicht aus. Da muss es mehr geben! Die ukrainische Seite muss jetzt liefern, will sie sich nicht am Ende dem Vorwurf der Unreife auf der internationalen Bühne aussetzen.
Jedermann erinnert sich daran, wie Steinmeier als Außenminister immer wieder um Nachsicht für selbst völkerrechtswidriges Verhalten Putins, wie der Annektion der Krim 2014, zu werben. Auch Bestrebungen besonders der USA, dem Wunsch der Ukraine nach Aufnahme in die Nato nachzukommen, widersetzte sich der SPD Politiker Steinmeier öffentlich und hinter den Kulissen vehement. Das Gleiche gilt für die tatkräftige Unterstützung der Bemühungen seines jahrelangen Förderers und engen Freundes Gerhard Schröder, der nach Ende seiner Kanzlerschaft nahezu übergangslos an die Spitze eines staatlichen russischen Energiekonzerns wechselte, um fortan dessen Interessen gegenüber seinem Heimatland durchzusetzen.
Mit welchem Erfolg ihm dies gelungen ist, zeigt heute die Abhängigkeit Deutschlands von Russland. Ohne tatkräftige Unterstützung „alter Genossen” in den Spitzen der deutschen Politik, Wirtschaft und Medien wäre dies mit Sicherheit nicht gelungen. Hat es vielleicht doch ein von Steinmeier „gewobenes Spinnennetz”, im Interesse Moskaus gegeben, wie es der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk behauptet? Fest steht, dass in Berlin nicht wenige Beobachter erstaunt über die engen und häufigen Kontakte Steinmeiers zum russischen Botschafter Wladimir Kotenev, den man auch den Party-Zaren von Berlin nannte, waren.
Bis noch wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar, hielt der Bundespräsident an dem „rein wirtschaftlichen Charakter” der zweiten Pipeline Nord Stream 2 fest. Dabei war es Wladimir Putin selbst, der die russischen Energielieferungen als „politische Waffe” beschrieb. Sah sich der Bundespräsident allzu kritischen Fragen bezüglich seiner Russland-Politik ausgesetzt, verwies er stets auf das große Leid, das Nazi-Deutschland während des 2. Weltkrieges Russland zugefügt habe. Daraus ergäben sich bis heute besondere Verpflichtungen Deutschlands.
So richtig diese Feststellung ist, so falsch ist Steinmeiers Schlußfolgerung daraus. Gerade weil Deutschland in seiner Geschichte so schwere Schuld auf sich geladen hat, ist es heute seine Pflicht, aus Lehre daraus, ganz besonders für die Einhaltung des Völkerrechts und den Schutz der Menschenrechte einzutreten. Dies muss auch dann gelten, wenn einstige Opfer deutscher Verbrechen, heute selbst ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen. Es muss nachdenklich stimmen, dass das deutsche Staatsoberhaupt nicht so denkt und empfindet.
Für einen Moment unmittelbar nach dem Einmarsch russischer Truppen und Söldner in die Ukraine schien in Berlin eine Form von Besinnung einzutreten. Das „Spinnennetz” war damit aber nicht verschwunden. Das zögerliche Verhalten im Beistand für die in ihrer Existenz bedrohte Ukraine spricht Bände und wirft weitere Fragen auf. Auch deshalb muss Kiew jetzt liefern!