Glaubt man seinem Vater, dann hatte Olaf Scholz sein ganzes Leben lang ein und dasselbe Ziel: Bundeskanzler werden. Seit Jahren arbeitet er akribisch darauf hin – mit 63 Jahren hat er seine Mission erfüllt. Dieses langfristige strategische Denken – auch wenn es nur karrieristisch motiviert ist – brachte dem Kanzler einige Bewunderung unter Hauptstadtjournalisten ein. Zugegeben sind diese öfter recht leicht zu begeistern. Natürlich ist Scholz kein großer Redner, hieß es von diesen gerne – aber er hat die Dinge eben im Griff. Langsam und nüchtern werde er seine Ziele verwirklichen.
Doch nach 120 Tagen im Amt sieht Scholz aus wie bestellt und nicht abgeholt. Ideenlos, ambitionslos, festgefahren, gleichzeitig unbeweglich und beliebig. „Führung bestellt“ – return to sender.
Inhaltlich war das Vorhaben längst überholt und widerlegt – nicht mal das Robert-Koch-Institut traut sich ernsthaft zu behaupten, die Impfung habe noch einen entscheidenden Fremdschutz. Ohne Fremdschutz aber ist jedes Argument für die Impfzwang von vornherein vom Tisch. Immer neue Erkenntnisse über die mangelnde Wirksamkeit der Vakzine machten die „Impfpflicht” von Tag zu Tag unwahrscheinlicher.
Dennoch biss sich Scholz fest, wiederholte immer und immer wieder seine Unterstützung – weder änderte er den Kurs Richtung Eisberg, noch bremste er auch nur. Und Rote Linien sind doch massiver als PR-Redenschreiber glauben.
Scholz ließ Lauterbach mit dessen immer radikaleren und wirreren Sprüche gewähren. Der Grünen-Politiker Janosch Dahmen sollte die „Impfpflicht” in die Tat umsetzen – war für einen Auftrag dieser Größe aber sichtlich ungeeignet. Durch immer schnellere und unverständliche Kompromissanträge kurz vor der Abstimmung (nichts als inhaltsleere Kuhhandel) blamierte sich das Impfzwang-Lager wenige Tage vor der Wahl und zeigte sich zusätzlich zu ihrer ideologischen Verbissenheit auch noch hektisch und ängstlich.
Und auch nach der Abstimmung wurde es nicht besser. SPD-Politiker drehten im Netz frei – schnell trendete der Hashtag „Opposition der Schande“, der SPD-Abgeordnete Joe Weingarten schrieb vom Jubel der „Faschisten“. Karl Lauterbach will gleich weiter für die „Impfpflicht” kämpfen – offensichtlich ohne das abzusprechen. Denn später räumte Scholz immerhin ein, das Votum akzeptieren zu wollen und das Vorhaben aufzugeben. Aber was der Bundeskanzler sagt, interessiert wohl nicht mal mehr seine eigene Partei. Er sagt ja auch kaum etwas.
Wie konnte es dazu kommen?
Seinen Anfang nahm das Impfzwang-Debakel, als Olaf Scholz ins Amt kam, ohne für die Corona-Frage einen Plan zu haben – mit der naiven Annahme, das Thema werde sich schon von selbst erledigen. In der Ampel einigte man sich zunächst darauf, die epidemische Notlage auslaufen zu lassen – ohne den Konsequenzen dieser Entscheidung Rechnung zu tragen. So konnte ihm die späte Angela Merkel im Herbst ganz ohne parlamentarische Mehrheit das Ruder noch einmal komplett aus der Hand reißen und einen erneuten Lockdown durchbringen. Dann ließ sich Scholz von der Panik-Stimmung des Corona-Herbstes in die Forderung nach einerm Impfzwang treiben – obwohl er vor der Wahl hoch und heilig versprach, das werde es unter ihm nicht geben.
Vielleicht war der Kanzler derweil mit den Debakeln im Zuge des Ukraine-Konflikts beschäftigt. Auch diesen zweiten entscheidenden Posten hatte er maximal falsch besetzt: Mit Christine Lambrecht gab er das Thema Verteidigung von vornherein verloren, im Glauben, das würde schon nicht so wichtig werden.
Der Lauterbach-Strudel
Die Vorschusslorbeeren der neuen Regierung sind verbraucht und immer mehr wird klar: Scholz glänzte nur im Kontrast zu Laschet und Baerbock in einem Sommer-Wahlkampf, der ohne ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung im Ungefähren geführt wurde. Und die SPD stand nur auf den Wahlplakaten einig hinter ihm.
Wäre Olaf Scholz eine Aktie, würde man wohl spätestens jetzt von einer massiven Überbewertung sprechen – einer Blase. Und der Impfzwang hat eine gefährlich spitze Nadel.
Mit Lauterbach hat Scholz schon verloren. Dieser Minister hat sich unmöglich gemacht – und zwar bereits mehrfach. Die Frage ist, ob Olaf Scholz die charakterliche Kraft und politische Vernunft besitzt, das notwendige Korrektiv zu setzen und diesen Minister besser heute als morgen zu entlassen. Mit jedem Tag, an dem er das allerdings nicht tut, wird die Dauer-Affäre Lauterbach mehr und mehr zu einer Affäre Scholz.