„Wir machen weiter“, schreibt Karl Lauterbach. Direkt nach der verlorenen Abstimmung um die allgemeine Impfpflicht ab 60 Jahren. Aber was soll er auch sonst schreiben? „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagen Fußball-Manager in solchen Situationen. Es klingt irgendwie besser als: Keine Ahnung, wir entlassen noch mal den Trainer und steigen dann wahrscheinlich doch ab. Meint aber das Gleiche. Genau so wie Karl Lauterbach. Und Trotz tröstet – man kennt es aus seiner Kindheit.
Doch dass der Bann bröckelt, ist für die gut erkennbar, die in letzter Zeit hingeschaut haben. So wird Lauterbach im ZDF angepampt, ob der Widersprüchlichkeit seiner Politik. Der Tagesspiegel – in der SPD-Treue direkt hinter dem Vorwärts folgend – nennt Lauterbach mittlerweile den „Verwirrungsminister“. Vor der Abstimmung. Danach feiert der Tagesspiegel die Niederlage Lauterbachs als „Sieg für die demokratische Debatte“. Selbst die Tagesschau räumt ein, dass die Abstimmungsniederlage eine Schlappe für den Minister sei – und für den Kanzler, der ihn berufen hat. Auch wenn das ARD-Nachrichtenschiff versucht, ebenfalls eine Schlappe der Opposition aus dem Tag zu machen.
Der Tag, an dem Lauterbachs Medienmacht bröckelte, ist nicht schwer auszumachen. Und doch genau der Tag bedeutet eine spannende Erkenntnis über den Kampagnenjournalismus allgemein – und über den Haltungsjournalismus im Besonderen: Die Kampagnenfähigkeit funktioniert nur bei der Konzentration auf ein Thema. Nur wenn dieses Thema zentraler Bestand aller Formate ist – von der Geschichte im Morgenmagazin, über den Beitrag im Boulevardformat, der Sidekick im Sportteil bis zum Debattenthema im allabendlichen Talkshow-Götzendienst. Zwei Jahre konnten Zuschauer dem Corona-Thema nicht ausweichen, über zwei Jahre wurden sie empfänglich für Prediger wie Karl Lauterbach. Gerade beim Thema Impfpflicht wurden alle Bedenken skandalisiert. Wie weit das ging und wie breit es getragen wurde, dokumentiert auf Twitter der Hashtag „#Ichhabemitgemacht“.
Dann beginnt buchstäblich über Nacht der Ukraine-Krieg. Und das eine Thema ist sofort ausgetauscht. Corona kommt nicht mehr vor. Wenn doch, dann unter ferner liefen. An Stellen und in einer luftigen Dichte, in der keine Kampagnenfähigkeit mehr möglich ist. Lauterbach merkt, wie er den Zugriff verliert. Er tut viel, damit sein Thema wieder Thema Nummer eins ist. Wie ein Yorkshire, der nicht erträgt, dass sein Frauchen gerade mal nicht nach ihm schaut. Er geht sogar so weit, sich von seinem Ministerium ein eigenes Talk-Format entwickeln zu lassen: „Karltext.“ Kein Witz.
In den letzten Tagen vor der Abstimmung merken es die Medien, schieben Corona wieder an seinen alten Platz. Die ARD macht die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau zum ersten Mal seit Wochen wieder mit Corona auf. Sie legt einen Brennpunkt nach, lässt den auch in allen Dritten ausspielen und Sandra Maischberger lädt einen Journalisten aus, der eigens aus Kiew angereist ist, um über den Krieg zu erzählen, um Platz frei zu schaufeln: für Corona. 15 Minuten. Am Ende der Show. Nach Mitternacht. Für eine Kampagne muss ein Thema ununterbrochen präsent sein. Schnell mal eine Viertelstunde ist zu wenig.
Für die Talkshows war Corona nur noch ein Zwischenspiel. Der Impfpflicht wegen. Am Tag von Lauterbachs parlamentarischer Niederlage bereiten sie ihm eine mediale. Sie zerreißen ihn nicht. Schlimmer. Sie ignorieren ihn. Viel schlimmer ist das im politischen Showgeschäft. Seine Wunden lecken muss Lauterbach alleine. Ist er masochistisch genug veranlagt, schaltet er Illner ein, wo Christian Lindner statt seiner sitzen und über den Ukraine-Krieg reden wird. Medien wie der Spiegel, die Lauterbach in der Impfpflicht-Kampagne unterstützt haben, hängen das Thema jetzt niedriger. „Welche Menschen an Omikron sterben“, heißt der Aufmacher auf Spiegel-Online. Die Abstimmung und Lauterbachs Kampfansage sind nur Aufsetzer. Nachrangig. Der Krieg wird sie bald verdrängen. Oder dazu gehörend die Sorge vor steigenden Lebensmittelpreisen.
„Fast jeden Tag gibt es neue Studien zu langfristigen Schäden der Coronainfektion, wird uns noch Jahre begleiten. Wir müssen mehr über diese Langzeitschäden aufklären“, macht sich Lauterbach auf Twitter Mut. Sich und den Treuen, die ihm bleiben. Über den Sommer muss er Spott ertragen. Und schlimmer noch: Medienabstinenz. Für den Zuschauer der Kampagnenmedien bleibt ein Tag der Entspannung. Aber genau so die Gewissheit, dass die Sau schon geboren ist, die als nächstes durchs Dorf getrieben wird.