Tichys Einblick
Ende der Märchenstunde

Abrechnung mit Lauterbach bei Maischberger: „Er ist ein bisschen verrückt“

Den Krieg in der Ukraine konnte keiner kommen sehen. Darin waren sich die Gäste von „Maischberger. Die Woche“ einig. Nun schätzen sie ein, wie er enden wird. Und wie die Pandemie besiegt wird, wissen sie obendrein. Dieses Mal werden sie richtig liegen, sind sie sich sicher.

Screenprint: ARD/maischberger

Mit Weitsicht ist das so eine Sache. Allzumal mit politischer. So hatte die Maischberger-Redaktion den Journalisten Enno Lenze eingeladen. Er sollte über seine Erlebnisse als Kriegsberichterstatter in der Ukraine berichten. Am Mittwochabend beklagt er sich dann über Twitter: Er sei extra von Kiew nach Berlin gereist für eine Show, die ihn dann kurz vor Beginn wieder auslädt. In der Sendung solle es auch um Corona gehen, rechtfertigte die Redaktion ebenfalls auf ihrem Twitter-Account das Hin und Her um Lenze.

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Hatte die Redaktion vergessen, dass am Tag nach der Sendung die Abstimmung im Bundestag ansteht? Hat sie jemand dran erinnert? Nun. Um die Impfpflicht geht es erst nach Mitternacht. Maischberger ist bereits seit 62 Minuten on air. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) ist für die Impfpflicht, und auf die Frage, wie sie die bisherige Pandemiepolitik findet, ringt sie mit dem Wunsch, ehrlich zu antworten – fängt sich aber wieder ein: „Was soll ich sagen? Wenn mal wieder eine Pandemie kommt, sind wir vorbereitet.“ Ihr ist anzumerken, dass sie sich die Impfpflicht als eine Art Schlussstrich für das Thema herbeisehnt.

Das sieht Gregor Gysi anders. Der einstige Frontmann der Linken ist gegen die Impfpflicht. Er argumentiert warum und würde gerne ins Detail gehen. Etwa welches Chaos drohe, wenn Millionen von Bußgeld-Verfahren durchgeführt werden müssten. „Das versteht keiner“, würgt ihn Strack-Zimmermann ab. Am Donnerstag werde abgestimmt und gut ist, beendet sie die Debatte nach nur drei Minuten. Nicht nachdenken. Abstimmen. Probleme, die sie nicht versteht? Nicht nachdenken: vertrauen, abstimmen, Schlussstrich ziehen. Strack-Zimmermanns Auftritt im Schlussdrittel der Show gibt einen Einblick, wie in Deutschland politische Entscheidungsträger zu ihren Ergebnissen kommen – und warum die so oft so sind, wie sie sind.

Bezüglich der politischen Erkenntnisfähigkeit verläuft „Maischberger. Die Woche“ erstaunlich produktiv: Dazu trägt wie so oft in diesen Tagen der undiplomatischste aller Diplomaten bei, der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Ihm gehört das mittlere Drittel der Sendung allein, und er beschreibt die Berliner Blase. Dort seien die Mitglieder dieser Blase anfällig für „Märchen“, die sie gerne hörten und die sie beruhigten. „Die Russland-Politik war so ein Märchen.“ Nun fordert Melnyk Realpolitik. Für ihn bedeutet das Waffenlieferungen an die Ukraine und ein konsequenteres Embgargo gegen Russland. In dem Punkt sieht er sich als Lobbyist auf einem guten Weg: „Deutschland tut mehr als noch vor einer Woche und mehr als vor 42 Tagen.“

Zuvor haben drei Journalisten quälend lange 25 Minuten argumentatives Sanktions-Pingpong gespielt: Wir brauchen Sanktionen, dürfen aber die Kosten nicht übersehen, damit wir die Sanktionen durchhalten, weil wir sie brauchen, wobei sie uns nicht intern zerrütten dürfen und so weiter. Thema sind auch die deutschen Fehler der Vergangenheit, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Dienstag eingeräumt hat, was Maischberger per Einspieler zeigt.

Doch wenn es um die Jahre von Angela Merkel (CDU) geht, wird eher Belzebub ein dekoratives Kreuz um den Hals tragen als Journalisten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die ehemalige Kanzlerin kritisieren. Ja, windet sich der Journalismus-Unternehmer Gabor Steingart, die Russland-Politik Merkels war „objektiv ein Fehler“, aber „subjektiv“ sei sie „kein Fehler“ gewesen. Maischberger hakt bei diesem intellektuellen Spagat nicht nach. Und so muss sich jeder seinen Reim auf Steingarts Orakel machen. Vielleicht wollte er sagen, dass nicht alles schlecht war.

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Wie Steingart räumen auch Ulrich Wickert und Anna Sauerbrey von der „Zeit“ ein: In Putin hätten sie sich geirrt. Dass der Feldherr der Angriffskriege von 2008 und 2014 zu einem Angriffskrieg bereit sei, haben sie demnach nicht kommen sehen. Schade eigentlich. Steingart hatte zuvor für herrlich erfrischenden Optimismus und Hölderlinsche Kampflust gesorgt: Der Handel mit Russland mache nur ein paar Prozent des Bruttosozialproduktes aus, mit einem konsequenten Embargo verlöre Deutschland nur einen „überschaubaren Wohlstand“. Also Gas abschalten, sofort, wie Steingart das will? Nun. Wie gesagt. Den Krieg hatte Steingart auch schon nicht kommen sehen und wieso sollte er jetzt richtig liegen?

Zumal die letzten zehn der 75 Minuten wieder dem Journalisten-Trio gehörten. Die Drei nutzten es, um sich von Karl Lauterbach zu distanzieren: Sein Handeln sei eine „Katastrophe“, sagt Wickert und meint die Rücknahme des Quarantäne-Kompromisses in einer Talkshow. Es werfe „ein Schlaglicht auf diese Person“, attestiert Sauerbrey und es „scheint sich ein Muster zu ergeben“. Wie dieses Muster aussieht, sagt Sauerbrey nicht. Dafür ist sie zu sehr Zeit. Und Maischberger fragt da auch nicht nach. Dafür ist sie zu sehr ARD. Lauterbach sei „ein liebenswerter Freak“ und „er ist ein bisschen verrückt“, findet Steingart.

So reden drei Journalisten über einen Minister, der noch keine vier Monate im Amt ist. So urteilen sie über den Mann, in dessen Ressort die Umsetzung einer Impfpflicht liegt, wenn der Bundestag sie beschließt. Der nach manchen Entwürfen Befugnisse erhalten soll, am Parlament vorbei zu regieren. Für Wickert und Sauerbrey ist ihre Geringschätzung Lauterbachs aber noch kein Grund, dass der Minister zurücktreten müsse oder man einem solchen Politiker ein Instrument wie die Impfpflicht besser doch nicht in die Hand geben sollte. In einem halben Jahr werde man vermutlich nochmal über das Thema sprechen, sagt Maischberger, und wird mit dieser Prognose vermutlich richtig liegen. Vielleicht sind dann auch wieder Wickert und Sauerbrey dabei – und räumen Fehleinschätzungen ein.

Belastet durch ihre Fehler scheinen sie nicht zu sein, und von Maischberger werden sie trotzdem weiter befragt. Ihre Einschätzungen sind der Moderatorin immerhin wichtiger als die frischen Erzählungen eines Reporters, der an der Front war und erzählen könnte, wie es dort aussieht. Doch der Berliner Blase bleibt die Berliner Blase wichtiger als die Front.

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