Früher war es Brauch, einer neuen Regierung 100 Tage einzuräumen, bevor man sie beurteilt. Die Ampelregierung ist nun 120 Tage im Amt. Dass sie mit dem Ziel der Großen Transformation antrat, wirtschaftlich die Soziale Marktwirtschaft in eine grüne Kommandowirtschaft umzubauen, politisch Positionen, die nicht die ihren sind, durch Diskursausschluss, durch finanzierte Cancel Culture zu marginalisieren, gesellschaftlich die repräsentative Demokratie in eine NGO-Demokratie, eine Art Rätedemokratie umzuwandeln, bildungspolitisch Wissen durch Gesinnung zu ersetzen, kulturell durch Geschichtsrevisionismus und Identitätspolitik die deutsche Kultur aufzulösen und den Bürger zum betreuten Sozialstaatsobjekt zu machen, ist bekannt. Die FDP, auf die einige Hoffnungen gesetzt hatten, erweist sich als 17. Landesverband der Grünen und fällt, wenn überhaupt durch Konvertiteneifer auf.
Das Bürgertum lebt nicht gern im Dissens mit der Regierung. Deshalb hoffen viele, dass der Krieg in der Ukraine zu einem Realismusschock der Regierung führt. Olaf Scholz, der Bundeskanzler, den die Öffentlichkeit kaum mitbekommt, sprach zwar davon, dass nationale Interessen Priorität hätten, doch beeindruckt das irgendjemand in seiner Regierung? Priorität haben für seine Minister nur ihre ideologischen Träume und Utopien, die sie nun umzusetzen gedenken.
Der deutsche Bürger hat es ja. Vor allem hat er aber explodierende Energiepreise und die Inflation. EON hat derweil durch seinen Deutschland-Chef Filip Thon bekannt gegeben: „Wir müssen diese beispiellose Lage auf dem Markt in unserer Preisgestaltung auch anteilig abbilden, versuchen aber so viel wie möglich abzufedern.“ Heißt im Klartext, wir müssen diese „beispiellose Lage auf dem Markt“ positiv für die Dividendenentwicklung unserer Aktionäre nutzen. Thon dazu: „In der Stromgrundversorgung wurden bereits mehr als tausend Erhöhungen angekündigt und zum Teil schon durchgeführt. Da geht es um Aufschläge von durchschnittlich 35 Prozent.“
Es ist schon fast dreist, wenn EONs Deutschland-Chef mit Unschuldsmiene verkündet: „Derzeit sind die Speicher nur zwischen 25 und 27 Prozent gefüllt. Da ist ein sehr niedriges Niveau, entsprechend hoch wird die Nachfrage zum Füllen der Speicher sein. Und das treibt die Preise. Die Lage ist sehr angespannt – auch ohne Lieferstopp.“ Die Energiepreise müssen also erhöht werden, weil versäumt wurde, die Speicher zu füllen, denn die Lage ist „auch ohne Lieferstopp“ angespannt, hat also grundsätzlich mit dem Krieg noch nichts zu tun. Aber der Lieferstopp kommt.
Was die Preissprünge betrifft, freut sich die Regierung über die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer, aus der Energiesteuer und der Atemsteuer, die CO-2 Steuer heißt. Wäre es der Regierung ernst, die Interessen der Bürger zu vertreten, würde bei ihnen tatsächlich durch den Realitätsschock ein Gespür für Wirklichkeit eintreten, dann würde sie die Mehrwertsteuer und die Energiesteuer senken und die CO-2 Steuer abschaffen, zumindest aussetzen. Doch davon kann keine Rede sein.
Stattdessen verschanzt man sich hinter Sozialdemagogie und führt eine brutale Umverteilungspolitik durch: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) verständigten sich darauf, dass Mieter die „Klimaabgabe“, also Merkels Atemsteuer, nicht mehr allein bezahlen sollen, sondern auch die Vermieter für die Heizkosten des Mieters in den meisten Fällen mit zur Kasse gezwungen werden. Dass der Staat nicht auf Einnahmen verzichten will, die er auch für die vielen lukrativen Stellen für verdiente Genossen, Parteifreunde und NGO-Aktivisten aller Länder geschaffen hat, entlastet er nun einige, indem er andere belastet, die sich nur Entlastung verschaffen können, indem sie wieder die Entlasteten und die bisher noch nicht Entlasteten belasten. Vermieter sollen einen Teil der grünen CO-2 Phantasiesteuer für ihre Mieter übernehmen, abhängig nach einem Stufenplan davon, wie „klimafreundlich“ das Haus ist. So infantil wie der Begriff „klimafreundlich“ ist, so demagogisch ist er. Was inzwischen politisch unter „Klima“ verstanden wird, hat mit Naturwissenschaft nichts mehr zu tun, sondern ist eine ideologische Konstruktion.
Die deutsche Regierung handelt vom Selbstverständnis her und in der Art und Weise, wie es der ungarische Wahlverlierer Ferenc Gyurcsány, der von 2004 bis 2009 ungarischer Ministerpräsident war und das Land an den Rand des Staatsbankrottes regiert hatte, in einer Rede 2004 so formuliert hatte: „Wie kann man diese öffentlichen Einnahmen – das werden demnächst so um die 22-23 tausend Milliarden Forint sein – diese öffentlichen Einnahmen so verteilen, zumindest den Anteil, den wir beschlossen haben, von den Menschen wegzunehmen, nicht weil die das so wollen, sondern weil wir die Stärkeren sind, weil die Staatsmacht uns gehört und wir das wegnehmen können, dass das, was wir ihnen wegnehmen, wir wenigstens so verteilten, dass die Mehrheit denkt, dass es so, na ja, so in etwa in Ordnung ist.“
Da der Bau von festen LNG-Tanks Jahre benötigt und wohl kaum vor 2025 abgeschlossen ist, will Habeck schwimmende LNG-Teminals einrichten. Es handelt sich dabei um schwimmende Flüssiggas-Plattformen aus umgebauten Gas-Tankern. Schiffe gehen längs der Flüssiggas-Plattformen und pumpen ihre Ladung in die Tanks. Von dort wird es über eine Pipeline an Land gepumpt. Beworben haben sich Hamburg, Wilhelmshaven und der schleswig-holsteinische Elbhafen Brunsbüttel. Habeck hofft nun, dass er bis zum Winter diese Anlagen in Betrieb nehmen kann. Drei schwimmende Terminals könnten etwa die Hälfte des Erdgasimports aus Russland ersetzen.
Wenn also alles gut geht, würde die Hälfte des russischen Erdgases ersetzt – nur, was ist mit der anderen Hälfte? Woher und zu welchem Preis kommt das Erdgas? Aus Katar wohl vor 2026 nicht. Und wenn doch, wird man jeden Kubikmeter Erdgas aus Katar mit Gold aufwiegen dürfen. Außerdem existieren noch die kleinen technischen Unvergnüglichkeiten, denn das Problem bei dieser Technologie stellt die Pipeline von der schwimmenden Flüssiggas-Plattform zum Land dar, das noch für böse Überraschungen sorgen kann. Passend dazu teilt RWE am 31. März 2022 mit: „RWE Power legt morgen, am 1. April, den 300-Megawatt-Block A des Braunkohlenkraftwerks Neurath still.“ Es ist nicht bekannt, dass Robert Habeck dagegen interveniert hätte, noch dass er Kohleverstromung oder Atomenergie als realistische Varianten in Erwägung zieht – nicht einmal für den Übergang.
Selbst Scholzens Ankündigung des Sondervermögens Bundeswehr gerät bereits unter Beschuss seiner eigenen Leute. Am Ende steht zu befürchten, dass daraus ein Programm des Kampfes gegen rechts in der Bundeswehr unter üppiger Finanzierung von NGOs, die die Soldaten umerziehen und ideologisch schulen sollen, werden könnte. Das Symbol des Umgangs der Regierung mit der Bundeswehr ist die Vereidigungsministerin.
Nein, die Regierung hat nichts gelernt, gar nichts. Sie hält verbissen an ihren utopischen Plänen fest, sieht sich durch die böse Realität zu einigen Verrenkungen genötigt, geht aber weiter verrenkt zwar, dennoch unbelehrt ihren Weg, der Deutschland ins Nirwana führt. Der LNG-Weg wird sich als Irrweg erweisen.
Nicht aus Sorge um das Wohlergehen der Bürger handelt die Regierung, sondern weil sie sich zu recht vor dem Zusammenbruch der Industrie und des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“, wie das der SPD-Vorsitzende Klingbeil ausdrückte, fürchtet, davor, dass die Tage ihrer Regierung gezählt sein dürften, wenn die Energieversorgung zusammenbricht. Habeck und sein Graichen-Ministerium stürmen deshalb auf dem LNG-Weg voran, wählen aus dem Grund die teuerste und unsicherste Variante, weil nur sie zur Verspargelung Deutschlands, zum Ausbau der Windenergie beiträgt, denn alle anderen Wege würden zu einer Erkenntnis führen, die am Ende die Windenergie obsolet machen würde. Doch ehe sie von ihrer Utopie lassen, lassen sie Deutschland lieber zugrunde gehen.