Tichys Einblick
Zur Lage in der Ukraine

Putin signalisiert Zugeständnisse – und versucht Erfolge seines Krieges zu sichern

Putins Regime sendet mit seinen jüngsten Entscheidungen im Ukraine-Krieg widersprüchliche Signale: einerseits eine gewisse Verständigungsbereitschaft Richtung Westen – andererseits Intensivierung der Aggression im Süden und Osten der Ukraine.

Zerstörungen in Kiew durch russischen Raketenbeschuss, 30.03.2022

IMAGO / NurPhoto

Die jüngsten Nachrichten aus der Ukraine und Russland vermitteln zwar einerseits den Eindruck eines nach militärischen Misserfolgen und den Verhandlungen in Istanbul zu begrenzten Zugeständnissen grundsätzlich bereiten Wladimir Putin. Das betrifft militärische wie auch politische Signale. Andere Nachrichten dagegen legen nahe, dass Putin versucht, wenn schon nicht die ganze Ukraine, so doch zumindest bedeutende Teile von ihr dauerhaft unter russischer Kontrolle zu halten.

Putins Forderung nach Bezahlung der Gas-Lieferungen an westliche Länder in Rubel ist zwischendurch – scheinbar – entschärft worden, indem Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow am Mittwoch sagte, die Umstellung werde „schrittweise“ erfolgen. Dann kam am Donnerstag die Meldung, Putin habe mit Wirkung zum 1. April angeordnet, dass westliche Gasimporteure Konten bei der russischen Gazprombank eröffnen müssen, um weiter russisches Gas zu erhalten. Andernfalls würden die Lieferungen für die „unfreundlichen“ Länder eingestellt, sagte er im russischen Staatsfernsehen. Angeblich können die Zahlungen weiter in Euro oder Dollar auf dieses Konto erfolgen. Die Gazprombank konvertiert das Geld in Rubel und überweist es an Gazprom.

Das ist womöglich ein Schritt, der Putin einerseits erlaubt, sich stark zu präsentieren, andererseits aber auch den westlichen Staaten gestattet, ihre Ankündigung umzusetzen, nur in Dollar beziehungsweise Euro zu zahlen. „Wenn uns das Dekret vorliegt, wird die Bundesregierung es gründlich prüfen und bewerten“, sagte eine Sprecherin des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums in Berlin am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. „Klar ist, Deutschland zahlt weiter in Euro. Daran werden wir nichts ändern, der G7-Beschluss gilt.“

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Putin hält die Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung weiter warm – auch durch Telefonate mit westlichen Regierungschefs. Am Donnerstagmorgen meldet die Nachrichtenagentur RIA, die russische Regierung habe nichts gegen ein weiteres Treffen von Außenminister Sergej Lawrow mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmitro Kuleba. Putin sieht es aber als verfrüht an, ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu arrangieren. Das berichtet Italiens Ministerpräsident Mario Draghi aus einem Telefonat mit Putin. Die Bedingungen für einen Waffenstillstand oder gar Frieden mit der Ukraine sehe Putin noch nicht für erfüllt an.

Die militärische Lage ist uneinheitlich. Im eingeschlossenen Mariupol ist seit Donnerstagmorgen ein Waffenstillstand in Kraft. Es laufen Bemühungen zur Evakuierung der Bevölkerung. Russische Truppen ziehen sich offenbar langsam aus dem Raum Kiew zurück. Allerdings geht der Beschuss mit Artillerie und weitreichenden Raketen weiter, alle paar Minuten meldet https://liveuamap.com für eine ukrainische Ortschaft: „Red Alert: aerial threat. Sirens sounding. Take cover now!“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat am Donnerstag davon abgeraten, mit zu viel Optimismus auf die jüngsten russischen Äußerungen zum Rückzug aus der Region um Kiew zu blicken. Die russischen Truppen ziehen sich nach Ansicht der Nato nicht wie angekündigt aus Teilen zurück, sondern formieren sich neu.

Die russische Armee verlagert offensichtlich aber den Schwerpunkt der militärischen Aggression nach Süden und Osten, also in die Region nördlich der 2014 völkerrechtswidrig annektierten Krim und in die seit 2014 von russischen Separatisten teilweise besetzte Donbas-Region. Für Putins Regime hat das sicher auch den Zweck, gegenüber der eigenen Bevölkerung das eigene Propaganda-Narrativ zu bestätigen, in dessen Mittelpunkt die beiden Separatistenrepubliken stehen. Die Bilder, die russische Foto-Agenturen zum Krieg anbieten, betreffen fast ausschließlich den Donbas. 

In Cherson in der Südukraine, der einzigen ukrainischen Großstadt, die die russische Armee bislang unter ihre Kontrolle brachte, wird offenbar ein „Referendum“ über die Errichtung einer moskaufreundlichen „Volksrepublik“ vorbereitet. Damit versuchten die russischen Besatzer, die Gebiete im Süden der Ukraine mit „zivil-militärischen Verwaltungen“ zu kontrollieren, teilte der ukrainische Generalstab in der Nacht zu Donnerstag mit. Das entspräche dem Muster der von Russland als unabhängig anerkannten Separatistengebiete Donezk und Luhansk. Auch auf der Krim fand nach der Annexion 2014 ein solches Referendum statt.

Die Darstellung von Erfolgen in der Ukraine könnte für Putins Regime bald umso wichtiger werden, als die ökonomischen Folgen des Krieges für die russische Bevölkerung schmerzhaft werden. Die russische Wirtschaft werde in diesem Jahr um zehn Prozent schrumpfen, schätzt die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE). Für die Ukraine sagt die Bank in ihrer am Donnerstag veröffentlichten Prognose einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 20 Prozent voraus. Die vor fünf Wochen begonnene russische Invasion im Nachbarland habe „den größten Versorgungsschock seit 50 Jahren“ ausgelöst, erklärte die EBWE. Vor dem Beginn des russischen Angriffs hatte sie noch ein Wirtschaftswachstum um drei Prozent in Russland und 3,5 Prozent in der Ukraine vorhergesagt.

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