Noch scheint Frontex-Chef Fabrice Leggeri sicher im Sattel zu sitzen. Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten dürfte den „unterstützenden“ Frontex-Kurs in Griechenland oder auch Polen begrüßen. So ist es kein Wunder, dass man ihn in Brüssel „Fabrice Teflon“ nennen soll. Die Vorwürfe prallen an ihm ab, weil sie nicht von allen als Vorwürfe gesehen werden.
Es geht dabei fast immer um Vorfälle, die inzwischen fast zwei Jahre zurückliegen. Am 19. April 2020 soll sich ein solcher „Pushback“ ereignet haben. Auf sieben Schnappschüssen, die der Spiegel nun veröffentlichte, soll gar die „Anatomie“ eines solchen zu sehen sein: Ein Migrantenboot wurde demnach von einem Schiff der griechischen Küstenwache aufgegriffen und dann in Richtung Türkei abgeschleppt. Im Laufe dieses Vorgangs hätten die griechischen Küstenschützer die Migranten bei sich an Bord aufgenommen, um sie danach wieder in das Schlauchboot zu setzen. Es geht weiter Richtung Türkei, am Ende bleibt das Migrantenboot allein zurück, angeblich ohne funktionierenden Motor, wie das beobachtende Frontex-Flugzeug gemeldet haben soll.
Leggeri soll diesen Vorgang, der auf dem Bildausdruck als „sensitive“ beschrieben wird, rasch an sich gezogen haben. Im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern stufte er das Ganze nicht als mögliche Verletzung garantierter Rechte ein. In der Folge musste sich auch die Frontex-Grundrechtsbeauftragte nicht mit dem möglichen Vorfall beschäftigen. „Bis heute bestreitet Leggeri, dass auf den Bildern Illegales zu sehen ist“, so der Spiegel.
Erinnert werden muss daran, dass Frontex an EU-Grenzen nicht als Grenzbehörde auftreten kann, sondern nur als dienstleistende Agentur, die nationale Grenzpolizeien unterstützt. Noch scheint das Innere dieser Agentur, deren Nutzen vielen Beobachtern durchaus unklar ist, in diesen Fragen fest gemauert: Subalterne Mitarbeiter bemerken, dass die Frontex-Leitung die Grenzpolitik von Mitgliedsstaaten wie Griechenland und „mögliche Unregelmäßigkeiten“ darin decke.
Migrationsminister Mitarakis: Türkische Falschmeldungen zu oft als Tatsachen hingenommen
Die griechische Regierung hat erst kürzlich wieder versichert, dass sie die EU-Außengrenzen verteidige, dabei aber stets das internationale Recht und die Charta der Grundrechte respektiere. Als Antwort auf neue Ergebnisse eines internationalen Rechercheteams rund um den Spiegel veröffentlichte das Migrationsministerium Videoaufnahmen, die türkische Küstenschutzschiffe zeigen, die Migrantenboote ungehindert weiterfahren lassen, anstatt sie abzufangen. Dabei schrecken die türkischen Schiffe auch nicht vor gefährlichen Manövern zurück, die sich direkt gegen die griechische Küstenwache richten. Sirenen kommen zum Einsatz, wie wenn die Türken sagen wollten: Die Migrantenboote sind nun in eurer Verantwortung. Die Aufnahmen stammen sämtlich aus dem Jahr 2020, was offen lässt, ob sich das Verhalten der türkischen Küstenwache seitdem verbessert hat.
Zuvor hatten der Spiegel und andere Medien wie der britische Guardian einen neuen Recherchebericht veröffentlicht, nach dem griechische Küstenschützer zwei afrikanische Migranten ins Meer geworfen haben sollen. Das war im vergangenen September. Angeblich ginge es der Regierung darum, nicht zu viele der Rettungsflöße zu bestellen, weil das Rückschlüsse auf die eigenen Praktiken zuließe. Zum anderen hätte sie schlichtweg sparen wollen. Die griechische Presse griff die Vorwürfe zum größten Teil nicht auf. Die Meldung bleibt harter, aber unbewiesener Tobak.
Daneben fordert Mitarakis, auch dies einer seiner stehenden Vorschläge, mehr Hilfe von den übrigen EU-Staaten bei der Verteilung der Migranten. Oder sollte man diese Forderung eher als subtile Botschaft an deutsche Politiker verstehen? Nach dem Motto: Entweder wir schützen die EU-Außengrenzen oder ihr nehmt die Migranten auf, die wir in den Schengenraum hineinlassen.
Entscheidet sich Leggeris Schicksal vor Gericht – oder in Berlin?
Das Schicksal Leggeris könnte sich irgendwann auch vor Gericht klären. Denn die Klage der Nichtregierungsorganisation „Front-Lex“ gegen den Frontex-Chef ist noch immer anhängig. Darin geht es um den Fall des Syrers Alaa Hamoudi, den griechische Grenzschützer am 29. April 2020 vor Samos auf dem Meer ausgesetzt haben sollen, während auch in diesem Fall ein Frontex-Flugzeug über ihnen flog.
Omer Shatz, Jurist und Mehrfach-NGO-Gründer, glaubt, dass ein Gericht Leggeri verurteilen werde, nachdem das EU-Antibetrugsamt OLAF ihn – gemäß Gerüchten – für schuldig befunden habe. Der OLAF-Bericht ist allerdings so geheim, dass ihn noch nicht einmal die mit Frontex befassten EU-Parlamentarier einsehen konnten. Am Ende könnte eine Verurteilung Leggeris an dem alten EU-Leiden Intransparenz scheitern. Der Bericht ist nur in speziell gesicherten Leseräumen einsehbar. Leggeri selbst will ihn noch nicht gelesen haben.
Entscheidend könnte werden, wie das deutsche Innenministerium mit den Vorwürfen umgeht. Horst Seehofer wurde in diesen Dingen kein Skandalisierungseifer nachgesagt. Bei seiner Nachfolgerin Nancy Faeser könnte das anders sein. Wird sie inmitten ihres immerwährenden Kampfes „gegen rechts“ Zeit finden, um am Austausch der Frontex-Führung mitzuwirken? Immerhin könnte sie so einen weiteren Nadelstich gegen die Sicherung der EU-Außengrenzen setzen, so wie sie es gleich nach Amtsantritt mit Forderungen nach einer NGO-Aufsicht über den polnischen Grenzschutz getan hatte. Und die SPD hatte schon vor der Bundestagswahl einen „personellen Neuanfang“ bei Frontex versprochen oder sich gewünscht. Man muss annehmen, dass auch mit diesem Wahlkampfwunsch der Agenturchef Leggeri gemeint war.
Hinweis in eigener Sache: Gegen TE führt die Seenotrettungsorganisation „Mare Liberum“ eine Reihe von Presserechtsprozessen. TE soll blockiert werden bei unseren Recherchen über die Vorgänge an der Küste Griechenlands. Es soll uns verunmöglicht werden, über die höchst zweifelhafte Rolle der beteiligten NGOs zu berichten. So dürfen wir nach derzeitigem Prozessstand nicht mehr über griechische Polizeiberichte informieren. Berichte aus griechischen Zeitungen dürfen in Deutschland nicht veröffentlicht werden. TE wird diese Prozesse mit Entschiedenheit weiterführen. Bei den dafür notwendigen Geldmitteln werden wir von unseren Lesern unterstützt. Dafür danken wir und versichern: Diese NGOs werden uns nicht stoppen.
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