„Ich lag falsch, wir alle lagen falsch“, lautet die Überschrift eines Interviews mit Wolfgang Schäuble. Dabei räumt er ein, einen Krieg für unmöglich gehalten zu haben. Er sagt, dass es ein Fehler war, die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen zu haben, dass Nord Stream 2 ein Fehler gewesen sei und man hätte stutzig werden müssen, als die Gasspeicher im Herbst nicht gefüllt wurden. Es sei ein Fehler gewesen, die Bundeswehr wehrlos zu machen und nicht 2 Prozent des BIP in die Verteidigung zu stecken usw. – die Politik hat eigentlich alles falsch gemacht. Und nun? Soll das reichen? Menschen sterben und unsere Politiker sagen ups, da ist mir ein Fehler unterlaufen?
Da drängt sich die Frage auf, warum man nun einer Politik vertrauen soll, die alles falsch gemacht hat? Ein dermaßen schlechtes Urteilsvermögen heilt nicht über Nacht. Es reicht nämlich nicht, Fehler nachträglich zu erkennen. Nachher ist man immer schlauer, wichtig ist es aber, Politiker zu haben, die Situationen und Abläufe vorher zutreffend einschätzen können. Es waren ja auch nicht alle, die sich irrten. Viele – auch in Deutschland – warnten. Sie wurden verunglimpft, ähnlich wie Polen, welches durch die derzeitigen Entwicklungen nicht überrascht wurde.
Daher sei die Sorge in Polen groß, dass Russland sich keineswegs mit der Ukraine zufriedengebe. „Dabei gilt der russisch-ukrainische Krieg in Polen auch weniger als eine Auseinandersetzung zwischen westlichem Linksliberalismus und (angeblich) russischem Konservatismus, wie viele europäische Intellektuelle glauben, die sich aus Abneigung gegenüber dem US-amerikanischen ‚Wokeismus‘ lieber auf die Seite Putins schlagen“, meint Engels. Die Polen würden sich hingegen keinen Illusionen über Russland hingeben, das alles andere als ein konservatives Musterland sei und weniger die Interessen des Abendlandes als vielmehr die Ausweitung der eigenen Machtsphäre im Sinn habe.
Polen sehe in der Ukraine einen Partner für den Aufbau eines christlich-freiheitlichen Konservatismus, der den Nationalstaat als Schutzraum eigener Entfaltung sieht. Damit schätzt Polen die Lage ähnlich ein wie die Ukraine und übrigens auch wie die Nato, denn sonst würde diese die Ostflanke nicht verstärken. Tatsächlich sitzen aber im Westen links- und rechtsgerichtete Politiker in einem Boot, vereint in der Ablehnung der USA (oder innerhalb der USA des Wokeismus) und – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen – Russland idealisierend.
Momentan gibt es in Deutschland de facto keine Partei mehr, die glaubhaft für die Werte, die Basis unseres Grundgesetzes sind, eintritt. Nun aber soll eine Zeitenwende kommen, jedenfalls hat Kanzler Scholz dieses vollmundig angekündigt. Alle Fehler der alten werden nun von der neuen Regierung behoben.
Dass Gas „grün“ sein soll, ist und bleibt ein Treppenwitz der Geschichte, der auch das andere, quasi religiöse Thema, nämlich den Klimawandel, ad absurdum führt. Wäre man ernsthaft um die CO2-Bilanz besorgt, dann kämen nur Kernkraftwerke in Betracht. Vernünftige Menschen würden einen Energiemix bevorzugen, der zuverlässig und krisenfest ist. Dazu gehören neben Sonnen- und Windenergie vor allem moderne Kern-, Kohle- und Gaskraftwerke, gerade Deutschlands Gasreserven sind beachtlich.
So stellte die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in ihrer aktuellen Studie fest, dass Deutschland einen Gasverbrauch von ca. 90,8 Milliarden Kubikmeter pro Jahr hat. Die Gasreserven in Deutschland werden auf 1,36 Billionen Kubikmeter geschätzt, das heißt die Versorgung wäre für viele Jahre autark gesichert.
Aber Habeck ist es lieber, äußerst klimaschädlich lange Lieferwege in Kauf zu nehmen und Gas aus Staaten zu beziehen, deren Menschenrechtslage bestenfalls als kritikwürdig zu bezeichnen ist. Das böse Fracking ist ebenfalls erlaubt, Hauptsache es ist nicht in Deutschland. Da ist keine Zeitenwende zu erkennen, das ist und bleibt ebenso unvernünftig wie scheinheilig.
Das Wording und die Taten klaffen auch bei Kanzler Olaf Scholz weit auseinander. Mittlerweile scheint auch ihm aufgefallen zu sein, dass sein Plan, die Verteidigungsfähigkeit wieder herzustellen, mit dieser Verteidigungsministerin weder glaubhaft noch machbar ist. Allerdings ist der Gedanke, keinen Experten mit dem Amt zu betrauen, sondern die Verteidigung zur Chefsache zu machen, auch keine Lösung. Was weiß denn Scholz, der Kriegsdienstverweigerer und Kritiker der „aggressiv-imperialistischen“ Nato über Verteidigung?
Seine neueste Idee ist, für Deutschland den israelischen Iron Dome zu beschaffen, der Deutschland, Polen, das Baltikum und Rumänien vor feindlichen Angriffen schützen soll. Allerdings heißt „schützen“ der anderen Staaten nur, dass man Polen, Rumänien und dem Baltikum Radarbilder liefert, Raketen und Abschussvorrichtungen müssten sie sich dann selbst beschaffen. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, wenn irgendjemand dem Kanzler einmal gesagt hätte, dass die Nato bereits eine integrierte Luft- und Raketenabwehr hat und es klug wäre, sich innerhalb der Nato abzustimmen.
Die Nato-Raketenabwehr besteht aus mehreren Komponenten, so dem Raketenabwehrschirm Aegis der USA zur Abwehr ballistischer Flugkörper. Das Herzstück dieser Raketenabwehr ist übrigens ein hochleistungsfähiges Radar. Hauptsächlich sind diese Systeme seegestützt, aber es gibt auch zwei landgestützte, eines in Rumänien, ein anderes in Polen. Ein Bedarf an Hochleistungsradar besteht in Polen und Rumänien mithin nicht. Ein weiteres Raketenabwehrsystem, ebenfalls von den USA entwickelt und im Rahmen der Nato eingesetzt, ist die Terminal High Altitude Area Defense (THAAD), welches auf eine andere Art funktioniert als Aegis. Dieses System ist vor allem geeignet, Kurz- und Mittelstreckenraketen abzufangen, in begrenztem Maße auch Interkontinentalraketen. Ein solches System ist nicht nur in Südkorea, sondern auch in Rumänien stationiert.
Damit ist Deutschland derzeit dank der Nato, konkret dank der US-Amerikaner, gegen Raketenangriffe relativ gut geschützt, zumindest wenn die Raketen aus dem Osten (auch dem Iran) kommen. Der Iron Dome ist demgegenüber als Abwehr gegen den Angriff kleinerer Kurzstreckenraketen konzipiert, wie sie vom Gaza-Streifen abgeschossen werden. Will Scholz ernsthaft die russische Armee so nah herankommen lassen? Oder fürchtet er, Holland würde uns angreifen? Man weiß es nicht. In Fachkreisen stößt sein Vorstoß auf Befremden, allein schon, weil ein Land wie Deutschland nur schwer komplett abschirmbar ist.
Übrigens ist der Nato-Raketenschirm der Grund, weshalb Russland Hyperschallraketen entwickelt hat. Mit diesen Hyperschallraketen, die keine ballistische Flugbahn nutzen, hofft Russland den Raketenschirm umgehen zu können. Die Demonstration, dass Russland den Raketenschirm überwinden könne, war wohl der Hauptgrund für den Einsatz der extrem teuren Kinschal-Rakete, die ansonsten keinen Vorteil gegenüber herkömmlichen Raketen hat. Der Iron Dome hilft da aber auch nichts.
Schon Scholz’ erste Amtshandlung als Ersatzverteidigungsminister überzeugte nicht, nämlich der Luftwaffe einen Ersatz für die 85 Tornado Jets (Erstflug 1974, Indienststellung 1980) zu verweigern. Ein Flugzeug, das wie die F-35 erst in zehn oder mehr Jahren geliefert wird, löst heute keine Probleme und zwar unabhängig davon, ob es das Spitzenmodell unter den Jets ist oder aber aufgrund von Mängeln die meiste Zeit am Boden steht, wie die Untersuchungen des Pentagon ergaben. Tatsächlich hatte das Verteidigungsministerium unter Annegret Kramp-Karrenbauer eine ganz andere Entscheidung getroffen, die der Luftwaffe umgehend zu modernen Kampfjets verholfen hätte. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion legte das Verteidigungsministerium seine Kriterien und Entscheidungsgründe offen:
Erstens: „Deutschland erhält seine NATO-Fähigkeiten bruchfrei und hält mithin seine Zusagen gegenüber der NATO ein. Für den Fähigkeitsübertrag bedarf es der Einführung zeitnah marktverfügbarer Waffensysteme.“
Zweitens: „Die deutsche und die europäische wehrtechnische Industrie werden ausgelastet. Es sollen technisches und industrielles Know-how in Deutschland und Europa erhalten bleiben und neue Entwicklungen gefördert werden.“
Drittens: „Die Zukunft der Luftwaffe wird das europäisch entwickelte und gebaute Next Generation Weapon System (NGWS) in einem Future Combat Air System (FCAS) sein. …
Diese Entscheidung wurde laut BMVg auf Grundlage der besser abschätzbaren und damit kalkulierbaren Risiken und einer besseren Prognose der Kosten-Nutzenrelation gegenüber den Modellen F-15 und F-35 getroffen. Für die F-18 sprechen zudem operationelle Erwägungen und Aspekte der Flugsicherheit, vor allem im Hinblick auf die zu erfüllende Rolle der nuklearen Teilhabe, wie das BMVg schreibt. In dem Papier heißt es, dass von den untersuchten Flugzeugmustern unter den betrachteten Einsatzszenarien lediglich der Verbund aus F/A-18F und EA-18G ein hohes Maß an Durchsetzungsfähigkeit und Überlebensfähigkeit gewährleisten könne.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser)
Aber all das interessiert den Kanzler offenbar nicht. Er macht mal dies, mal das, alles Stück- und Flickwerk statt konzeptionellem Denken. Damit zeigt sich, dass nach wie vor die größte Fähigkeitslücke Deutschlands im politischen Personal liegt. Mit denselben Leuten, welche die Probleme mit ihrer Denkweise und (mangelnden) Urteilsfähigkeit zu verantworten haben, werden wir den Ausweg aus der desaströsen Lage definitiv nicht finden.