Tichys Einblick
Das Saarland wählt

Regierungswechsel bahnt sich an – Merkel-CDU droht eine weitere Abwahl

Knapp 800.000 Saarländer sind an diesem Sonntag zur Wahl aufgerufen. Ein Regierungswechsel deutet sich an. Anke Rehlinger (SPD) könnte Tobias Hans (CDU) aus der Staatskanzlei verdrängen. Auch wenn das Land klein ist, wird das Ergebnis bundesweite Debatten anfeuern.

IMAGO / BeckerBredel

Die offene Frage dieser Landtagswahl ist, wie viele Parteien ins Parlament einziehen: Zwischen zwei und sechs Parteien ist alles drin. In der jüngsten Umfrage, die das ZDF in Auftrag gegeben hat, lagen die kleinen Parteien bei 4 (Linke) bis 6,5 (AfD) Prozent. Die beiden müssen hoffen, im Landtag zu bleiben. Die FDP und die Grünen sind dort bisher nicht vertreten. Im Saarland sind die Volksparteien traditionell stärker als in anderen Bundesländern. Von 1999 bis 2004 gab es an der Saar zuletzt einen Landtag, dem nur zwei Parteien angehörten.

Die FDP spielte im Saarland noch nie eine bedeutende Rolle, eine nennenswerte besitz- oder bildungspolitische Elite fehlt im Land des Bergbaus. Die anderen drei kleinen Parteien sind heillos zerstritten: Bei den Grünen wirkt immer noch Hubert „Der Panzer“ Ulrich hinter den Kulissen, seinen Versuch, für den Bundestag zu kandidieren, torpedierte im vergangenen Jahr der Bundesvorstand – mit der Folge, dass die Grünen im Saarland gar nicht zur Bundestagswahl antraten.

Heillos zerstritten ist auch die Saar-AfD. Der ehemalige Meuthen-Flügel rebellierte hier gegen den langjährigen Vorsitzenden Josef Dörr. Der galt selbst in der AfD vielen als zu weit rechts. Der Hardliner war übrigens früher Grüner und bei den Grünen Schatzmeister sowie intimer Vertrauter von Ulrich. Die Folge der Querelen: Die AfD tritt nur über die Wahlkreise an und hat keine eigene Landesliste, zudem laufen Ausschlussverfahren. Zwei sind bekannt. Dass es noch weitere gibt, ist in diesem Chaos nicht auszuschließen.

Apropos Chaos, apropos Ausschlussverfahren: Wie um die Hufeisentheorie zu beweisen, gibt es den gleichen Stress wie bei der AfD auch bei den Linken. Dort ist Oskar Lafontaine (Linke, früher) einem möglichen Rauswurf zuvorgekommen und ausgetreten. Noch 2008 sah es zwischenzeitlich so aus, als ob die Linke an der Saar sogar den Ministerpräsidenten stellen könnte – doch seitdem hat sich die Partei 14 Jahre lang fleißig ins Abseits gestritten.

An der Spitze deutet sich ein weniger spannendes Rennen an: Die Spitzenkandidatin Anke Rehlinger (SPD) führt laut ZDF mit 41 Prozent vor Ministerpräsident Tobias Hans (CDU), der demnach nur auf 28 Prozent kommt. Rehlinger ist die amtierende Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin in einer großen Koalition. Die ehemalige Kugelstoßerin führte über den gesamten Wahlkampf. Der Amtsinhaber versuchte, mit einer Debatte um Spritpreise den Vorsprung aufzuholen – seitdem ist er größer geworden, der Vorsprung.

Geprägt war der Wahlkampf weniger von den regionalen Themen. Der Amtsinhaber versuchte zwar Anfang des Jahres, das Thema Besuch der Gymnasien zu setzen. Die Regel-Dauer bis zum Abitur sollte von acht auf neun Jahre verlängert werden. Allerdings vertritt die SPD die Position schon länger und die CDU warb bis zu Hans‘ Initiative damit, „G8“ eingeführt zu haben.

Die Christdemokraten stellen seit 1999 den Ministerpräsidenten an der Saar. Peter Müller (CDU) löste 1999 Reinhard Klimmt (SPD) ab. Der hatte das Amt davor von Oskar Lafontaine (SPD, damals) übernommen, es bei einer Wahl zu verteidigen, gelang ihm nie. Dieses Schicksal droht nun auch Hans. Er hatte das Amt von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) geerbt, als diese nach Berlin ging. Sie war von 2011 bis 2018 saarländische Ministerpräsidentin.

Zu Beginn beherrschte die Pandemie den Wahlkampf als Thema. Hans hatte sich ursprünglich als Hardliner versucht zu etablieren, war dann einer der ersten Ministerpräsidenten, der wieder öffnen wollte, um dann wieder den Hardliner zu geben. Was seiner Glaubwürdigkeit besonders geschadet hat: Während er seinen Landeskindern eines der härtesten Regelwerke bundesweit verpasste, mit drastischen Strafen für Leute, die außerhalb ihres Wohnortes einkauften, fuhr er selbst in Urlaub. Zudem hielten seine Regeln mehrfach vor Gericht nicht stand.

Als der Krieg begann und Hans schon hinten lag, versuchte er sich dann als Spritpreisrebell. Im Stile eines Wutbürgers filmte er sich selbst vor einer Tankstelle und warf der Bundesregierung vor, sich an den Autofahrern zu bereichern. Stimmen die Prognosen, hat ihm niemand diesen Twist abgenommen. Denn bis zu seinem Rückstand in den Umfragen galt Hans als Anhänger der Merkelschen Klimaschutzpolitik. Die ginge noch nicht weit genug, klagte er 2019 – als es noch nicht galt, Autofahrer zu umgarnen, sondern die Medienlieblinge von FFF.

Hans’ inkonsequentes Verhalten wird denn am Sonntag auch Spielraum für Interpretationen lassen. Die SPD würde einen Sieg als Bestätigung der Arbeit in Berlin auslegen. Zumal Rehlinger eine Ampel als Koalition anstrebt. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich denn auch für den Wahlsonntag zu Anne Will einladen lassen. Wie eine Niederlage in der CDU wahrgenommen wird, ist indes offen: Die Gegner des neuen Vorsitzenden Friedrich Merz werden versuchen, ihm diese Niederlage anzuheften. Allerdings galt Hans eben als überzeugter Merkelianer. Auffällig war, wie wenig ihn die Bundespartei im Wahlkampf unterstützte. Sodass auch die Interpretation greifen kann, dass an der Saar die alte Merkel-CDU ausgekehrt wird. Kritik an seiner Kampagne gibt es zudem intern schon jetzt. Angesichts der vielen Twists und der obskuren PR-Linie ein durchaus verständlicher Ansatz.

Es gibt aber auch noch eine andere Sicht, das Ergebnis zu interpretieren, so wie es sich jetzt andeutet: Seit 2017 hat kein Ministerpräsident mehr eine Landtagswahl verloren. Trat der Amtsinhaber an, hat er auch gewonnen. Der letzte, dem ein Wechsel gelang, war Armin Laschet (CDU) gegen Hannelore Kraft (SPD) in Nordrhein-Westfalen. Die meisten Landtagswahlen wurden in der Zwischenzeit als „Kampf gegen Rechts“ stilisiert, sodass sich Wähler verschiedener Parteien mit dem Ministerpräsidenten solidarisch zeigten. Zudem neigen Wähler in Krisenzeiten eher zu Stabilität, folglich zum Amtsinhaber. Würde Hans abgewählt, zeigt das zum einen, dass die Menschen mit ihm besonders unzufrieden waren. Zum anderen wäre es Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit – auch wenn paradoxerweise davon die Regierungspartei im Bund profitiert.

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