Die Bilder von den zivilen Opfern und Schäden, die Putin seit fast drei Wochen in der Ukraine mit wachsender Brutalität anrichten lässt, und die Debatten um die Frage, wie man Putins Feldzug eindämmen oder beenden kann, prägen die öffentliche Debatte. Verdrängt wird dabei, welche Rolle China in diesem Konflikt spielt oder spielen könnte.
Wir haben uns dazu für TE einige Analysen von exil-chinesischen Wissenschaftlern sowie der BBC, der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) angeschaut und geben unseren Eindruck hier wieder.
Stichwort: Der Westen habe eine aggressive Ost-Erweiterung betrieben und die Sicherheitsinteressen Moskaus gefährdet. Russland sei eben in die Enge getrieben worden und habe keine andere Wahl gehabt, als sich zu wehren. Zudem gibt es in China Sympathien für den Gedanken, dass China ähnliche Taktiken anwendet, um seine Streitereien über Taiwan und das Südchinesische Meer beizulegen bzw. zu seinen Gunsten zu beenden.
Interessante chinesische Begleit- und Zwischentöne
Aber es gibt den einen oder anderen interessanten Begleit- und Zwischenton. So hat KPC-Parteichef Xi Jinping die USA nach einem zweistündigen Gespräch mit US-Präsident Biden aufgerufen, sich mit Peking für Frieden in der Welt einzusetzen. Wörtlich sagte Xi: „Die Krise in der Ukraine ist etwas, das wir nicht sehen wollen.“ Interessant ist auch, was chinesische Botschafter verlautbaren ließen. Am 15. März traf der chinesische Botschafter in Kiew, Fan Xianrong, mit ukrainischen Militärs zusammen. Er würdigte die „strategische Partnerschaft“ zwischen China und der Ukraine und bot wirtschaftliche und humanitäre Hilfe an. Fan sagte auch, dass China „die Souveränität der Ukraine respektieren“ und „die Ukraine niemals angreifen“ werde.
Am 16. März strahlte der Nachrichtensender CCTV wiederholt eine Erklärung des ukrainischen (!) Militärs vom 15. März aus. Es ging darin um die Verluste, welche die russischen Truppen bei ihrem Einmarsch bisher erlitten hatten. Man muss dabei bedenken, dass zuvor das chinesische Propagandaministerium die Medien ausdrücklich aufgefordert hatte, keine „ungünstigen Nachrichten“ über Russland zu verbreiten.
Qin Gang, Chinas Botschafter in den USA, veröffentlichte am 16. März einen Gastkommentar in der „Washington Post“. Darin bestreitet er, dass China im Voraus von Russlands Kriegsplänen gewusst und Putin gebeten habe, diese bis nach den Olympischen Winterspielen zu verschieben. Bezeichnenderweise verwendet er in seinem WP-Artikel sogar das Wort „Krieg“.
All diese zitierten Äußerungen kommen nicht direkt von Parteichef Xi, aber auch nicht ohne seine Billigung. Es kann deshalb sein, dass Peking wenigstens noch auf eine gewisse Dauer auf zwei Klavieren spielt. Eine Affinität Chinas zu Russland bzw. Putin ist dennoch nicht zu übersehen. Denn Chinas starker Mann Xi und Putin sind sich als Autokraten viel zu ähnlich, sie sind sich in ihrem Anti-Amerikanismus viel zu einig, als dass sie aus dieser Haltung herauskämen. Beide sind Alleinherrscher, beide haben mit Demokratisierungen nichts am Hut. Beide fürchten eine Ukraine, in der sich Demokratie und Westorientierung durchsetzten. Für Xi liegt die Ukraine zwar nicht vor der Haustür, aber vor der Haustür hat Xi die „abtrünnige“ Provinz Taiwan, die er über kurz oder lang schlucken möchte. Spätestens bis zum Jahr 2049, wenn die Volksrepublik ihr hundertjähriges Bestehen feiert. Und beide, Putin (69) und Xi (68), wollen mindestens auf Augenhöhe mit den USA sein. Putin als Befehlshaber über die nach den USA zweitstärkste Militärmacht der Welt; Xi als Lenker einer Volkswirtschaft, die sich anschickt, die USA als Wirtschaftsmacht einzuholen oder gar zu überholen.
Putins Krieg gegen die Ukraine bereitet China jedenfalls heftiges Kopfzerbrechen. So erklären sich Pekings Eiertänze und Drahtseilakte. Der Krieg kommt für die chinesische Führung auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Im Oktober findet vor Chinas Haustür, auf Bali, das G20-Treffen statt. Gastgeber Indonesien möchte das Thema „Ukraine“ gerne weg von der Tagesordnung haben. China wohl auch. Russland ohnehin. Der Westen wird das nicht zulassen. Und noch wichtiger: Im November 2022 findet der 20. Parteikongress der KPC statt. Xi will sich dort eine weitere fünfjährige Amtszeit sichern. Da kann Chinas starker Mann – zumal nach fast drei Jahren Corona – nicht auch noch aufgrund von Sekundärsanktionen, die sein Land treffen, einen Rückschlag seiner Volkswirtschaft brauchen. Denn die Wirtschaft samt möglichst viel Wohlstand für Hunderte von Millionen Chinesen ist das Lebenselixier der KPC.
Welche Szenarien treiben Peking um?
Szenario 0 (NULL) ist dahin. Es wäre dies ein Blitzsieg Putins gewesen. Für Peking wären dies eine Bestätigung eines autokratischen Systems, eine Niederschlagung eines Demokratisierungsprozesses und eine Stärkung der anti-amerikanischen Allianz gewesen. Die Kooperation Chinas mit Russland und mit dem Westen wäre bald reibungslos weitergegangen.
Szenario 1 ist ein langer Krieg, der für Russland womöglich endet wie der sowjetische Einsatz in Afghanistan von 1979 bis 1989: in einem Guerillakrieg verlustreich mit einer Niederlage. Eine Autokratie wäre geschwächt, die Reparationskosten wären enorm. China könnte sekundär Leidtragender von andauernden Wirtschaftssanktionen gegen Russland werden, etwa indem der Westen seinen Technologietransfer nach China einstellt. Keine Option für China.
Szenario 2 ist ein atomar geführter Weltkrieg. Auch er kann keine Option für China sein. Der Ausgang wäre ungewiss. Der Westen – bzw. dessen Reste – wäre noch mehr geeint, China geschwächt, chinesische Exporte wären kaum noch möglich.
Szenario 4 ist ein Ende des Krieges durch Verhandlungen. Das wäre Pekings Lieblingsoption, nachdem Szenario Null rasch hinfällig geworden war. Eine Autokratie wäre zwar geschwächt, Putin bliebe aber dennoch weiter im Amt. Die westliche Allianz wäre geschwächt, Russland bliebe Chinas Partner. Die USA und die EU stünden bald wieder als Wirtschaftspartner zur Verfügung.
Was also macht Peking? Da es drei der vier Szenarien (1, 2 und 3) nicht befördern will, wartet es ab und laviert. Auch die Option 4 (Szenario „Verhandlungsfrieden“) wird nicht unbedingt nach Pekings Geschmack sein. Peking könnte zwar in diesem Sinne erheblichen Druck auf Putin ausüben, aber man wird in der KPC mitbedenken, was ein Eintreten Chinas für Friedenverhandlungen eines Tages für die eigene Absicht bedeuten könnte, Taiwan zu schlucken. China will in dieser Sache keineswegs verhandeln. Wie auch immer: China denkt vom Ende her und stellt sich selbst die Frage: Was nützt, was schadet uns mittel- und langfristig am meisten.