Tichys Einblick
"Marionette zweier Männer"

CDU in Rheinland-Pfalz attackiert Bundesministerin Anne Spiegel

Anne Spiegel war in Rheinland-Pfalz nur eine politische "Marionette von zwei Männern". Diesen Vorwurf hat die CDU im Land geäußert. Die Grünen sind "fassungslos". Auch weil die CDU einen wunden Punkt getroffen hat: die Realität der Gleichstellung.

IIMAGO/Christian Spicker

Eins muss man den Grünen lassen. Sie stehen ihre Wordings durch. Nach dem Versagen in der Flutnacht zum 15. Juli hatte sich das grüne Umweltministerium gesorgt. Nicht etwa wegen der Toten oder der Schäden oder der Versorgung der Überlebenden. Sondern wegen des „Blame Games“. Die Ministerin und faktische Spitzenfrau der rheinland-pfälzischen sollte keine Schuld treffen. Obwohl ihr Haus nachmittags eine Pressemitteilung herausgab, die Anwohner in der falschen Sicherheit wog, ein Extremhochwasser sei nicht zu erwarten. Obwohl das dem Ministerium unterstellte Umweltamt eine Stunde später warnte, dass dies eine gefährliche Falschmeldung sei. Obwohl ihr Staatssekretär Erwin Manz entschied, diesen Fehler nicht zu korrigieren. Und obwohl die Ministerin zu einem Abendessen verschwand und nicht mehr erreichbar war. Als die Menschen an der Ahr um ihr Leben kämpften, pflegte die für Pegelstände zuständige Ministerin ihre Work-Life-Balance.

Wie viele der 134 Toten könnten noch leben, wenn sie richtig informiert worden wären? Ob sich Anne Spiegel diese Frage privat stellt, ist nicht bekannt. Dass die Grünen an dieser Frage vorbei lavieren, kann jeder öffentlich verfolgen. Dabei halten sie sich an der Sprachregelung fest, deren Kreation am Morgen nach der Flut die oberste Priorität des grünen Umweltministeriums war: Die Ministerin habe ja informiert, etwa im Landtag. Damit zeigen die Grünen: In Sachen „Blame Game“ macht ihnen keiner was vor. Sie reichen die Schuld weiter an die Bürger an der Ahr. Deren Schicksal war Spiegel schon in der Flutnacht weniger wichtig als Ruhe bei Abendessen und Schlaf – warum sollte es in der Aufarbeitung des Geschehens anders sein? Die begangenen Fehler ignorieren die Grünen in ihrer Sprachregelung in der Hoffnung, dass die ihnen geneigte Landespresse sie bald vergessen haben wird – eine realistische Einschätzung.

Doch die rheinland-pfälzische CDU hat noch einmal Öl ins Feuer gegossen. Christian Baldauf, Fraktionschef und vermutlich bald Landesvorsitzender, attackiert Spiegel persönlich, fordert ihren Rücktritt. Denn: Spiegel betreibe „Verantwortungsflucht“ und sie fungiere „zumindest teilweise als politische Marionette des grünen Fraktionsvorsitzenden Bernhard Braun und von ihrem ehemaligen Staatssekretär Erwin Manz“. Der Treffer saß. Der grüne Landesvorstand verließ das Wording, ging zum Gegenangriff über und zog dabei den Geschlechts-Joker: „Wir erachten es außerdem als sexistisch und chauvinistisch, eine derzeitige Bundesministerin und eine ehemalige stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, als ‚politische Marionette‘ von zwei Männern zu bezeichnen. Das entspringt einem politischen Denken des letzten Jahrhunderts und lässt uns fassungslos zurück.“

Es ist die Frage, wer chauvinistisch ist? Derjenige, der diese Struktur angesprochen hat wie die CDU? Oder doch der, der diese Struktur lebt? Denn die rheinland-pfälzischen Grünen haben zwar eines der strengsten Frauenstatute in der Partei. Doch im Alltag dominieren einzelne Männer. Wegen der nach Außen gelebten Idee „Trennung von Amt und Mandat“ sind die Zuständigkeiten nicht transparent. Nach Innen ist aber Fraktionsvorstand Bernhard Braun der Chef der rheinland-pfälzischen Grünen. Wer diesen Landesverband verstehen will, muss ihn verstehen.

Der 63-Jährige studiert zuerst Theologie, promoviert dann aber in Philosophie. Er ist ein frühes Beispiel für die Art von politischen Karrieren, die heute normal sind: Nach dem Studium arbeitet er erst für die Partei, dann wird er selbst in den Landtag gewählt. Doch 2006 erhält diese Karriere einen Knacks. Die Grünen fliegen aus dem Landtag. Ministerpräsident Kurt Beck hat es durch die Wahl der FDP zum Koalitionspartner geschafft, die Grünen im Land unbedeutend zu halten. Braun hofft auf ein Comeback, übernimmt den Landesvorsitz des „BUND“, um im Gespräch zu bleiben.

2011 dann das Comeback. Mit Rückenwind aus Fukushima holen die Grünen 15,4 Prozent und bilden mit der SPD die Landesregierung. Es herrscht die Stimmung, die alten Fehler nicht wiederholen zu wollen. Die Fraktion stellt gezielt keine ehemaligen Mitarbeiter ein, obwohl der gesamte Parteiapparat einen hohen Personalbedarf hat. Für Braun eine gefährliche Lage. Als Mann der alten Generation sollte er eigentlich abgemeldet sein.

Doch es sind zwei Wesensmerkmale, die Braun ausmachen und die ihm jetzt helfen. Zum einen war er bis 2011 die Rolle der Opposition so gewöhnt, dass sie ihm zur Grundhaltung wurde. Zum anderen ist er ein genialer Strippenzieher. Wenn er sein Talent später einsetzte, tat er sich schwer mit dem eigenen Gestalten. Doch wenn es darum ging, die Pläne anderer zu torpedieren, war und ist er ein Meister. Also begnügte er sich 2011 mit dem wenig einflussreichen Amt des Vizepräsidenten im Landtag und legte gegen die seinerzeit eigentlichen Chefs der Partei, Wirtschaftsministerin Eveline Lemke und Fraktionschef Daniel Köbler, politisches Gift aus.

Nachdem die Grünen 2016 die Wahl verloren, wirkte das Gift. Lemke und Köbler wehrten sich gegen die Entmachtung, hatten letztlich aber keine Chance. Braun wurde Fraktionsvorsitzender und damit als Mächtiger sichtbarer, als es einem Strippenzieher eigentlich lieb sein kann. Zum Instrument seiner Politik wurde Anne Spiegel. Und ob man oder frau den Ausdruck Marionette nun mag, inhaltlich traf er zu.

Spiegel hatte als Mitarbeiterin selbst vor 2006 etwas Landtagsluft geschnuppert. 2011 wurde sie eine von 16 Grünen, die erstmals als Abgeordnete ins Parlament zogen. Erfahrung in dieser Funktion hatten nur Braun und Nils Wiechmann. Der wurde parlamentarischer Geschäftsführer. Zusammen mit Vorsitz und Vizepräsidentenamt hatte die Fraktion alle wichtigen und gut bezahlten Jobs an Männer vergeben. Sah nicht gut aus für eine Frauenpartei. Also lag es nahe, Spiegel zusammen mit Jutta Blatzheim-Roegler zu Vize-Vorsitzenden zu machen.
Aber wie viel hatten die zu sagen? Pressemitteilungen zum Beispiel mussten der Fraktionschef oder der Geschäftsführer freigeben. Nur wenn beide abwesend waren, durften die Stellvertreterinnen eine Freigabe erteilen. Das passiert ein einziges mal: Der Flugplatz in Speyer wird nach seinem Ausbau eröffnet. Spiegel kommt aus Speyer. Zusammen mit Blatzheim-Roegler und der Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner gibt sie eine Pressemitteilung heraus, dass die Grünen gegen den Ausbau waren und ihn verhindert hätten, wenn die Koalition mit der SPD früh genug gekommen wäre.

Die SPD ist sauer. Köbler und Wiechmann sind sauer. Weil die SPD sauer ist. Vor allem aber weil sie den Kontrollverlust hassen. In der Sitzung des Fraktionsvorstands wird es laut. Köbler und Wiechmann attackieren Spiegel. Die stürmt aus der Sitzung. Das Gesicht tränenüberströmt. Männer, die Frauen korrigieren? Keine Ausnahme. Rößner gibt ein Interview. Sie erteilt die Freigabe, die Zeitung hat den Text schon gesetzt. Da ruft sie die Freigabe zurück. Sie hatte es Braun, da schon Fraktionsvorsitzender, vorgelegt, der hatte eine Stelle moniert. In der hatte Rößner gesagt, dass Frauen ein Interesse daran hätten, nachts auf der Straße sicher zu sein. Die Forderung nach der Sicherheit für Frauen wird nicht publiziert. Ein Mann hat es verhindert. Grüne Gleichstellung in der Realität.

Braun wird zum Mentor und Berater Spiegels. So wie er es am liebsten hat: aus dem Hintergrund. Er verhilft der Frau, die wie er aus der Pfalz kommt, gegen Mitbewerberinnen zur Spitzenkandidatur, er macht ihr den Weg an die Spitze des Familienministeriums frei und er managt die schweren ersten Jahre, in denen Spiegel mit dem Amt sichtbar überfordert ist und sich mehrfach der Forderung nach Rücktritt ausgesetzt sieht. Ist es sexistisch und chauvinistisch, wie der grüne Landesvorstand sagt, zu behaupten, Spiegel sei nur die Marionette zweier Männer?
Zumindest für Braun trifft es zu. Er selbst hätte nie stellvertretender Ministerpräsident werden können. Das grüne Frauenstatut in Rheinland-Pfalz hätte das verhindert. Doch aus dem Hintergrund zu steuern, liegt ihm ohnehin mehr. Hatte er jetzt von oben die Fäden in der Hand oder die Hand im Rücken von Spiegel? Das ist letztlich eine Geschmacksfrage. Die Frage, zu welcher Metapher man greifen will. Oder frau.
Die Protokolle zu den Beratungen im Hause Spiegels liegen offen. Ihr Inhalt ist nicht dementiert. Der Verlauf dieser Beratungen ist wenig schmeichelhaft für Spiegel: Sie zeichnen das Bild einer Frau, die auf Männer hört, wenn es eng wird. Die in einer Führungsposition sein, aber im Ernstfall nicht führen will. Die am liebsten immer noch weinend weglaufen würde, wenn die Verantwortung für ihr Handeln oder ihr Unterlassen getragen werden müsste.

Die Grünen werden an Spiegel festhalten. Sie werden an der Sprachregelung festhalten und sie können dabei auf eine Presse vertrauen, die nicht so gerne nachfragt, wenn es um Grüne geht. Die Kabinettsbeteiligung der Grünen ist Machtbalance. Spiegel erfüllt im Bund die Rolle als Linke und Frau. Diese Balance wird die Partei nicht aufgeben. Nicht wegen den Toten an der Ahr, die schon am Morgen danach weniger wichtig waren als die Sorge um das „Blame Game“. Spiegel bleibt Ministerin, weil sie als Frau eine Quote erfüllt. Die Grünen werden das sexistisch finden. Es festzustellen. Nicht es zu praktizieren.

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