Wenn in den Sonntagsreden, die inzwischen sieben Tage in der Woche gehalten werden, und in den tapferen Artikeln der deutschen Presse die von Putin nicht erwartete Einigkeit und Stärke Europas dithyrambisch mit viel hohlem Pathos gefeiert wird, so erweist sich das mit einem nüchternen Blick als das berühmt-berüchtigte Pfeifen im Walde. Der Niedergang der westlichen Welt, allen voran Europas, der seinen Grund in der Wirklichkeitsblindheit und Utopieseligkeit oder im wahrsten Sinne des Wortes Weltfremdheit der sogenannten Eliten findet, wird seit mindestens einem Jahrzehnt nur allzu deutlich.
Am 5.12.2018 hatte ich auf TE geschrieben: „Die Globalisierung ist an ihr Ende gekommen. Knallharte Hegemonialkämpfe finden zwischen Mächten statt, die nationalstaatlich basiert sind.“ Und am 5.12.2021: „Deutschland und auch Europa müssen sich in der Veränderung der Machtverhältnisse auf der Welt neu finden und neu positionieren. Deutschland und Europa haben die Initiative verloren. Diese zurückzugewinnen, im Spiel der Mächte Macht zu sein, bedarf eines interessengeleiteten, strategischen Denkens, bedarf des Realismus, nicht der Utopie. Deutschland sollte sich vor dem Imperialismus der Moral hüten, und statt dessen die Grundlagen für die eigene Entwicklung legen. In einer imperialen Welt wird auch Deutschland imperial denken müssen, denken, aber nicht poltern, klug und strategisch vorgehen, denn die Welt ist kein grüner Parteitag.“
Putins Krieg hat die Welt nicht plötzlich verändert, er hat aber die ohnehin stattfindende Veränderung beschleunigt und so allen sichtbar gemacht. Vor unseren Augen zerreißen die Netze der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und zerplatzen die Illusionen über unseren Wohlstand, den die Rotgrüngelben durch eine erneute Masseneinwanderung unter dem Vorwand der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge mit suizidalen Folgen sowie einer absurden Energiepolitik systematisch zerstören.
Und Merkels außenpolitischer Musterschüler, der Riesenstaatsmann Norbert Röttgen, legte bereits am 11. März in einem Tweet unterlegt mit einer zweifelhaften Umfrage vor: „Die Bundesregierung und gerade die Grünen unterschätzen ihrer eigenen Wähler! Die Menschen in Deutschland sind bereit, härtere Sanktionen mitzutragen, weil das unser Beitrag sein kann, diesen Krieg zu beenden. Mehr Mut, liebe Bundesregierung.“ In der DDR gab es den Spruch: Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir schon einen Schritt weiter. Also mehr Mut für den Schritt heute!
Was Röttgen und Leikert und die Union nicht begriffen haben – und die Regierung wohl auch nicht –, ist die simple Tatsache, dass vor unseren Augen eine neue Wirtschaftsordnung und letztlich auch politische Ordnung der Welt entsteht – übrigens unabhängig davon, ob Putin in der Ukraine Erfolg hat oder nicht. Der Schlüssel für die Entwicklung liegt nicht in Moskau, sondern in Peking, ihre Ursache in der Schwäche des Westens.
Wer nach härteren Sanktionen ruft, muss zuallererst wissen, dass die härteren Sanktionen vor allem den Westen treffen. Wer vom Steuerzahler überreichlich alimentiert wird, sollte etwas gegen die Verteuerung der Energie unternehmen, die auf Merkels famose Politik in den letzten 16 Jahren im Bunde mit der FDP und dann der SPD zurückgeht, anstatt vollmundig über „härtere Sanktionen“ und über ein Energieembargo zu schwadronieren. Wer leichtfüßig die Ausweitung von SWIFT-Sanktionen verlangt, weiß nicht, dass er damit die Abschaffung des SWIFT-Systems, den Sturz des Dollars als Leitwährung und den Aufstieg des chinesischen Yuan zur Leitwährung, letztlich den Anbruch des chinesischen Jahrtausends fordert.
Man mag darüber lächeln, doch inzwischen nutzen – laut einem Bericht der Foreign Affairs vom 7. März – 399 Institute dieses System, unter ihnen 20 belarussische Banken, die Kyrgyz Bank of Asia und die armenische Arshidbank, außerdem haben die Tochtergesellschaften großer russischer Banken in Deutschland und der Schweiz Zugang zum SPFS. Es existiert also ein alternatives und schließlich konkurrierendes Finanznachrichtensystem, das im Aufwind ist. Die SWIFT-Sanktionen beflügeln die Konkurrenz. Derzeit verhandeln die Russen mit dem Chinesen über Chinas Beitritt zum SPFS, womit das russische System in die Lage versetzt wird, eine echte Alternative und eine wirkliche Konkurrenz zum SWIFT zu werden.
Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, dass die Chinesen eines Tages auch westliche Handelspartner dazu nötigen könnten, ihre Geschäfte über SPFS, statt über SWIFT abzuwickeln. Von heldenhaften deutschen Unternehmen wie BMW oder VW wird man keinen Widerstand erwarten dürfen. Und jede Wette: Die Politiker, die heute die Backen aufblasen und härtere Sanktionen fordern, werden die ersten sein, die uns morgen erklären werden, weshalb der Übergang zum SPFS „inhaltlich und strategisch“ richtig ist und „die Menschen in Deutschland … bereit“ dazu sind.
Die Bank of Russia hatte laut dem Bericht der Foreign Affairs vom 7. März bereits im Jahr 2018 ihre Devisenreserven an Dollar beträchtlich durch den Kauf von Yuan, Gold und Euro reduziert. Im Jahr 2019 investierte die russische Zentralbank 44 Milliarden US-Dollar in Yuan. Ebenfalls 2019 schlossen China und Russland ein Abkommen über die Verwendung der nationalen Währungen im grenzüberscheitenden Handel bis zu 50 Prozent. Der russische Außenminister Lawrow forderte 2021, dass China und Russland ihre Abhängigkeit vom Dollar extrem und sukzessive reduzieren sollten. Gleichzeitig wurde dem russischen Staatsfonds gestattet, in Yuan und in chinesische Staatsanleihen zu investieren. Gazprom realisierte ab 2015 seine Exporte nach China in Yuan, 2019 stellte Russlands größter Gas- und Ölkonzern (Rosneft) alle Exportverträge von Dollar auf den Euro um.
Auch die Chinesen nutzen den Euro. Laut dem Bericht der Foreign Affairs hat der Euro den Dollar bereits als „wichtigstes Handelsinstrument zwischen China und Russland“ ersetzt. Ein Grund zum Jubeln für die Europäer ist das wahrlich nicht, denn der Euro fungiert in diesem Zusammenhang nur als Brücke für den Yuan, weil das Ziel der Chinesen darin besteht, den Yuan zur Weltwährung zu machen. Im Rahmen dieser Strategie stellt das zunächst wichtigste Ziel der Chinesen, die Bedeutung des Dollars zu erschüttern, dar. Dazu wird der Euro benutzt.
Parallel dazu arbeiten die Russen als auch die Chinesen eifrig und verstärkt an der Einführung der Kryptowährung. Kryptowährung bedeutet jedoch für den Staat größere Kontroll- und Einflussmöglichkeiten. Es erstaunt deshalb nicht, dass autoritäre Staaten die Kryptowährung lieben. Mithilfe eines Systems der Kryptowährung würde man das Dollar-basierte System vollständig umgehen können.
Die Russen versuchen, die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) für ihr Anti-Dollar-Projekt zu gewinnen, und agieren hier nicht ohne Erfolg. Wie TE berichtete, laufen zwischen China und Saudi-Arabien Gespräche darüber, künftige Öl-Verkäufe nach China mit chinesischen Yuan abzuwickeln.
Russland erhöht seine Erdgas-, Erdöl- und Weizenimporte nach China. Die Chinesen wären bereit, Putin Geld zu leihen. Indien orientiert sich stärker nach China und Russland. Die Russen verlieren zwar Kunden in Europa und den USA, gewinnen aber neue oder weiten die Geschäfte mit ihnen aus. Die Serben zweifeln daran, ob sie lieber zu Europa oder lieber zu ihren russischen Brüdern gehören wollen. Überall, auf politischem und auf wirtschaftlichem Gebiet, zerfällt zusehends die Macht des Westens.
Spätestens mit der beschämenden „Flucht“ aus Kabul wird der Westen als schwach angesehen, als dekadent. Und außer wolkigen und woken Worten hat er zurzeit dem nicht viel entgegenzusetzen.
Nüchtern betrachtet würden ein Energieembargo und härtere SWIFT-Sanktionen also den Niedergang des Westens nur beschleunigen. Putin vertraut auf die Leidensfähigkeit des russischen Volkes. Dem haben wir im Westen gar nichts entgegenzusetzen.
Europa, Deutschland geraten immer stärker an einen Punkt, wo grundsätzliche Fragen geklärt werden müssen. Notwendig ist es, sich von grünsozialistischen Vorstellungen zu verabschieden, nüchtern und rational unsere gegenwärtigen Möglichkeiten im Rahmen einer Schaden-Nutzen-Rechnung zu analysieren und die richtigen taktischen und strategischen Entscheidungen zu treffen. Dazu hatte ich bereits zum Ausbruch des Krieges am 26. Februar auf TE geschrieben:
Manches wird kurzfristig, manches erst mittelfristig zu bewerkstelligen sein, doch unabhängig davon, hat es jetzt in Angriff genommen zu werden:
- Deutschland muss wirtschaftlich unabhängig werden, in der Hauptsache von Russlands Verbündetem, China, aber auch energiepolitisch von russischem Erdgas und Erdöl. In einer immer digitaler und mobiler werdenden Welt bekommt die Thematik Energiesicherheit eine strategische Dringlichkeit. Es ist Zeit für eine neue Ernsthaftigkeit, sich von Büllerbü-Träumen zu verabschieden. Der Irrweg des Ausbaus der erneuerbaren Energien ist zu beenden. Kurzfristig kann Deutschland seine Energiesicherheit nur herstellen, wenn es die Kohleverstromung wieder aufnimmt – und so es möglich ist, Atomkraftwerke wieder in Betrieb nimmt. Mittelfristig wird man nicht umhin kommen, Atomkraftwerke zu bauen. Die beste Sanktion gegenüber Russland besteht in der energiepolitischen Unabhängigkeit gegenüber Russland. Das muss so schnell als möglich erfolgen.
- Schlüsselindustrien müssen in Europa wieder stärker ausgebaut werden. Dass die EU die Chipherstellung in Europa fördern will, ist grundsätzlich richtig, auch wenn am Weg, den die EU einschlägt, durchaus Zweifel anzumelden sind. Genauso aber müssen die Grundstoffe für Medikamente in Europa produziert werden, um von China unabhängig zu werden. Gleiches gilt übrigens auch für die Schwerindustrie und für die Aluminiumherstellung. Europa, allen voran Deutschland muss sich als intelligente Werkstatt der Welt verstehen. Der Weg in die sogenannte Dienstleistungsgesellschaft ist ein Irrweg. Deutschland hat, alle Anstrengungen zu unternehmen, eine moderne Industriegesellschaft, eine Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts zu werden. Automatisierung und Digitalisierung, intelligente Verfahren spielen hier eine entscheidende Rolle. Darin besteht übrigens auch die Lösung für eine alternde Gesellschaft und nicht in der Masseneinwanderung in die Sozialsysteme.
- Hierzu bedarf es einer Bildungsreform, die geradezu einer kulturellen Erneuerung gleichkommt. Die Gender-Lehrstühle gehören abgeschafft. Die Ideologisierung der Universitäten und Hochschulen ist zu beenden. Deutschland benötigt weniger Migrationsforscher, stattdessen Biotechniker, Physiker, Mathematiker, Techniker. Geisteswissenschaften müssen, wie einst von Wilhelm Dilthey konzipiert, wieder Geisteswissenschaften werden. Die weltanschauliche Neutralitätspflicht der Universitäten und Schulen ist wieder herzustellen, ideologische Indoktrination durch Lehrpläne zu beenden. Kompetenzpädagogik muss durch Leistungspädagogik ersetzt, die Leistungsfähigkeit des einzelnen gestärkt, die Teamarbeit eingeschränkt werden.
- Den Pluralismus zu stärken, setzt voraus, statt einer aktivistischen Information, wieder eine objektive Information zu betreiben. Nicht der belehrte Mensch, sondern der gut informierte, vermöge seines Verstandes urteilende Bürger ist das Leitbild einer Demokratie. Die Stärke der Demokratie, die durch ihre Pluralität Dynamiken freisetzt, wirkt nur, wenn die Demokratie und die Freiheitsrechte nicht eingeschränkt werden, wenn der Verfahrensweg, nicht der Weg per ordre de mufti gestärkt wird. Nicht die Bürger sind für die Politiker, sondern die Politiker für die Bürger da. Werden gerade die Stärken der Demokratie geschliffen, wird die Demokratie geschwächt. Das wird deutlich in dem kläglichen Bild, das der Westen angesichts Putins abgibt. Putin hält sich nicht an die Spielregeln, die der Westen in beispielloser Naivität für sakrosankt hielt – und der Westen hat im Augenblick keine Möglichkeit, diese Spielregeln verbindlich durchzusetzen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Westen sich selbst in Frage gestellt und seine Werte selbst bekämpft hat – er leuchtet nicht mehr, er hat sich lächerlich gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass der Westen aus dem suizidalen Wokismus aussteigt und zu seinen Werten, die in der Aufklärung begründet worden sind, zurückkehrt.
- Natürlich muss die Verteidigungsfähigkeit gestärkt, die Bundeswehr reorganisiert, vernünftig ausgestattet und die Wehrpflicht wieder eingesetzt werden. Die Bundeswehr darf nicht durch immer neue „Ermittlungen gegen „rechts“, durch immer neue mediale Hysterien und Verdächtigungen verunsichert werden. Das gilt generell für die Sicherheitsorgane. Ansonsten wird nicht die innere und äußere Sicherheit gestärkt, sondern die Gesellschaft immer fragiler und verletzlicher.
- In Zeiten der Inflation und steigender Energiekosten darf der Staat an der von ihm mitverschuldeten Belastung der Bürger nicht verdienen. Deshalb muss die Mineralölsteuer herabgesetzt und die CO2-Steuer abgeschafft werden. Zudem kann die Bürokratie eingeschränkt werden, wenn überflüssige Berichtspflichten abgeschafft werden. Notwendig ist eine Steuerreform. Stichwort: schlanker Staat. Die finanzielle Unterstützung der NGOs hat zu entfallen, schließlich heißen sie Nichtregierungsorganisationen, und die 1,1 Milliarden Euro im „Kampf gegen rechts” sollten umgewidmet werden und der Dämpfung der steigenden Energiekosten dienen.
Es bleibt dabei, der wichtigste Schritt, den die Regierung zu unternehmen hat, ist der Schritt in die Realität. Es wäre gut, wenn die CDU/CSU hierin voranginge und nicht aus schierem Populismus noch hinter der Regierung zurückbliebe.