Nachdem Präsident Selenskyj sich in eindringlichen Worten an die Bundesregierung wandte und von der Bundesregierung wenig gekonnt ignoriert wurde, eröffnete Vize-Präsidentin Göring-Eckardt die erste Lesung zur allgemeinen Impfpflicht im Deutschen Bundestag.
Schnell lichteten sich die Reihen im Plenarsaal – sonderlich interessiert war kaum jemand an der Debatte. Bundeskanzler Scholz gab lediglich per Twitter kurz bekannt, dass er für die Impfpflicht sei, das hätte die „Erfahrung der letzten zwei Jahre“ gezeigt.
Inhaltlich blieb die Debatte ambitionslos. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, warb zu Beginn für eine Impfpflicht ab 18 Jahren und forderte insbesondere die Unionsfraktion auf, sich dem Antrag der Befürworter anzuschließen. Ihre ersten beiden Sätze waren: „Stellen Sie sich vor, wir hätten heute bereits eine Impfquote von 90 Prozent. Dann steckten wir nicht fest in der größten Infektionswelle seit Beginn der Pandemie. Deutschland hat europaweit die höchste Inzidenz.“
Stattdessen wählen die Redner für eine allgemeine Impfpflicht alle nahezu den gleichen inhaltlichen Gedankengang: „Wir müssen grundlegend die Voraussetzung dafür schaffen, dass wir nicht noch einmal von einer weiteren Infektionswelle überrollt werden“, sagte etwa Baehrens. Und Lauterbach selbst holt mal wieder den Holzhammer raus: „Das ganze Land wird in der Geiselhaft dieser Menschen sein“. Diese Menschen sind natürlich die Ungeimpften.
Die Impfpflicht muss sein, damit kein Lockdown mehr kommt. Das wird ganz selbstverständlich vorausgesetzt. Dass es die selben Politiker sind, die diesen Lockdown verhängen, bleibt unerwähnt. Der Lockdown wird so quasi als Naturgesetz interpretiert.
Ein offensichtlicher Zirkelschluss bleibt das zentrale Argument für die Impfpflicht. Inhaltlich hätte man auch nichts vorzubringen: Da die Impfung nach neuesten Studien praktisch keinen Fremdschutz mehr hat, würde sich jede weitere Debatte über diese Maßnahme erübrigen.
Doch sie kämpfte ein Rückzugsgefecht: Dass die Impfpflicht immer mehr Befürworter verliert, ist offenkundig. Die Impfpflicht sei aktuell „tot“, entgegnete auch der Unionsabgeordnete Sepp Müller. Es gebe im Parlament keine Mehrheit dafür. Der CDU-Politiker Tino Sorge sagte, es gebe keine Gewähr dafür, dass eine Impfpflicht jetzt helfe, weil man eine möglicherweise neue Coronavirus-Variante und die dagegen wirksamen Impfstoffe jetzt noch nicht kenne.
Auch die AfD hatte einen Antrag vorgelegt. Fraktionschefin Alice Weidel rief die Befürworter der allgemeinen Impfpflicht auf, ihre Vorschläge zurückzuziehen. „Sie reiten ein totes Pferd, bitte steigen Sie ab“, sagte sie. Die Argumente für die Impfpflicht seien von Anfang an schwach gewesen und inzwischen wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. „Es gibt keine legitime und verfassungsrechtlich zulässige Rechtfertigung für die Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19.“ Diese verletze zentrale Grundrechte. Die prophylaktische Begründung sei falsch und gefährlich, meinte Weidel: „Nach dieser Pseudologik könnte man Menschen in Zukunft alle möglichen Behandlungen aufnötigen – von der Pflichtmedikation von Bluthochdruckgefährdeten bis hin zur Zwangsdiät für Übergewichtige.“
Die Debatte an diesem Tag war in jeder Hinsicht eine Beleidigung für die Wähler. Man unternimmt gar nicht erst den Versuch, irgendein inhaltliches Argument vorzutragen. Darum geht es offenbar nicht mehr, sondern darum, dass die Ungeimpften bloß nicht Recht behalten dürfen. Verbissenheit erscheint als stärkster Antrieb für die Impfpflicht.