Tichys Einblick
Verfassungsrechtler Vosgerau

Impfpflicht heißt: Der Staat muss haften

Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Ulrich Vosgerau hat die öffentliche Hand bei Schäden durch Vakzine einzuspringen, wenn die Regierung das Impfen gesetzlich vorschreibt. Der Jurist nennt einen besonders problematischen Punkt einer Entschädigungsregelung.

IMAGO / IPON

Wer durch eine Schutzimpfung, die gesetzlich vorgeschrieben war, aufgrund eines Gesetzes angeordnet wurde oder auch nur „von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen wurde“, hat, wenn er einen Impfschaden erleidet, Anspruch „auf Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes“ (§ 60 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz, IfSG). Nun könnte man die Frage stellen, ob gesundheitliche Schädigungen, die sich aufgrund der Verabreichung jedenfalls eines der mRNA-Impfstoffe von Pfitzer/Biontech beziehungsweise Moderna einstellen, begrifflich überhaupt „Impfschäden“ sind.

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Unbrauchbar, weil offensichtlich unzutreffend ist die Impf-Definition des Dudens. Demnach bedeutet impfen „einen Schutzstoff gegen eine bestimmte gefährliche Krankheit zuführen“ (Band 10, Das Bedeutungswörterbuch, 5. Auflage 2018, Seite 531). Das ist nicht richtig. Bei keiner Impfung wird „ein Schutzstoff“ zugeführt; sondern es wird ein Stoff zugeführt, der per se gerade nicht „schützt“, sondern das Immunsystem anregen soll, seinerseits „Schutzstoffe“, nämlich angepasste Antikörper zu entwickeln und den zugeführten Stoff im „Immungedächtnis“ zu speichern, sodass bei späterem Bedarf die angepassten Antikörper schnell produziert werden können.

Als „klassisch“ darf wohl die alte Definition aus Meyers Enzyklopädischem Lexikon gelten: Impfung sei „das Einbringen von toten oder in ihrer Virulenz abgeschwächten Mikroorganismen oder auch von abgeschwächten Toxinen zur Immunisierung“ (Band 12, 9. Auflage 1974, Seite 488). Das bedeutet nach dem herkömmlichen Sprachsinn „Impfung“; und im Rahmen dieser Definition lässt sich sagen, dass vernünftige Menschen im Allgemeinen „an der prinzipiell segensreichen Wirkung des Impfens nicht zweifeln“ (so Rixen, in: Huster/Kingreen, Handbuch Infektionsschutzrecht [2021], Kapitel 5 Rn. 57).

Die in Deutschland gängige Impfung etwa von Pfitzer/Biontech oder auch Moderna ist aber keine „Impfung“ im herkömmlichen Sinne, sondern eher eine prophylaktische Gentherapie. Bei ihr werden Muskelzellen durch Eingabe einer genetischen Information dergestalt manipuliert, dass sie das sogenannte „Spike-Protein“ des Corona-Virus – und zwar nach wie vor das der ursprünglichen Alpha-Variante, die sich am Ende des Jahres 2019 verbreitete und heute eigentlich nicht mehr vorkommt – herstellen und an ihrer Oberfläche exponieren. Dort kann dieses dann vom körpereigenen Immunsystem als Fremdeiweiß angegriffen werden, das dergestalt den Umgang mit dem Corona-Virus erlernen und üben soll.

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Rein rechtlich soll dies aber keine Rolle spielen. Denn die Impfstoffdefinition des § 2 Absatz 4 Arzneimittelgesetz (AMG) wurde bereits 2009, als aus Anlass einer vermeintlichen Schweinegrippe-Epidemie auch schon massenhafte Impfungen geplant worden waren, geändert. (Ein seinerzeit teuer beschaffter Impfstoff gegen die Schweinegrippe wurde in Deutschland dann größtenteils vernichtet, in Schweden jedoch weitgehend verimpft, was dort offenbar zumal bei jungen Leuten – denen die Schweinegrippe selbst im Fall ihrer epidemischen Verbreitung meist kaum etwas angehabt hätte – in 1.300 Fällen zum Auftreten einer unheilbaren Narkolepsie führte). Wie dem auch sei, die Vorschrift lautet nun:

„Impfstoffe sind Arzneimittel […], die Antigene oder rekombinante Nukleinsäuren enthalten und die dazu bestimmt sind, beim Menschen zur Erzeugung von spezifischen Abwehr- und Schutzstoffen angewendet zu werden und, soweit sie rekombinante Nukleinsäuren enthalten, ausschließlich zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionskrankheiten bestimmt sind.“

Mithin sind die mRNA-Impftstoffe von Pfitzer/Biontech bzw. Moderna rechtlich gesehen Impfstoffe im Sinne von § 4 Absatz 4 und gerade keine „Gentherapeutika“ im Sinne von § 4 Absatz 9 AMG. Ein „Impfschaden“ wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als

„die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung“.

Ein „Versorgungsanspruch“ für Geschädigte besteht demnach jedenfalls in einer gesetzlichen Impfpflicht, also der am 15. März 2022 in Kraft getretenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht unter anderem für Ärzte und Pfleger, sowie jeder anderen staatlich angeordneten Impfpflicht. Viele wissen gar nicht, dass bereits nach geltendem Recht, gemäß § 20 Absatz 6 und 7 IfSG, das Bundesgesundheitsministerium und die Landesgesundheitsministerien unter bestimmten Voraussetzungen Impfpflichten für „bedrohte Teile der Bevölkerung“, also beispielsweise über 60-Jährige, durch Rechtsverordnung einführen könnten.

Aber auch im Hinblick auf nicht impfpflichtige Geimpfte scheint es offensichtlich zu sein, dass die zuständigen Landesbehörden die Impfung öffentlich befürwortet und zu ihrer Durchführung aufgefordert haben, was für einen „Versorgungsanspruch“ genügt, wenn nur die Impfung zeitlich nach der behördlichen Empfehlung durchgeführt wurde und nicht bereits vorher.

Der dann eintretende „Versorgungsanspruch“ richtet sich grundsätzlich nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), das gemäß § 68 Nr. 7 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB-I) als besonderer Bestandteil des Sozialgesetzbuches gilt. Man Unterscheidet Geld- und Sachleistungen.

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In erster Linie richtet sich der Anspruch auf Sachleistungen wie Heil- und Krankenbehandlung (§§ 10-24a BVG); einige dieser Leistungen sind aber merklich eingeschränkt, wenn der Geschädigte etwa über ein Einkommen verfügt, das die Jahresarbeitsentgeltgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung übersteigt (§ 10 Absatz 7 Satz 1 Buchstabe a 1. Halbsatz BVG). Ergänzend kommen neben einmaligen Zahlungen Geldleistungen wie kurzfristige Zahlungen als Entgeltersatz oder auch langfristige Leistungen, nämlich Renten, in Betracht, wobei man zwischen einer einkommensunabhängigen Grundrente und einer einkommensabhängigen Rente zum Berufsschadensausgleich unterscheiden muss.

Nun gibt es aber eine interessante Entwicklung: Durch das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts bereits vom 19. Dezember 2019 – dieses war vor allem in Reaktion auf den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 zustande gekommen – soll das BVG entscheidend modernisiert und ab dem 1. Januar 2024 in das SGB-XIV, also das Vierzehnte Buch des Sozialgesetzbuches, eingegliedert werden. Auch das bereits bestehende SGB-XIV dient der Unterstützung von „Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis, für das die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung trägt, eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben“ (§ 1 Abs. 1).

Bisher hatte das Gesetz jedoch dabei vor allem die Folgen beider Weltkriege im Auge. In der Neufassung hingegen geht es um „Gewalttaten“ (wie auf dem Breitscheidplatz), „Ereignisse im Zusammenhang mit der Ableistung des Zivildienstes“ und – Impfschäden. Schon in der geltenden Fassung des SGB-XIV wird Impfgeschädigten ein Anspruch auf „Leistungen der sozialen Entschädigung“ gewährt, der sich auch auf Angehörige und Hinterbliebene erstreckt (§ 24 i.V.m. § 4 SGB-XIV, § 60 Absatz 4 IfSG).

Aber nicht nur das SGB-XIV, auch das immer noch in Kraft befindliche Lastenausgleichsgesetz (LAG) wurde bereits 2019 durch das besagte „Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts“ geändert. An eher verdeckter Stelle, in § 292 LAG, wurde das Wort „Kriegsopferfürsorge“, die heute keine Rolle mehr spielt, durch den Begriff „Sozialer Ausgleich“ ersetzt, der eben unter anderem den Opfern von Gewalttaten und Terroranschlägen sowie den Impfgeschädigten zusteht. Auf den ersten Blick ist das nur eine sprachliche Modernisierung, und die genannte Vorschrift regelt nur das Verhältnis der letzten heute noch laufenden Ansprüche auf Kriegsschadensrente zu sonstigen sozialrechtlichen Ansprüchen.

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Manche hören allerdings das sprichwörtliche Gras wachsen, und gerade im Hinblick auf Corona-Fragen muss man ja sagen, dass diese, oft als Verschwörungstheoretiker abgetan, nicht immer Unrecht hatten – wenn man etwa an die Frage denkt, ob jemals eine Impfpflicht auch nur angedacht werden könnte. Sie weisen darauf hin, dass hierdurch eine innere Verbindung zwischen dem Recht des Sozialen Ausgleichs (SGB-XIV) – das heißt also hier: dem Recht der Entschädigung für Impfschäden – und dem Lastenausgleichsgesetz geschaffen wurde (auch wenn man stets die systematische Weichenstellung im Blick behalten muss, dass der „Soziale Ausgleich“ Körperschäden zum Gegenstand hat, das Lastenausgleichsrecht hingegen Vermögenssschäden).

Und das Besondere am Lastenausgleichsgesetz ist ja gerade, dass es dem Bürger nicht einfach Ansprüche „gegen den Staat“ einräumt, sondern – schon wegen des enormen Umfangs dieser Ansprüche und der Zahlungsunfähigkeit des Staates nach dem Zweiten Weltkrieg – vor allem dem Staat die Befugnis gibt, anlassbezogen den glücklich besser gestellten Bürgern etwas von ihrem Vermögen wegzunehmen, um daraus die Massen der Geschädigten, Vertriebenen und Entrechteten entschädigen zu können. Knapp zusammengefasst in § 2 LAG:

„Zur Durchführung des Lastenausgleichs werden Ausgleichsabgaben erhoben und Ausgleichsleistungen gewährt.“

We owe it to ourselves, lautet ein bekannter Satz eher linker Ökonomen zur Rechtfertigung auch hoher Staatsverschuldung. Könnte es sein, dass dieser Satz demnächst im Hinblick auf eine unter Umständen frappierend hohe Zahl von bislang eher unter die Decke gekehrten Impfschäden gelten wird?

Dann wäre es jedenfalls ein besonderes Gerechtigkeitsproblem, wenn auch die – gegen alle Widerstände und staatlichen Repressalien – bis heute ungeimpft Gebliebenen in den allgemeinen Lastenausgleich zugunsten derjenigen Geimpften einbezogen werden würden, bei denen sich exakt diejenigen Schäden realisiert haben, die die Ungeimpften befürchtet haben, und unter persönlichen Nachteilen zu vermeiden suchten.


Von Dr. Ulrich Vosgerau

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