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Das Jahr der Gefährder: 2022 könnten fast 40 Islamisten entlassen werden

Fast 40 Islamisten werden in diesem Jahr voraussichtlich aus dem Gefängnis entlassen – viele davon mit Bezug zum Terrorismus. TE hat nachgefragt. Laut Sicherheitsbehörden könnte „ein ganzes gefährliches Personenpotenzial“ auf Bewährung freikommen.

IMAGO / imagebroker

Im Jahr 2022 werden womöglich so viele Islamisten aus deutschen Gefängnissen entlassen wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Zuerst berichtete die WELT darüber, dass es bis zu 30 Islamisten sein könnten. Demnach hätte das Bundesjustizministerium Kenntnis von über „15 bis 20 Personen“, die derzeit wegen einer Tat im Bereich islamistisch motivierten Terrorismus in deutschen Gefängnissen sitzen und voraussichtlich 2022 freikommen. Weitere 18 Personen aus dem „Phänomenbereich Islamismus bzw. Verdacht“ könnten ebenfalls entlassen werden.

TE hat bei den einzelnen Bundesländern, Staatsanwaltschaften und Sicherheitsbehörden nachgefragt. Insgesamt könnte es sich um fast 40 Islamisten handeln, die 2022 entlassen werden. Viele davon stehen unter besonderer Beobachtung. 2022 könnte so zum Jahr der islamistischen Gefährder werden.


„Ein ganzes islamistisches Personenpotenzial“ auf Bewährung


Ein Großteil der verurteilten Islamisten, die in den kommenden Monaten entlassen werden, hat die Strafe vollständig abgesessen. Doch dabei bleibt es nicht: Ein Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden teilte TE auf Anfrage mit, dass 2022 voraussichtlich „ein ganzes islamistisches Personenpotenzial“ auf Bewährung entlassen werden könnte, da die Verurteilten zwei Drittel ihrer Haftstrafen demnächst abgesessen haben werden.

Über die jeweiligen Fälle müssen aber erst noch die Gerichte entscheiden. Doch beispielsweise das Justizministerium Hamburg teilte mit, dass „bei diesem Personenkreis vorzeitige Haftentlassungen üblich“ wären. Allein in Hamburg werden dieses Jahr zehn Personen entlassen, von denen vier ihre Strafe vollends verbüßt haben, sechs Personen werden womöglich vorzeitig entlassen. Wer sind diese Personen? Und wie gefährlich sind sie?

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Zwei der zehn demnächst freikommenden Islamisten in Hamburg wurden verurteilt aufgrund von Straftaten im Bereich der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Syrien. In Hannover hingegen handelt es sich um einen „niedrig einstelligen Bereich“ der zu entlassenden Islamisten – doch darunter befindet sich Safia S. In Telegram-Chats erzählen sich Islamisten und Salafisten, dass Safia S. versuchte, vorzeitig aus dem Gefängnis frei zu kommen, das Gericht jedoch dagegen entschieden hat. Schätzen die Behörden Safia S. also als Gefährderin ein? Zu den Gründen äußerte sich das zuständige Gericht bisher nicht.

Viele Verurteilte radikalisieren sich im Gefängnis immer weiter. Safia S. hatte im Jahr 2016 im Alter von erst 15 Jahren einem Polizisten ein Messer in die Kehle gestochen. Ein Justiz-Mitarbeiter sagt gegenüber TE: „Safia S. wird von Islamisten draußen, außerhalb des Gefängnisses, als Märtyrerin gefeiert. Sie ist eine der wenigen Frauen in Deutschland, die eine islamistische Tat begangen hat, sie hat eine Vorbildfunktion.“ Diese Märtyrer-Verehrung der damaligen IS-Sympathisantin – ihr Attentat gilt als der erste IS-Anschlag in Deutschland – ist bedenklich. Bisher existieren keine Informationen zu ihrer Sozial- und Gefährdungsprognose. Bei keinem der demnächst entlassenen Islamisten sind der Öffentlichkeit entsprechende Prognosen bekannt. Grundsätzlich ist die Entlassung von Gefährdern „Verschlusssache“. Der Spiegel berichtete im Jahr 2020, dass Safia S. nach der Haft ihr Abitur mit einer neuen Identität machen möchte.

IS-Rückkehrer und Terrorstraftaten

In Bayern befinden sich nach TE-Informationen derzeit 21 Personen in Haft, die dem „Phänomenbereich Islamismus“ zugerechnet werden (Stand 1. Januar 2022). Diese hohe Anzahl ist alles andere als harmlos: Unter ihnen befinden sich fünf Personen wegen „extremistisch motivierter Anlasstat“ in Strafhaft und drei Personen in Untersuchungshaft. Fünf Personen wurden wegen „Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ – vier davon sind IS-Rückkehrer – angeklagt oder verurteilt. Jetzt sollen in Bayern von diesen 21 gefährlichen Personen fünf auf freien Fuß kommen.

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Die Situation in Syrien, wo viele unterschiedliche Milizen kämpfen, ist prekär. Deutschland ist damit einer doppelten Bedrohung ausgesetzt: durch Dschihad-Rückkehrer, die nach Deutschland zurückkommen, sowie durch IS-Rückkehrer, die demnächst in Deutschland entlassen werden. Die Sicherheitsbehörden stehen damit vor besonderen Herausforderungen. Viele Tausende deutsche Staatsbürger hatten sich seit 2013 nach Syrien aufgemacht. Nur bei ungefähr 350 Personen weiß die Bundesrepublik von ihrer Rückkehr. Es könnten sich Rückkehrer bereits jahrelang auch unbemerkt in Deutschland aufhalten.

Steigt durch die Entlassungen die Terrorgefahr in Deutschland? Einige der in den nächsten Monaten entlassenen Islamisten haben einen Terrorbezug: Bei denjenigen, für welche die Generalbundesanwaltschaft (GBA) zuständig ist, handelt es sich insgesamt um eine Anzahl von vier Personen mit „Kontext zu einer islamischen Terrororganisation“ laut GBA.

Zudem besteht beispielsweise in Hessen bei „sämtlichen in Untersuchungshaft befindlichen Islamisten“ eine „Fluchtgefahr“, darunter sind drei IS-Rückkehrer, die noch nicht verurteilt sind. Im Saarland sind derzeit zwei Personen inhaftiert, verurteilt wegen einer „spezifisch terroristischen Straftat aus dem Phänomenbereich Islamismus“, wobei es sich nicht um IS-Rückkehrer handelt, sondern um in Deutschland begangene Straftaten. Nach TE-Informationen sollen diese beiden Personen im Jahr 2022 ebenfalls entlassen werden. Auch in Schleswig-Holstein werden voraussichtlich drei verurteilte Personen entlassen, die ihre Straftaten in Deutschland begangen hatten.

Das Jahr der Gefährder: Viele entlassene Islamisten unter Beobachtung

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Das Bundeskriminalamt (BKA) hat 551 islamistische „Gefährder“ registriert, womit Personen gemeint sind, denen eine Straftat zugetraut wird. Davon sind derzeit 100 Gefährder in deutschen Gefängnissen inhaftiert. Nach TE-Informationen werden in Baden-Württemberg fünf Personen aus der Haft entlassen, die wegen Auffälligkeiten mit Bezug zum religiös motivierten Extremismus „vollzuglich unter Beobachtung stehen“. Bei diesen Personen muss es sich nicht um Islamisten handeln, die wegen einer Straftat im „Phänomenbereich Islamismus“, sondern wegen einer völlig anderen Straftat verurteilt wurden, jedoch im Bereich religiösen Extremismus auffällig geworden sind.

Auch in Rheinland-Pfalz befinden sich mehrere Personen wegen anderer Straftaten in Haft, die „unter besonderer Beobachtung“ stehen, weil sie entweder schon vor der Haft im Islamismus-Verdacht standen oder sich während der Haft radikalisiert haben. Insgesamt befinden sich elf Personen in Haft, wegen unterschiedlicher Taten, darunter: terroristische Straftaten wie Unterstützung einer Terrororganisation, Aufnahme von Beziehungen zur Begehung oder Anleitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie Terrorfinanzierung. Wie viele dieser elf Personen in Rheinland-Pfalz im Jahr 2022 entlassen werden, wollte das Justizministerium auf Anfrage nicht mitteilen.

Islamisten werden seit Jahren unbemerkt entlassen

Viele Islamisten werden in Deutschland unter Ausschluss der Öffentlichkeit entlassen. So war es beispielsweise bei Kevin T. der Fall, der wegen Unterstützung der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) im Jahr 2018 zu drei Jahren und neun Monaten Jugendhaft verurteilt wurde. Kevin T. gewährte dem österreichischen IS-Terroristen Lorenz K. Unterschlupf und half ihm 2016 beim Sprengsatzbau für einen Bombenanschlag auf die amerikanische Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz.

Beide hatten zusammen Ende 2016 eine Testbombe hochgehen lassen. Die scharfe Bombe soll Kevin T. verschwinden lassen haben, als Ermittlungen gegen ihn liefen. 2020 kam ans Licht, dass sich sein Komplize Lorenz K. im Gefängnis weiter terroristisch betätigte und mutmaßlich aus seiner Zelle heraus neue Terrorpläne schmiedete. Das Oberlandesgericht Düsseldorf lässt auf TE-Anfrage mitteilen, dass die Endstrafe von Kevin T. bereits am 20. Oktober 2020 abgelaufen ist und T. entlassen wurde – er befände sich „unter Führungsaufsicht“.

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