Im ersten Gespräch mit TE kritisierte Heiko Teggatz, Bundesvorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, das Politikversagen beim deutschen Grenzschutz (hier zum Interview). Nun betont er die lange Dauer der aktuellen Migrationslage. Er sieht letztlich nur eine Auflösung der Problematik: einen besseren EU-Außengrenzschutz, den er sich auch in den Händen einer EU-Grenzschutzbehörde vorstellen kann. Für Deutschland wünscht er sich konsequentere Kontrollen im Krisenfall.
Tichys Einblick: Wie sieht es denn generell an deutschen Grenzen aus? Lässt sich ausgehend von den Kontrollen, die die Bundespolizei durchführen kann, sagen, wie sich die illegale Migration in den letzten Jahren entwickelt hat?
Heiko Teggatz: Der Migrationsdruck insbesondere nach Deutschland hält seit 2012, 2013 permanent steigend an, mit einem Gipfelpunkt 2015. Aber wenn man diesen Höchstwert mal rausnimmt, dann lässt sich seit zehn Jahren ein durchgehender Anstieg der illegalen Migration nach Deutschland feststellen. Inzwischen kommt auch noch die sogenannte Sekundärmigration vor allem aus Griechenland und Italien dazu, das heißt, Migration von Menschen, die bereits ein Asylverfahren in der EU durchlaufen haben, sich aber in den beiden Ländern schlecht behandelt fühlen und nach Deutschland kommen, um hier einen Folgeasylantrag zu stellen. Wir reden hier von an die 40.000 Einreisenden jährlich, die noch dazukommen.
Sehen Sie denn eine Möglichkeit, diese Migrationsart durch Grenzschutz zu verhindern?
Ich denke, wir müssten den Außengrenzschutz mit allen Rechten und Pflichten viel mehr stärken. Frontex müsste als tatsächliche Grenzbehörde handeln dürfen, denn im Moment handelt Frontex ja als Agentur, das heißt als Dienstleister, und wird auch nur dann zum Einsatz gebracht, wenn der jeweilige Nationalstaat ihn anfordert. Ich habe schon vor Jahren eine Exekutivbefugnis für Frontex gefordert.
Viele befürchten auch, dass Frontex die EU-Außengrenzen gar nicht schützen könnte, sondern gewollt oder ungewollt als eine Art Fährdienst arbeiten müsste.
Also ich sage mal so: An der Außengrenze hat eine Grenzbehörde andere Befugnisse als an einer Binnengrenze. Wo Menschenrechtsorganisationen von „Pushbacks“ sprechen, sagt wahrscheinlich der nationale Grenzpolizist in Griechenland: „Wieso? Ich habe doch lediglich die Einreise verweigert.“ Was Ländern wie Griechenland und Italien tatsächlich große Probleme bereitet, sind diese Sea-Watch-Aktivisten, die vielleicht fünf Kilometer vor der libyschen Küste einen Menschen aus Seenot retten, was sehr redlich ist. Das meine ich auch wirklich so. Nur dass diese Menschen anschließend auf die italienische Insel Lampedusa 200 Kilometer weiter nördlich gebracht werden, ist für mich nicht nachvollziehbar. Eine Seenotrettung ist richtig und wichtig und muss auch nach meiner festen Überzeugung noch viel weiter ausgebaut werden, vor der afrikanischen Küste. Aber die Geretteten dürfen nicht nach Europa gebracht werden, also die zehnfache Strecke im Vergleich zur afrikanischen Küste.
Die EU müsste vielleicht einmal ernsthaft mit Libyen und Tunesien verhandeln, ob man da nicht in Küstennähe Hotspots errichten kann, genauso in der Türkei, wo die Menschen ihre Asylanträge stellen können, bevor dann über Aufnahme und Verteilung innerhalb der EU entschieden wird. Nur so könnte man diese Flüchtlingsproblematik in Europa in den Griff bekommen. Aber solange das alles nicht passiert und Deutschland und Frankreich die Länder bleiben, die die höchsten Leistungen für Asylbewerber haben, also den höchsten Standard der Unterbringung und der Versorgung, solange müssen wir uns nicht wundern, wenn Menschen, die in Griechenland ankommen, keine Lust haben, nach Rumänien verteilt zu werden oder in Griechenland zu bleiben. Die machen sich natürlich auf den Weg in die Staaten, wo es ihnen wirtschaftlich am besten geht. An der Stellschraube muss dringend gedreht werden, aber das scheint auf EU-Ebene sehr schwierig zu sein.
„Das ist so, als untersagte man einem Arzt die Not-OP“
Kommen wir noch einmal zurück zur Bundespolizei. Ich habe aus Gesprächen mit Ihren Kollegen eine große Frustration herausgehört über die Zurückdrängung der Bundespolizei, die ja einmal aus dem Grenzschutz entstanden ist. Viele der Polizisten wurden ja ursprünglich als Grenzschützer eingestellt und haben heute eine fast nur noch administrative Rolle. Kann die Truppe unter den gegenwärtigen Maßgaben aus der Politik überhaupt etwas zur inneren Sicherheit beitragen?
Ich glaube, im Herzen sind 80 Prozent der Angehörigen der Bundespolizei nach wie vor Grenzschützer, egal ob der Schriftzug noch über dem Ärmelabzeichen steht oder nicht. Die Frustration, die bei den Kollegen auftritt, rührt vor allem daher, dass für diese durchaus schwierige Aufgabe Grenzschutz, die wir als Bundespolizei nach wie vor haben, der notwendige politische Rückhalt fehlt. Wir geraten ja wirklich zwischen die Fronten. Auf der einen Seite stehen Teile der Bevölkerung, die sich momentan, genau wie 2015, noch in einer Euphorie befindet, immer nach dem Motto: „Die Menschen sind da, wir müssen helfen.“ Das ist alles richtig, das wird aber – genau wie 2015 – nach drei bis vier Wochen kippen.
Derweil müssen die Kolleginnen und Kollegen, die eigentlich nur ihren Job machen wollen und das gesetzlich ja auch müssten, sich politisch untersagen lassen, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, und am Ende, wenn die Sache doch nicht mehr so schön ist, wie es anfänglich mal aussah, bekommen sie auch noch die Nackenschläge nach dem Motto: „Wen habt ihr denn hier alles ins Land gelassen?“ Und das ist das, was frustriert. Diejenigen, die die politische Entscheidung treffen, Menschen unkontrolliert ins Land zu lassen, ziehen sich dann gepflegt zurück, und der gesellschaftliche Shitstorm wird auf die Polizei abgeladen.
Und dann stellt sich auch die Frage: Trägt Ihre Arbeit und die Ihrer Kollegen noch etwas zur inneren Sicherheit bei oder vernachlässigen wir die gerade grandios?
Wenn die Politik uns unseren gesetzlichen Job machen lassen würde, dann wäre das ein ungemein großer Zugewinn für die innere Sicherheit Deutschlands und des Schengenraums insgesamt. Wenn politisch aber das Signal gesendet wird, ja, wir brauchen euch ganz dringend, liebe Bundespolizei, aber in diesem ganz besonderen Fall – wie 2015 oder wie jetzt –, da lassen wir mal fünf grade sein und dann guckt ihr lieber nicht in das Gesetzbuch und macht mal bitte das, was wir politisch wollen, dann können die Kolleginnen und Kollegen das nicht verstehen. Das ist etwa so, wie wenn man einem Arzt, der gerade einen Notfallpatienten hereinbekommen hat, sagt: Wir haben entschieden, du darfst hier nicht operieren.
Aber wenn Sie sagen, seit 2012 steigt die illegale Migration nach Deutschland kontinuierlich an, dann müsste man doch eigentlich seitdem alle deutschen Grenzen notifiziert haben.
Tja, logisch wär’s. Es besteht aber immer die Gefahr, dass man dem Nachbarstaat, der ja auch Schengen-Partner ist, wie Österreich oder Polen, die Tschechische Republik, Dänemark usw. damit signalisiert: „Ihr scheint ja eure Schengen-Verpflichtung nicht so ernst zu nehmen. Wir kümmern uns mal darum …“
Dann müsste sich ja Österreich gerade sehr auf die Füße getreten fühlen, was aber so nicht bekannt ist. Und das könnte ich mir bei Polen so ähnlich vorstellen.
Ja, das ist nicht der Fall. Aber Grenzkontrollen zu Polen fordere ich nur in besonderen Situationen wie etwa im vergangenen Herbst mit der Weißrussland-Lage oder jetzt mit der Flüchtlingslage. Ansonsten haben wir wirklich sehr geringe Aufgriffszahlen an der polnischen Grenze. Also die Polen selber nehmen ihre Schengen-Verpflichtung sehr ernst und machen da wirklich eine großartige Arbeit. Nur irgendwann ist bei denen auch personell einfach Land unter, sodass die ihrer Verpflichtung gar nicht mehr nachkommen können. Und dann braucht es zweite und gegebenenfalls auch dritte Kontrolllinien, um letzten Endes die Sicherheit im Schengenraum aufrechtzuerhalten.
Balkanroute zentral für illegale Migration nach Deutschland
Wie schaut es eigentlich an den westlichen Landesgrenzen aus?
Die Schweizer haben Grenzkontrollen nach Italien, deshalb kommt über die schweizerische Grenze sehr wenig. Die Franzosen machen auch schon seit Jahren eine scharfe Grenzkontrolle nach Italien. Deshalb haben wir in diesen Abschnitten weniger Probleme. Wenn Sie sich die Schleuserrouten nach Deutschland angucken, dann ist eigentlich nur die Balkanroute von Bedeutung. Damit konzentriert sich alles auf Österreich als letztes Land, bevor Deutschland erreicht ist.
Das heißt, man müsste vor allem die südöstlichen deutschen Grenzen konsequent notifizieren. Das ist aber bisher nur nach Österreich, nicht an der deutsch-tschechischen Grenze passiert.
Nein, das frustriert übrigens die Kollegen in Passau ungemein. Denn die Inspektion Passau umfasst die österreichische und die tschechische Grenze. Das heißt, wenn in Passau die Kräfte knapp werden, weil gerade unheimlich viele Aufgriffe bearbeitet werden müssen, dann bleibt der Inspektionsleitung nichts anderes übrig, als Kräfte von der tschechischen zur österreichischen Grenze zu verlagern. Damit wird die tschechische Grenze gar nicht mehr bestreift.
Aber die Bundespolizei wäre personell ausreichend gut aufgestellt, um stationäre Grenzkontrollen an den betroffenen Grenzabschnitten durchzuführen?
Selbstverständlich, wir würden sogar noch immens Personal einsparen im Vergleich zum Ist-Zustand, weil wir die Ströme eben kanalisieren würden. Wir hätten feste Punkte, an denen die Grenze überschritten werden darf, und an diesen Übergängen würden wir stehen und die ankommenden Fahrzeuge einer Sichtkontrolle unterziehen. Wenn da also zwei Leute drinsitzen, die augenscheinlich gerade vom Polenmarkt zurückkommen, weil sie da eine Bratwurst gegessen haben, dann werden die nicht kontrolliert. Aber in einen Kleintransporter mit abgedunkelter Ladefläche würde man schon mal reinschauen. Oder wenn Reisebusse kommen aus der Ukraine, dann würde man die rauswinken und kontrollieren. Und das ließe sich ohne Probleme machen, mit wesentlich geringerem Kräfteeinsatz als jetzt.
Herr Teggatz, vielen Dank für das Gespräch.