Immer mehr Menschen müssen aus der Ukraine fliehen – und Deutschland nimmt viele auf. Bereits 150.000 Ukrainer sind in Deutschland angekommen: Ihre Versorgung war am Montagabend Thema bei „Hart aber Fair“. „Zeigen wir diesmal unser freundliches Gesicht auf Dauer?“, fragt Frank Plasberg.
Ein freundliches Gesicht – das will jedenfalls Katja Kipping zeigen. Wohl deswegen verfängt sie sich die gesamte Sendung in einem seltsamen Lächeln, welches mindestens angesichts des Themas fehl am Platze wirkt. Die Sozialsenatorin von Berlin berichtet vom Management der vielen Flüchtlingsankünfte. „Berlin ist das Tor für ganz Europa“, erklärt die ehemalige Linken-Chefin. Sie ist sichtlich stolz darauf, was sie jetzt alles tun kann und tut. „Ich, ich, ich“ – die Berliner Senatorin listet auf, was nicht alles schon durch sie angestoßen wurde, und stellt dabei vor allem sich selbst ins Zentrum. Andere Bundesländer würden zu wenig tun, bemängelt Kipping. Es brauche eine bundesweite Verteilung nach einem Schlüsselsystem. Da stimmt auch SPD-Chefin Saskia Esken zu. Ein Verteilerschlüssel sei „zumutbar, weil wir auch die Hilfe organisieren müssen“.
Saskia Esken nimmt Golod den Wind aus den Segeln. Die Bundestagsabgeordnete muss einräumen, dass wir eben doch auf den Handel mit Russland angewiesen sind. „Die Energieimporte aus Russland zu stoppen – das geht nicht von heute auf morgen.“ Deutschland tue bereits sehr viel. Auf Plasbergs eifrige Nachfrage will die SPD-Chefin Nato-Soldaten in der Ukraine explizit nicht ausschließen. In der aktuellen Lage wolle man diesen Schritt zwar nicht gehen – aber kategorisch Nein wolle sie nach den Ereignissen der letzten Woche auch nicht sagen. „Ich glaube, dass wir mittlerweile in einer Situation angekommen sind, in der wir zu nichts niemals sagen sollten“, meint Esken. Zuvor musste sie sich gemeinsam mit Katja Kipping Kritik von Vassili Golod anhören, der das freundlich-ambivalente Verhältnis von Teilen der SPD und Linken zu Putin kritisierte.
Setzte Putin die Flüchtlinge als Waffe gegen Europa ein?
Live zugeschaltet ist in der Sendung der Gouverneur des Oblasts Czernowitz im Südwesten der Ukraine, Sergiy Osachuk. Neben seiner Rolle als Gouverneur ist er dieser Tage auch militärischer Kommandant. Er forderte mehr Waffen und härtere Sanktionen gegen Russland. Hier wird wieder eine „No Fly Zone“ ins Spiel gebracht – Plasberg zeigt sich einem verschärften Nato-Engagement zur Hilfe der Ukraine auch zugetan. „Niemand ist in der Ukraine in Sicherheit“, erklärt Osachuk. Bisherige deutsche Hilfen seien, so formuliert es der Ukrainer, „wie Reinigungskräfte“. Darauf angesprochen, dass der Westen erst zu stärkeren Schritten bereit sei, wenn Putin einen Schritt weitergegangen ist, zog Osachuk einen Vergleich zur NS-Zeit: „Wenn nur 100.000 jüdische Mitbürger umgebracht wurden, war das zu wenig, aber sechs Millionen waren genug.“
Die Forderung nach einer No-Fly-Zone wird daraufhin von Markus Kaim eingeordnet. Der Experte für Sicherheitspolitik stellt gegenüber der Runde und dem Moderator, der mit der Idee sichtlich zu flirten scheint, klar: „Dazu müssten wir auch Radaranlagen auf russischem Territorium beschießen.“ Auch Saskia Esken lehnt diese Idee daher ab: „Diese Flugverbotszone wäre der Eintritt unserer Streitkräfte in den Krieg.“ Dass Putin die Flüchtlinge auch als Waffe gegen die EU einsetze, hält Kaim für wahrscheinlich: „Es ist zumindest aus russischer Sicht ein willkommener, angenehmer Nebeneffekt, dass wenn die Flüchtlingsfragen in Europa steigen, wahrscheinlich Verteilungsfragen beginnen werden“, zeigte er sich überzeugt. Die Flüchtlingsströme seien ein geeignetes Instrument, Europa zu spalten. Die Destabilisierung des Westens sei schon lange ein Ziel Putins gewesen, findet auch Esken.
Wie Hilfe vor Ort aussieht, schilderte der Essener Kinderarzt Dirk Reinhardt. Er betreut krebskranke Kinder aus der Ukraine. Über 110 Kinder seien bisher in Deutschland. Die Familien seien oftmals zerrissen: „Es wollten nicht alle hierher. Sie sind wegen der Krebserkrankung der Kinder hierhergekommen, um das Überleben der Kinder zu sichern.“
Plasberg spielt die Zuschrift einer Zuschauerin ein, die sich dafür ausspricht, auf Heizen und überflüssige Autofahrten zu verzichten. Mit einem gesunkenen Gas- und Ölkonsum könne man sich von Putin unabhängiger machen. „Alle Möglichkeiten, die nicht militärisch sind, müssen ausgeschöpft werden“, findet Golod, „diesen Krieg de facto mitzufinanzieren, ist untragbar.“
Die Zurückhaltung der Bundesregierung in dieser Frage sei verständlich, findet wiederum Kaim. Der Hauptkonsument sei die Industrie. „Da müssten wir ehrlich mit uns selber sein und sagen: Sind wir bereit höhere Kosten für Produkte in Kauf zu nehmen, gegebenenfalls Arbeitsplätze zur Disposition zu stellen und vieles andere mehr?“, fragte der Politikwissenschaftler, der damit den Verlauf der Runde schön abbildet. Eine Runde, in der einige viel zum persönlichen Nulltarif fordern – und andere realistisch die Folgen betrachten.