Die Alternative für Deutschland (AfD) darf seit dem 8. März 2022 vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) offiziell als „Verdachtsfall“ eingestuft werden. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden. Der Präsident der Behörde, Thomas Haldenwang, äußerte sich nach dem Verfahren erleichtert und kündigte an: „Sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt und von uns ausgewertet wurde, wird sich das BfV weitergehender äußern.“ Demnach geht es nur noch darum, in absehbarer Zeit die Erklärung der Partei zum Verdachtsfall öffentlich zu vollziehen. Was bedeutet das für die AfD? Und wie lässt sich die Einstufung des Inlandsnachrichtendienstes einordnen?
Ohne Kenntnis der Unterlagen ist es natürlich unmöglich, die Angemessenheit der Einschätzung des BfV zu reflektieren. Der Vorwurf, einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff zu vertreten, wird aber eine große Rolle in der Bewertung der Partei spielen. Das Gericht hat dies mit seinen Ausführungen zu Mitgliedern des ehemaligen „Flügels“ und zur Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ bereits angesprochen. Bei beiden Strömungen sei „ein ethnisch verstandener Volksbegriff ein zentrales Politikziel. Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und sollten ‚Fremde‘ möglichst ausgeschlossen werden. Dies weiche vom Volksbegriff des Grundgesetzes ab.“ Denkbar ist, dass die AfD nun gegen das Urteil in Berufung geht.
Eine Arbeitsgruppe der Partei hatte im September 2019 mehrere verfassungsfeindliche Äußerungen ihrer Mitglieder publik gemacht, was kaum überraschend war. Als der langjährige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen Ende Januar 2022 erklärte, die Segel zu streichen, begründete er dies ebenfalls mit der Einschätzung, dass Teile des Verbandes „nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ stünden. Das wird intern als Verrat gewertet, und sicher war verletzte Eitelkeit im Spiel, aber ist die Bewertung deshalb automatisch falsch? Die simple Wahrheit lautet: Vollkommen anlasslos ist der Inlandsnachrichtendienst nicht tätig geworden.
Politisch gefärbter Blick des Verfassungsschutzes
Zur Fairness gehört allerdings auch, den Vorgang aus der Sicht der handelnden Akteure zu bewerten. Thomas Haldenwang ist ein politischer Beamter, dessen Maßnahmen im Einklang mit der Linie der Bundesregierung stehen müssen. Dies ist keine Verschwörungstheorie, sondern in § 54 Absatz 1 des Bundesbeamtengesetzes und § 30 Absatz 1 des Beamtenstatusgesetzes nachzulesen. Das Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz betrachtet – wie unter Angela Merkel – den Rechtsextremismus als größte Gefahr der inneren Sicherheit. Für den Inlandsnachrichtendienst bedeutet dies, dass er zu liefern hat. Daran ist nichts auszusetzen, wenn es um tatsächliche Verfassungsfeinde geht. Das Problem liegt an einer anderen Stelle: Haldenwang benutzt, wie auch die derzeitige Innenministerin Nancy Faeser, die Begriffe „rechts“ und „rechtsextrem“ synonym. Dadurch wird der Kampf gegen den Rechtsextremismus in den demokratischen Verfassungsbogen ausgedehnt.
Des Weiteren erscheint die Verdachtsberichterstattung problematisch, soweit sie auf Spekulationen basiert. So ist die erhebliche Steigerung des Rechtsextremismuspotentials von 2018 auf 2019 darauf zurückzuführen, dass 7.000 Anhänger des „Flügels“ pauschal hinzugerechnet worden sind. Die Zahl selbst war eine Vermutung, und es gab keine Einzelfallprüfung. Das BfV war seinerzeit nicht in der Lage, der Addition zu widerstehen, da durch die Verwertung der Schätzgröße die Haltung der Bundesregierung gestützt werden konnte: dass vom Rechtsextremismus die größte Gefahr für die innere Sicherheit ausgehe. Nun wurde die Behörde in diesem Punkt am 8. März 2022 vom Verwaltungsgericht Köln zurechtgewiesen. Es sei „unzulässig“, der Öffentlichkeit einen Umfang des „Flügels“ mit einer Stärke von 7.000 Personen mitzuteilen. Dazu sei „mehr erforderlich als die vom Bundesamt zur Begründung seiner Mitteilung angeführte Schätzung der Mitgliederzahl.“ Ähnliche Fehler sind vom Verwaltungsgericht Köln auch zuvor moniert worden.
Das BfV ist folglich keine unabhängige Denkfabrik, sie wird vielmehr vom Innenministerium im Bedarfsfall punktgenau gesteuert. Hin und wieder lassen die Zuständigen ihre Möglichkeiten beiläufig erkennen. Auf einer Pressekonferenz vom 17. Dezember 2019, auf der Thomas Haldenwang zugegen war, erklärte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer mit Blick auf den Kampf gegen den Rechtsextremismus: „Ich bedanke mich auch bei beiden Behörden [BfV und Bundeskriminalamt, M.W.], dass wir hier völlig nahtlos, harmonisch und ohne, dass wir irgendetwas anweisen [sic!] müssen, sondern aus eigener Überzeugung diese Felder sehr, sehr stark bearbeiten.“
Beschädigung eines Mitbewerbers im Parteienspektrum
Somit ergeben sich vor dem Hintergrund der Arbeitsweise der Behörde und ihrer nachweisbaren politischen Steuerung grundsätzlich Zweifel an der jederzeitigen Verhältnismäßigkeit einer jeden Einstufung. In technischer Hinsicht – also der Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln – ist die Erklärung zum Verdachtsfall dagegen weitgehend unproblematisch. Die AfDler werden dem durch Katz-und-Mausspiele ausweichen, wozu sie nur Handy-Nummern und E-Mail-Adressen regelmäßig wechseln müssen; oder sie nutzen Formen der verdeckten Kommunikation. Wichtige Gespräche dürften sie künftig vermutlich nur noch direkt führen. So bleibt lediglich die V-Mann-Thematik übrig – mit allen Problemen für das BfV, die aus den Verfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) bekannt sind.
Tatsächlich geht es im Fall der AfD deshalb auch um etwas Anderes. Mit der Erklärung zum Verdachtsfall werden keine relevanten Erkenntniswege aufgebaut. Ziel ist, die Chancen der Partei im politischen Wettbewerb zu verschlechtern. Thomas Haldenwang hat es am Tag nach dem Gerichtsurteil galanter formuliert: „Wir wollen die Öffentlichkeit über diese Partei informieren, damit eben auch die Wähler entsprechende Entscheidungen treffen können.“
Von Anfang an chancenlos?
Der Vorgang muss zudem in die politische Großwetterlage eingeordnet werden. Gefragt sei: Hatte die AfD jemals eine Chance, sich in das existierende Parteiensystem in einer akzeptablen Form zu integrieren? Seit ihrer Gründung 2013 erfährt sie bei sämtlichen Themen, die sie voranzubringen versucht, scharfen Gegenwind. In vielen Einzelpunkten war dieser gerechtfertigt. Nicht wenige Beobachter haben dabei aber den Eindruck gewonnen, dass eine ausgewogene Betrachtung des neuen politischen Mitbewerbers bis heute nicht in Frage kommt, ja nicht einmal denkbar ist, weil es aus der Sicht linker Journalisten und Politiker für eine rechte – also konservative – Strömung keinen Platz im Bundestag geben darf.
Werner J. Patzelt spricht in diesem Kontext von einer „Repräsentationslücke“ im Parteienspektrum. Sie ist durch den Mitte-Linkskurs der Regierung von Angela Merkel auf ganz natürliche Weise entstanden, und die AfD versucht, das Vakuum zu füllen. Auch das sollte als normaler Prozess in einer vielfältigen Gesellschaft wahrgenommen werden. In einer Demokratie müssen Meinungen der Linken, der Mitte und der Rechten vertreten sein. Die dazu notwendige Toleranz wird jedoch von den etablierten politischen Kräften verweigert. Die AfD erhält im Parlament nicht die anteilig üblichen Vorsitze in den Bundestagsausschüssen; ihr Bewerber für das Amt des Vizepräsidenten des Bundestages ist wieder und wieder abgelehnt worden; der Desiderius-Erasmus-Stiftung sind bislang noch nicht die ihr zustehenden finanziellen Mittel überwiesen worden. Nach dem Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts könnte die AfD zusätzlich ihren Sitz im Parlamentarischen Kontrollgremium verlieren.
Das alles löst bei Funktionären und Mitgliedern der Partei Empörung aus – wie auch die Auseinandersetzung mit den Leitmedien. In den üblichen Talkshows geht es nur selten um eine sachliche Betrachtung von AfD-Positionen. Jene führenden Mitglieder der Partei, die geladen werden, müssen sich oft wie in einem Verhör vorkommen. Das Urteil steht zumeist schon vor Beginn der Fragerunde fest. Zudem war und ist die Zusammenstellung der Gäste einseitig. Geht ein AfD-Funktionär zu Markus Lanz, stehen ihm mindestens drei Gegner in der Arena gegenüber – Moderator stets inklusive. Selbst am Tag des Beginns der Verhandlungen vor dem Kölner Verwaltungsgericht ist die ARD dieser Linie treu geblieben. Ihr Journalist Lothar Lenz titelte: „Wie rechtsextrem ist die AfD?“ Also nicht: „Wie rechts ist die AfD?“ Das ARD-Hauptstadtstudio nutzte die Gelegenheit bereitwillig zum bekannten Framing der Wahrnehmung der Leserschaft.
Erschwerend kam für die Partei von Anfang an hinzu, dass das politische Spektrum rechts der Mitte nicht organisatorisch ausdifferenziert ist. Es gibt dort viele Vagabunden, die häufig die Stellung wechseln, um ihr politisches Glück zu suchen. So sind Frustrierte und Radikale schnell zur Belastung geworden, wogegen sich die erste Generation der AfD-Führung kaum wehren konnte. Solche Personen werden zum Problem, wenn sie den Abgeordnetenstatus erreicht haben und plötzlich schräge Positionen verlautbaren lassen, für die es ein öffentliches Interesse gibt. Den Gegnern der Partei erleichtert das die Arbeit. Sie mussten nur die richtigen Mandatsträger ausfindig machen und ihnen ein Mikrofon anbieten.
Dennoch wäre es unangemessen, nun einen Opfer-Mythos an die Wand zu malen. Auch führende AfD-Mitglieder tragen zum Gesamtbild bei, wenn sie auf Marktplätzen großspurige Plattitüden verbreiten, im Fernsehen mit kurzer Zündschnur Fragen beantworten und wenig evidenzbasierte Argumente vortragen.
Nicht geduldet: Positionen rechts der Mitte
Die Einstufung der AfD als Verdachtsfall sollte zum Anlass genommen werden, grundsätzliche Fragen zu diskutieren: Sind die etablierten Parteien in der Lage, eine rechts der Mitte stehende politische Kraft als legitimen Akteur zu akzeptieren? Wenn ja: Welche Themen dürfen aus konservativer Sicht bearbeitet werden, ohne gleich in das Visier des BfV zu geraten? Wichtiger noch: Welche Begriffe, welche Formulierungen sind diesbezüglich statthaft?
Genau an dieser Stelle wird sichtbar, worum es eigentlich geht. Der Diskurs ist in Deutschland bei sehr vielen Themen so weit nach links verschoben worden, dass einst gängige konservative Ansichten heute als geächtet gelten. Mehr noch: Vertreter dieses Lagers erleben einen schrittweisen Entzug der geistigen Basis durch Kontaminationspraktiken der Konkurrenz. Erst wird das Themenangebot reduziert, anschließend sind ehemals legitime Ausdrucksformen dran, bis schließlich Forderungen zur Übernahme des Weltbildes und der Sprache des Diskurshegemons sichtbar werden.
Zu den Ergebnissen des Prozesses gehört ein doppelter Bewertungsmaßstab. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss selbstverständlich nicht zurücktreten, wenn er Gudrun Ensslin, einst eine führende Aktivistin der terroristischen Roten Armee Fraktion und vierfache Mörderin, zu den „großen Frauen der Weltgeschichte“ zählt. Bereits zuvor hatte er sich immer wieder bewundernd zu Karl Marx geäußert oder Werbung für die linksextreme Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ gemacht – alles aus dem Amt heraus! Auch Innenministerin Nancy Faeser, die für das BfV zuständig ist, hat man es durchgehen lassen, dass sie wenige Monate vor Amtsantritt einen Namensbeitrag in einem bekannten linksextremen Magazin publiziert hat – ohne spätere Distanzierung.
Ähnliche Vorgänge wären auf der rechten Seite undenkbar. Ganz im Gegenteil: Bei gesellschaftlich sensiblen Themen wie etwa der „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ (so die Bezeichnung des Bundeslagebildes des Bundeskriminalamts) oder der nationalen Identität der Deutschen ist schnell mit sozialen Konsequenzen unterschiedlicher Art zu rechnen, sobald Positionen außerhalb des Mainstreams vertreten werden. Sind sie auch noch so gut begründet. Selbst Wissenschaftler, die durch Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes zumindest theoretisch in besonderer Weise geschützt werden, müssen damit rechnen, im Falle einer Prüfung des Geschriebenen vom BfV der Verfassungsfeindlichkeit bezichtigt zu werden. Der herrschaftsfreie Diskurs ist dann aufgehoben.
Beim Vorwurf der Verwendung eines ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs, der auch gegen die AfD in Stellung gebracht worden ist, gibt es generell kein Entkommen mehr. Er wird vom Verfassungsschutz wie ein großes Fischernetz mit sehr engen Maschen ausgeworfen, so dass sich selbst sehr sachliche Darstellungen und durchweg harmlose Formulierungen zu Fragen der nationalen Identität in ihm verheddern. Neben dem inhaltlich gerechtfertigten Fang wird auf diese Weise ein umfassender Beifang erzielt, der nicht – wie unter Fischern üblich – als unverwertbar zurück ins Meer geworfen, sondern als Beute dargeboten wird. Wer durch die engen Maschen des BfV-Netzes schlüpfen will, hat nur eine Möglichkeit: Er muss die Inhalte der Geschichtsbücher vergessen und die Existenz der deutschen Kulturnation leugnen. Diese Einschätzung ist keine Polemik, sondern breit belegbar!
Der Volksbegriff
In meinem Buch „Kulturkampf um das Volk. Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“ habe ich mich klar positioniert: Es gibt kein homogenes deutsches Volk. In mehreren Textstellen lehne ich immer wieder den ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff ab. Dagegen finden sich sehr moderne Formulierungen zum Abstammungsgedanken: „Für die Identität eines Menschen ist damit vor allem in jungen Jahren die geistig-kulturelle Abstammung, die von Vater und Mutter über Erzählungen weitergeben wird, von zentraler Bedeutung.“ Dennoch hält das BfV mir eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) vor, da ich angeblich einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff vertrete, der gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoße. Das ist abwegig und vollständig konstruiert. Die Zuständigen ignorieren hier konsequent jedes Gegenargument.
Das postfaktische Moment wird vor allem dort deutlich, wo sich die Behörde Argumenten verschließt, die glasklar die Diskursverschiebung als Tatsache belegen. Etwa in diesem Beispiel: Am 29. Juli 1974 hat die von Bundeskanzler Helmut Schmidt geführte Regierung die folgende Stellungnahme abgegeben: „Ein gegenwärtig häufig in Anspruch genommener Maßstab für die Bestimmung einer nationalen Einheit ist auf die gemeinsame Abstammung, die ethnische Homogenität bezogen. Daß die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR ethnisch homogen sind, kann unbestritten gelten.“ 1974 war diese Aussage unproblematisch, heute gilt sie als verfassungsfeindlich. Da das Grundgesetz in den relevanten Passagen seit jenem Jahr nicht verändert worden ist, kann die neue Sichtweise des BfV nur politisch begründet werden. Wäre der Inlandsnachrichtendienst konsequent, müsste er nun sämtlichen Nachkriegsregierungen bis mindestens 1998 einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff vorhalten – Belege gibt es genug. Das wird er natürlich vermeiden, um das neue Argumentationsmuster nicht zu gefährden.
Folgerichtig müsste zusätzlich jeder zweite Deutsche pauschal zum Verdachtsfall erklärt werden, gilt seine Einstellung in Identitätsfragen doch aus der Sicht des BfV als verfassungsfeindlich. Im Spätsommer 2016 stimmten 49 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage dieser Aussage zu: „Für mich reicht das allein zum Deutsch sein nicht aus. Deutsch sein ist mehr und hat auch mit Herkunft und Tradition zu tun. Menschen ausländischer Herkunft, die den deutschen Pass besitzen und schon länger hier leben, sind für mich daher noch lange keine ‚richtigen‘ Deutschen.“ Sind wir also ein Volk von Verfassungsfeinden? Oder versucht derzeit eine an der Multikulturalisierung des Landes interessierte Bundesregierung, ein neues Gesellschaftsmodell von oben durchzudrücken?
Das Vorgehen der Behörde ist schließlich insofern erstaunlich, als der ethnisch-abstammungsmäßige Volksbegriff bis heute Teil der deutschen Rechtssprache ist, etwa im Bundesvertriebenengesetz. Auch beim Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und in Erklärungen der Bundesregierung zu indigenen Völkern findet er sich wieder. Wer sucht, der stößt auf einen Widerspruch nach dem anderen. Das BfV hält bereits Überlegungen zur ethnokulturellen Identität eines Volkes für verfassungsfeindlich und geht damit weit über das hinaus, was das Verwaltungsgericht Köln völlig zurecht kritisch sieht. Demnach müsste der einstige Staatssekretär Markus Kerber vom Bundesinnenministerium als Rechtsextremist eingestuft werden. Am 23. September 2021 gab er mit Blick auf die Förderung deutscher Minderheiten im Ausland zu Protokoll: „Ziele der Förderung sind die Stärkung der deutschen Gemeinschaften, die Verbesserung der Lebensperspektiven sowie der Erhalt der ethnokulturellen Identität durch insbesondere Sprach- und Jugendförderung.“ Selbst im Bundeshaushaltsplan 2021 ist von der „ethnokulturellen Identität“ der deutschen Minderheit die Rede.
Eine repräsentative Bewertung?
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das BfV nachweisbare rechtsextreme Tendenzen in der AfD entdeckt hat. Fraglich ist nur, wie repräsentativ diese sind, wie sich entsprechende Strömungen entwickeln werden und ob der Parteiführung nachgewiesen werden kann, die FDGO beseitigen zu wollen. Letzteres ist derzeit nicht erkennbar. Desgleichen kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Vorgehen des BfV in vielen Punkten unglaubwürdig ist. Die Behörde lässt sich partiell politisch instrumentalisieren, um die Brandmauer gegen rechts zu befestigen. Diese Maßnahme wendet sich gegen die Ausfüllung der Repräsentationslücke und jene Stimmen, die Kritik an der Multikulturalisierung Deutschlands üben. Bei der AfD liegt sicher vieles im Argen. Als Demokrat muss man aber auch mit einer gewissen Sorge auf das BfV schauen.
Prof. Dr. Martin Wagener unterrichtet Politikwissenschaft am Fachbereich Nachrichtendienste der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin. Im Juli 2021 ist sein Buch „Kulturkampf um das Volk. Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“ erschienen, in dem er die „Brandmauer gegen rechts“ erklärt hat. Einzelne Themen dieses Beitrages finden Sie auch in seinem Podcast.