Am Donnerstag trafen sich die Außenminister von Russland und der Ukraine, Sergej Lawrow und Dmitro Kuleba, zu Gesprächen im türkischen Antalya. Es war das erste hochrangige Treffen zwischen Vertretern beider Regierungen seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine. Als Vermittler war der türkische Außenminister Çavuşoğlu mit dabei.
Das klang wenig ermutigend und enthielt nichts Konkretes. Die schlichte Tatsache, dass die beiden Regierungen nun direkt miteinander sprachen, war hingegen bemerkenswert und richtete das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit auf die Türkei: Welche Rolle spielt sie in diesem Konflikt, als Mitglied der Nato und Beitrittskandidat der EU? Sie unterhält enge Beziehungen zur Ukraine wie zu Russland und möchte diese auch im Krieg bewahren.
Der in Istanbul lebende Sicherheitsexperte Gareth Jenkins meint jedoch im Gespräch mit Tichys Einblick, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Gefahr läuft, in eine diplomatische Sackgasse zu geraten. Die Türkei hat sich den Sanktionen des Westens nicht angeschlossen. „Regierungsnahe Medien schreiben derzeit viel darüber, wie sehr die Türkei davon profitieren wird, ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Russland im Krieg auszubauen”, sagt Jenkins. Das Problem sei nur, dass die Türkei sich damit als Nato-Mitglied ins Abseits manövriere. Die Stimmung innerhalb des Bündnisses lasse „null Raum für Neutralität” in diesem Konflikt.
Ohnehin weigern sich die USA schon seit Jahren, moderne Waffensysteme an die Türkei zu liefern, seit das Land russische S-400 Luftabwehrraketen kaufte. Dafür wurde die Türkei aus dem F-35-Programm geworfen – moderne Tarnkappen-Jäger, die die Türkei kaufen wollte, aber nun nicht kaufen darf. Jenkins zufolge wird es dabei bleiben, solange die Türkei bei den Sanktionen nicht mitmacht.
Mit Russland kann es sich Erdogan auch verderben. De facto sind die beiden Länder in Syrien Kriegsgegner und rivalisierten auch im Libyen-Krieg sowie im Konflikt um Nagorno-Karabach. Die Türkei verkauft Waffen an die Ukraine. Wenn sie diese Kooperation verstärkt, wird Russland das nicht tolerieren, meint Jenkins.
Wie viele Bayraktar-Drohnen die Türkei bereits geliefert habe, unterliege der Geheimhaltung, es seien aber mindestens sechs und höchstens 15. Ferner haben beide Seiten die Lieferung weiterer 24 Drohnen vereinbart. Sehr bald seien diese allerdings nicht zu erwarten: Die Türkei hat derzeit nicht so viele Drohnen auf Lager, ein Teil von ihnen müsste erst gebaut werden. Zudem sehe die Vereinbarung vor, dass die Ukraine eigene Motoren in die Drohnen einbaut, auch das brauche Zeit, wenn es kriegsbedingt überhaupt lösbar sei.
Übrigens führt der Krieg auch in der Türkei zu erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen, obwohl das Land keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat. Sowohl Russland als auch die Ukraine haben die Ausfuhr wichtiger Grundnahrungsmittel untersagt, darunter Sonnenblumenöl und Sonnenblumenkerne. „Damit kochen die meisten Türken“, sagt Jenkins, und schon sei Kochöl Mangelware: „Die Menschen stehen Schlange, um Sonnenblumenöl zu ergattern.“ Die ohnehin krasse Inflation würde durch die Krise noch beschleunigt. „Die Inflation beträgt derzeit offiziell 54 Prozent“, sagt Jenkins. „Es würde mich nicht wundern, wenn es tatsächlich 100 Prozent sind.“
Für Erdogans Ansehen im Volk sei das ein wachsendes Problem. „Insofern ist er bemüht, mit seiner Vermittlungsrolle im Ukraine-Krieg einen außenpolitischen Erfolg zu verbuchen.“ Jenkins hält das für unmöglich: Auch Russlands Präsident Putin müsse konkrete Erfolge im Krieg vorweisen, ihn also gewinnen – das lasse wenig Raum für Vermittler, um Lösungen für eine Beendigung des Konflikts zu finden.