Die in Deutschland zurzeit am meisten gestellte Frage lautet: „Wie weit wird Putin gehen? Drückt er mit dem Rücken zur Wand am Ende sogar den roten Knopf?“ Am Ende dieser Woche ist diese Existenzfrage für uns alle mit einem klaren Nein zu beantworten.
Der britische Nachrichtendienst, der den gesamten russischen Funkverkehr abhört, berichtet über ein heilloses Durcheinander, ein Großversagen der Technik und extreme Nachschubprobleme. Die Erwartung, das leidige Thema Ukraine sei in 48 bis 72 Stunden erledigt, erweist sich als Trugschluss. Was jetzt noch übrig bleibt, sind Massaker an der Zivilbevölkerung und die blinde Zerstörung des Landes. Gewonnen wäre damit für die Russen gar nichts. Eine reine Besetzung des Landes würde nicht zuletzt durch den sich anschließenden Partisanenkampf nicht zu kalkulierende Blutopfer verlangen.
Putins zweites Desaster ist die für ihn unerwartete Geschlossenheit des Westens. Er setzte auf eine seit Schröder und Merkel gewohnte Abneigung gegenüber den Amerikanern und die Interessengegensätze insbesondere mit Frankreich. Der neue US-Präsident Biden wurde als senil und führungsschwach eingeschätzt. Beide Vermutungen erwiesen sich ebenso als falsch. Das Bündnis steht zusammen, und Biden führt.
Als Drittes kommt hinzu, dass die massiven Sanktionen schon jetzt spürbar werden und Russland ins Mark treffen. Selbst ein Sperren der Rohstoffexporte wie Gas und Öl würden – bei allen Unannehmlichkeiten – von der wirtschaftlichen und technologischen Stärke der westlichen Welt durchzustehen sein.
Was bedeutet das nun alles für die Interessen Pekings? Washington ist für das neue „Reich der Mitte“ der eigentliche Gegner des 21. Jahrhunderts. Ihn zu schwächen, ist Parteichef Xi einen hohen Einsatz wert. Indem er nach dem Treffen mit Scholz und Macron bekräftigt hat, dass nur eine diplomatische Lösung den Ukraine-Konflikt beenden könne, sandte er Putin ein klares Signal, was er von Russland erwarte. In der verzweifelten Lage des Kreml-Chefs, dem als einzige Stütze nur noch China übrig geblieben ist, bleibt nichts anderes, als Xi zu folgen. Zum ersten Mal meldet sich damit China auf der internationalen Bühne zu Wort. Was wären die Folgen?
In der Ukraine kommt es zu einem Ende der Gewalt mit einer gesichtswahrenden Lösung für alle. Wie immer diese auch im Detail aussehen mag, für Putin bliebe die schmähliche Niederlage, für die Europäer erschiene der Chinese plötzlich als Erlöser aus einer äußerst unbequemen Lage. Die Chinesen würden zu einem Partner in Augenhöhe zu Washington. Gleichzeitig könnten die Rohstoffschätze der Russen zu Preisdiktaten Chinas dessen Riesen-Bedürfnisse erfüllen. Eine automatische Abkühlung im transatlantischen Verhältnis wie auf dem Level vor der Ukraine-Krise ist zu erwarten.
Alles in allem eine klare Win-Win-Situation für Peking im Ringen mit Washington um den Platz der Nummer 1 in der Welt. Natürlich würden die chinesischen Kommunisten für diesen „Liebesdienst“ von den Europäern zumindest Neutralität im Falle einer „militärischen Lösung“ der Taiwan-Frage erwarten.
All das kann eintreten, muss aber nicht. Die Möglichkeit dafür aber auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung ist gegeben.