Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Von Propaganda und Entgrenzung in Kriegszeiten

Die Verzerrung der Wahrheit, man nennt es Propaganda, ist eine überaus wirkungsvolle, ja eine geradezu notwendige Waffe für alle Kriegführenden.

Protest gegen Puton und dessen Krieg gegen die Ukraine in London, 5. März 2022

IMAGO / ZUMA Wire

Bei allen Gefühlen, die es auslöst, bei allem Entsetzen darüber, dass ein souveränes Land brutal überfallen wird: Deutsche Hobbyoberbefehlshaber im bequemen Sessel, die Putin mit Hitler vergleichen und zum Tyrannenmord aufrufen, sind zwar nicht hilfreich, allerdings auch nicht sonderlich schädlich. Anders verhält es sich, wenn Politiker und Medien in dieses Horn tuten. Und was ist eigentlich in Friedrich Merz gefahren, der eine Einmischung der NATO erwägt? Was in Mathias Döpfner?

Man sollte nicht wehrhaft mit wahnsinnig verwechseln. 

Die theatralische „Haltung“, die Politiker gern bemühen, um Trauer und Betroffenheit vorzuzeigen, ist meistens billig, oft gefährlich. Jenseits des Kriegsgebiets hat man den Luxus, einen kühlen Kopf bewahren zu können. Und das heißt: eine Entgrenzung des Konflikts zu verhindern oder wenigstens zu vermeiden, dazu beizutragen. 

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Hilfreich ist gewiss nicht, im Wonnegefühl der richtigen „Haltung“ an Russen auszulassen, was man Putin vorzuwerfen hat. Wenn in Deutschland russischen Dirigenten und Sängerinnen gekündigt wird, wenn russische Produkte aus den Regalen genommen oder russische Gäste von Restaurants abgewiesen werden, ist das nicht nur maßlos und dumm – es nimmt uns auch die Chance, jene russischen Kräfte (und militanten Mütter!) zu stärken, die nicht die geringste Lust auf einen kostspieligen und opferreichen Krieg haben. Es wird auch nach Putin noch ein Russland geben. 

Es ist zum geflügelten Wort geworden, was der amerikanische Senator Hiram Johnson 1917 sagte: „The first casualty when war comes is truth“. Heißt: Erzählungen über die Heldenhaftigkeit der eigenen Seite und die Bosheit des Feindes sollte man nicht für wahrheitsgemäße Reportagen von der Front halten. Jeder Sieg erscheint heldenhafter, je bösartiger der Feind ist. Vor allem aber kann heutzutage nur der allergarstigste Gegner noch rechtfertigen, dass sich etwa eine Demokratie zu Gegenmaßnahmen entschließt, die so sehr den eigenen zivilen Werten widersprechen. Die Verzerrung der Wahrheit, man nennt es Propaganda, ist eine überaus wirkungsvolle, ja eine geradezu notwendige Waffe, eine gleichwertige Partnerin der Panzer, Flotten und Bomberverbände. 

Man glaube keiner Seite. Und man misstraue den eigenen Gefühlen. Und an alle, die auf „Putinversteher“ schimpfen: es ist nichts als militärische Weitsicht, zu versuchen, die Motive und Absichten der Gegenseite zu verstehen, um sie einschätzen zu können.

Die Dämonisierung des Feindes als Ausbund der Unmoral hat Folgen für das, was nach einem Krieg kommen sollte: ein Friedensschluss. Die Moralisierung des Krieges beendet eine fundamentale Kriegsökonomie, wonach es nicht darauf ankommt, den Gegner zu vernichten, sondern ihm den Rückzug stets offenzuhalten, damit der Krieg möglichst kurz und unblutig bleibt. 

Wenn es aber um die Existenz geht, gar um Menschheitsanliegen, um das Gute gegen das absolut Böse, gelten die Regeln der Mäßigung nicht mehr. Propaganda ist genau dazu da, diese Ökonomie außer Kraft zu setzen: Sie zielt auf die höchsten Werte, die nach dem höchsten Opfer verlangen. 

Kleiner Exkurs zur Geschichte der Propaganda: 

Zwar mussten sich bereits im Dreißigjährigen Krieg die kriegsführenden Parteien erklären – also versuchen, ihre Wahrheit überzeugend in Szene zu setzen. Die britische Propaganda im ersten Weltkrieg allerdings war in vieler Hinsicht ein Höhepunkt. Die Briten waren die ersten, die eine eigene Propagandaabteilung einrichteten – und eine Moralkampagne entzündeten, die ihresgleichen sucht. Der Leiter der Propagandaabteilung rekrutierte englische Dichter und Intellektuelle, darunter H. G. Wells. Plakate erschienen in einer Auflage von 2,5 Millionen Stück, wöchentlich wurden tausende von Fotografien und Karikaturen in Umlauf gebracht. Die Stoßrichtung: man müsse die Welt vor dem preußischen Militarismus schützen, vor den Hunnen und Barbaren, die unschuldige Zivilisten massakrierten, Nonnen und Jungfrauen vergewaltigten und Babys auf ihre Bajonette spießten. Die Deutschen würden den kleinen Knaben in Frankreich die Hände abschneiden, damit das Land keine Soldaten mehr hätte – und so weiter (Nichts davon konnte nach dem Krieg nachgewiesen werden.) Kurz: man müsse „gegen die gefährlichste Verschwörung“ kämpfen, „die je gegen die Freiheit der Völker angezettelt“ worden sei (Lloyd George). Die moralische Mission lautete: das barbarische deutsche Kaiserreich zu zivilisieren.

Nun bedeutete die Bezeichnung der Deutschen als Barbaren nicht, dass sie welche waren – sondern dass man sie als solche zu behandeln wünschte, als Menschen, denen gegenüber die Gesetze der Mäßigung im Krieg nicht anzuwenden seien. Das ist die Sprache der Entgrenzung. 

Solche Propaganda-Exzesse waren vielen Briten bereits kurz nach dem Krieg peinlich – und traf bei vielen britischen Frontsoldaten auf äußersten Widerwillen. Denn die Dämonisierung des Gegners als absoluten Feind zwingt ihn dazu, alle Ressourcen in den Schlund des Molochs zu werfen, da er auf Verständigungsfrieden nicht hoffen darf. Damit nähert sich das Geschehen dem totalen Krieg an – einem Krieg, der auch die Zivilbevölkerung einbezieht. 

Was ich damit sagen will? Bei aller Sympathie für den Freiheitswillen vieler in der Ukraine (wo im übrigen nicht nur Unschuldslämmer agieren) sollte man die Sprache der Entgrenzung vermeiden. Und deshalb kann ich mich auch wenig begeistern für die Einbeziehung der Bevölkerung in Kampfhandlungen – per Bewaffnung oder durch das Basteln von Molotowcocktails. Wenn Soldaten hinter jedem Zivilisten einen Angreifer vermuten müssen, ist die Entgrenzung garantiert. Guerillataktiken gehen für die Zivilbevölkerung selten gut aus. 

Nein, Pazifismus ist nicht die Antwort. Ein moralgewisser Interventionsfuror jedoch ebenso wenig. 

Was Deutschland betrifft: man könnte auf die Idee kommen, dass Angela Merkel Putin jahrelang entgegengearbeitet hat. Wir sind abhängig und wehrlos. Noch nicht einmal als Mediator sind wir gefragt. Oder warum wird es Erdogan überlassen, die Kontrahenten an den Verhandlungstisch zu bringen? 

Wie wäre es also mal mit Klappe halten?

Alles, was zum baldigen Kriegsende führt, ist recht. Die Neutralität der Ukraine etwa, was offenbar auch Zelensky offeriert. Der Kreml-Sprecher Dimitri Peskow sagte laut Reuters, Russland könne seinen Feldzug „sofort“ stoppen, falls die Ukraine folgende Bedingungen erfülle: Sie müsse

Vielleicht werden sich die beiden Außenminister am Donnerstag bei Erdogan drauf einigen.


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