„Des einen Leid ist immer auch eines anderen Glück!“ So zynisch diese alte Weisheit klingt, so wahr ist sie. Die Leidtragenden der furchtbaren Heimsuchung kriegerischer Gewalt sind diesmal die erbarmungswürdigen Opfer eines Angriffskrieges in der Ukraine. Der unfreiwillige Nutznießer dieses Verbrechens gegen das Völkerrecht ist die Ampel-Regierung in Berlin. Plötzlich und unerwartet ist sie die Last unerfüllbarer Wahlversprechen los.
Allein das war schon ein nur von wenigen verstandener Offenbarungseid. Aber keine Sorge – da gibt es ja die sichere Lieferung von Gas durch den „strategischen Partner Deutschlands“ (Zitat Merkel): Russland. Im Übrigen hänge an der Energiefrage, so Scholz schon damals weiter, die aus Gründen des Klimaschutzes notwendige totale Neustrukturierung unserer Wirtschaft: „die große Transformation“. Was für ein großes Unterfangen, bei zugleich so großem Selbstzweifel. Dabei wurde von den gewaltigen Kosten einer solchen Totaloperation noch gar nicht gesprochen.
Beim Thema Verteidigung und Rüstung war die Sache einfacher. Mehr oder weniger klar war das Motto: Wir leben in einer Zeit des ewigen Friedens. Deutschland muss seinen eigenen Weg finden und darf nicht zum Spielball amerikanischer Interessen werden. Eigentlich ist die Bundeswehr überflüssig und passt auch nicht in eine pazifistische, nicht mehr den Leitbildern von Stärke und Männlichkeit geprägte Welt.
Die Bundeswehr geriet mehr und mehr in die Rolle eines ungeliebten Kindes. Nicht einmal Drohnen zum Schutz unserer Soldaten bei Auslandseinsätzen wurden von SPD und Grünen genehmigt. Das immer „in seinen Ängsten missverstandene Russland“ stelle aufgrund der gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtung keinerlei Bedrohung mehr da.
So schön dieser Traum auch war, schon kurz nach der Regierungsübernahme sah man den Riesenberg an Problemen und Ungewissheit, der ohne Aussicht auf Erfolg zu überwinden war. Nicht wenige Beobachter sahen bereits das Ende der Koalition schon für diesen Herbst voraus. Spätestens dann hätte die FDP die Faxen dicke und nähme Reißaus.
Scholz hielt im Deutschen Bundestag eine programmatische Grundsatzrede, die der heute geschmähte Kanzler der Deutschen Einheit, Helmut Kohl, nicht besser hätte formulieren können. Steigerung des Verteidigungshaushaltes auf zwei Prozent des BIP – kein Problem! Einen Sonderfonds zur Aufrüstung der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro – kein Problem! Der Grüne Habeck hält eine sichere Reserve der „schmutzigen“ Kohle für notwendig. Der Import von Flüssiggas ist mit einem Mal angesagt. Die Abhängigkeit von russischem Gas müsse dringend verringert werden. Nicht mal eine eindeutige Absage an die Kernenergie ist mehr sicher.
Gleichzeitig werden mit diesem Kurswechsel auch Belastungen für das ganze Land angekündigt. Kein Wort mehr vom Stellenwert des Umweltschutzes als höchstes Gut über allem anderen oder von der Transformation der Industriegesellschaft zu – ja, was eigentlich? – und den unabwendbaren Sieg des Feminismus in allen Bereichen. Das Allerschlimmste aber dürften die ungewohnten Treueschwüre zu den USA und dem atlantischen Bündnis sein. Die normative Kraft des Faktischen hat die gesamte Linke und den auf neutralistischen Pfaden irrlichternden Teil der Gesellschaft auf den Boden der nackten Realität geholt.
Man hätte erwarten können, dass vom linksliberalen Mittelstand bis hin zum Extremismus von Links und Rechts in einem emotionalen Aufwand die Straßen und Plätze des Landes mit Protesten gefüllt wären. Doch auch hier Fehlanzeige – zu tief sitzt offensichtlich der Schock. Es hat den „Kräften des Fortschrittes“ und den Gutmenschen im Sinne des Wortes die Sprache verschlagen. Entsetzen dürfte auch der Schulterschluss von SPD und Grünen mit der CDU unter der neuen Führung von Friedrich Merz ausgelöst haben. Ganze Weltbilder sind zusammengebrochen.
Wenn die Enttäuschung zu groß wurde, genügte ein Blick ins Fernsehen, um, zumindest dem Verstand nach, zu begreifen, dass der Angriff einer Atommacht auf ein kleineres Nachbarland zum Zwecke der Unterwerfung in Europa alles verändern muss. Jedem, der nur ein bisschen über Geschichte weiß, musste zwangsläufig der erste September 1939 einfallen, als Adolf Hitler den Überfall auf Polen befahl und damit den Auftakt für all das gab, was danach in so fürchterlicher Weise über unseren Kontinent hereingebrochen ist.
Niemand kann heute sagen, wie das Geschehen in Deutschland weiter verläuft. Vieles kann dabei herauskommen – Gutes, aber auch Schlechtes. Eines aber steht schon jetzt fest: Mit der historischen Rede des Bundeskanzlers Olaf Scholz am 27. Februar 2022 ist die Bundesrepublik eine andere geworden.