SPD-Regierungen bleiben sich treu. Während die unionsgeführte Bundesregierung die Wehrpflicht aussetzte, die Truppe kaputtsparte und sich vehement gegen die von der NATO geforderte Einhaltung des 2-Prozent-Zieles wehrte, tritt Olaf Scholz in die Fußstapfen von Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Ganz entgegen roten Glaubensbekenntnissen unterstützte Schmidt den NATO-Doppelbeschluss, während unter Schröder die Bundeswehr ihren Einsatz im Zuge des Jugoslawienkrieges und des Afghanistankrieges sah.
Das Paradoxon, dass deutsche Regierungen mit Grundüberzeugungen ihrer eigenen Wähler brechen – mag es Hartz IV unter Rot-Grün oder der Atom-Ausstieg unter Schwarz-Gelb gewesen sein – bleibt bestehen. Dass ausgerechnet die Grünen maßgeblich in der Regierung dabei mitwirken, ist bereits zum zweiten Mal Treppenwitz der bundesrepublikanischen Geschichte. Die geopolitischen Veränderungen und die massiven Sanktionen gegen Russland könnten für sie noch weitere Gewissensfragen aufwerfen.
Dass die Roten in der Bundesregierung und die Grünen in der Opposition genau jene Projekte, die sie jetzt antreiben, jahrelang blockiert haben, bleibt dabei unter dem Tisch. Im Übrigen nicht nur in der letzten Legislatur: die von der Truppe öffentlichkeitswirksam verbreitete Meldung, dass sie „blank“ sei, war wohl auch dem Projekt der Ampel geschuldet, bei der Bundeswehr weiter einzusparen und Personal abzubauen. Vielleicht sind bald auch Drohnen plötzlich „in“.
Nach Scharnhorst und Moltke nun die Militärreform unterm „alten Ole“
Wenn Scholz in seiner Ansprache demnach sagt, man würde eine „Zeitenwende“ erleben, dann betrifft das nicht nur die Außenpolitik. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll der Bundeswehr in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen. Im Bundestag kündigt der Kanzler an, das Geld werde bereits für den Bundeshaushalt 2022 bereitstehen. Und außerdem: von nun an würde die Bundesregierung „Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“.
Scholz spricht von einer hochmodernen, leistungsfähigen und „fortschrittlichen“ Bundeswehr. Offenbar wollte man sich die in den letzten 20 Jahren nicht leisten. Erst, da die militärische Schwäche des Westens so offenbar ist, dass Russland glaubt, seine Expansionswünsche ohne militärische Gegenwehr durchsetzen zu können, kommt man in Berlin auf die Idee, die konventionellen Kräfte zu stärken, um in Zukunft abwehrbereit zu wirken. Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“, die beteuert, dass sich die Demokratie allein durch Vernetzung und Handel die Welt untertan machen würde, scheint passé.
„Klar ist: Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen“, sagt Scholz im Plenum. Und dann: „Wir tun dies auch für uns, für unsere eigene Sicherheit.“ Sätze wie diese verwundern – und doch nicht. Denn dass die Bundeswehr als Verteidigung des Nationalstaates – von Vaterland wollen wir erst gar nicht reden – ausgedient hat, daran hat die politische Elite der letzten Jahrzehnte keinen Zweifel gelassen. Deutschland wird an der NATO-Grenze verteidigt und wird weiterhin vor allem den Wünschen eines Bündnisses entsprechen, das nicht allein von europäischen Interessen gekennzeichnet ist.
Lindner will Haushaltsentwurf im März vorlegen
Scholz hat demnach auch betont, dass er Artikel 5 des NATO-Vertrags – das heißt den Angriff auf andere NATO-Mitglieder als Auslösung des Bündnisfalls – achten werde. Für Kanzlerverhältnisse sind das überdeutliche Ansagen. Deutschland sei bereit, Luftabwehrraketen zur Verteidigung des Luftraums „der Alliierten in Osteuropa“ zu stellen und sich an der Verstärkung der Nato-Truppen in der Slowakei zu beteiligen. Schon am 9. März will Finanzminister Christian Lindner einen Haushaltsentwurf vorlegen. Es herrscht überraschende Begeisterung für solche Pläne, für die man noch vor einem Jahr jeden Abgeordneten als Kriegstreiber ausgebuht hätte. Deutschland unter dem „alten Ole“ auf dem Weg zur Militärreform.
Das sind Ankündigungen, deren Auswirkungen wir heute noch nicht absehen können, Appelle und Programme, die finanziert, begleitet und ausgearbeitet werden müssen in einem Land, das sich von Freunden bisher umzingelt sah. Die Absicht, Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, könnte ein historischer Präzedenzfall werden, dessen zukünftige Implikationen ebenso unklar sind. Nur eines ist sicher: der Ausnahmezustand bleibt in Europa bestehen. Auch ganz ohne Corona.