Tichys Einblick
"Soziale Taxonomie"

Die Rüstungsindustrie im Würgegriff der EU-Kommission

Finanzanlagen sollen demnächst dorthin gelenkt werden, wo sie sozialen Standards genügen. Am Beispiel der Rüstungsindustrie ist zu sehen, welche Auswirkungen diese diskutierten Brüsseler Vorgaben bereits im Entstehungsgang haben. Hat Brüssel den Ukraine-Knall nicht gehört?

IMAGO / HRSchulz

Die Sicherheit der Bürger vor äußeren Gefahren zu garantieren, gehört mit zu den wichtigsten Aufgaben verantwortlicher Regierungsführung. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine zwingt zu einer Neubestimmung der Sicherheitspolitik in der Europäischen Union. Vollends abstrus klingen nun Absichten der EU-Kommission, Rüstungsunternehmen den Status der Nachhaltigkeit abzusprechen.

Grundlage hierfür ist ein EU-Aktionsplan für nachhaltige Finanzen, mit dessen Hilfe die Wirtschaft in Europa mit gesetzlichen Regeln überzogen wird. Im Interesse von nachhaltigem Wachstum sollen die drei Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG – Environmental, Social, Governance) unter die Lupe genommen werden. Übergeordnetes Ziel ist, bei Investitionen für Transparenz im Hinblick auf deren Eigenschaften und Wirkungen zu sorgen.

Erklärte Absicht ist, wesentliche Teile der europäischen Wirtschaft auf ihren gesellschaftlichen Nutzen hin zu untersuchen. Mit einer sogenannten sozialen Taxonomie soll analog zur zuletzt entschiedenen grünen Version Anlegern deutlich gemacht werden, welche Unternehmen im Interesse des Gemeinwesens handeln – und welche nicht. Dahinter steckt die unverhohlene links-grüne Vorstellung, Finanzanlagen dorthin zu lenken, wo sie nach deren hehren Vorgaben sozialen Standards genügen. Wem gesellschaftlicher Nutzen zuerkannt wird, soll sich günstig refinanzieren können, wer demnach eher Schaden stiftet, gerät ins gesellschaftliche und damit auch finanzielle Abseits.

Umwelt, Soziales und Unternehmensführung als entscheidende Kriterien

In den Medien werden diese Pläne seit Längerem zum Trend hochstilisiert mit der Folge, dass in der Finanzbranche bereits Kriterien herumgereicht werden, die unliebsamen Wirtschaftsbereichen auf Dauer den Geldhahn zudrehen werden. Das hinterhältige an dieser Vorgehensweise ist die vorauseilende Wirkung dieser Absicht im Anleger- und Bankensektor. Nachdem in den wohlstandsverwahrlosten Kreisen unserer Gesellschaften Waffen und Militär einer gewissen Ächtung unterliegen, gerieten Rüstungsunternehmen rasch in den Blickwinkel. Deren Vertreter protestieren bereits heftig.

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Im Auftrag der EU-Kommissarin Mairead McGuinness sind Expertenrunden dabei, Empfehlungen für die Klassifizierung einzelner Wirtschaftsbereiche vorzulegen. Ein zweifaches Urteil wird empfohlen: Gut sollen die Produkte und Dienstleistungen sein, die sozialen Nutzen stiften. Schlecht all diejenigen, die als sozial schädlich bewertet werden. Entsprechend sind auch die Unternehmen abgesehen vom eigentlichen Produkt einzustufen, ob sie sozial verträglich sind oder eben nicht. Firmen, die ihren Mitarbeitern keine auskömmlichen Löhne zahlen, oder bei denen der Lohnunterschied zwischen Führung und regulären Beschäftigten zu hoch ist, werden sich künftig schwer tun. Dem Entwurf der Brüsseler Regelungen zufolge haben Molkereien und Handelsketten künftig zu belegen, ob sie Bauern angemessene Preise bezahlen, und Immobilienverwalter, ob sie ortsübliche Vergleichsmieten verlangen. Pharma-Unternehmen haben demnach künftig die Lieferung ihrer Impfstoffe an bedürftige Länder zu belegen.

Interessant wird sein zu sehen, wer, wie und durch wen die Einhaltung derartiger gesetzlichen Vorgaben kontrolliert werden soll. Sollte diese Bewertung dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden und sich entsprechende Klassifizierungen am Markt ergeben dürfen, wären die Presse- und Öffentlichkeitsabteilungen der Unternehmen gefragt, entsprechend grüne Propaganda zu betreiben. Alternativ könnte eine staatliche Kontrollbürokratie mit zahllosen Dienststellen und Beschäftigten eingerichtet werden. Ende der Parodie, zurück zur Wirklichkeit.

Am Beispiel der Rüstungsindustrie ist zu sehen, welche Auswirkungen diese derzeit in der Diskussion befindlichen Brüsseler Vorgaben bereits im Entstehungsgang haben und wie diese die unternehmerische Entscheidungsfreiheit einschränken. Dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Hans Christoph Atzpodien zufolge wenden schon jetzt zahlreiche Banken diese noch im Entwurfsstadium befindlichen Regeln an und tragen der kommenden EU-Taxonomieverordnung vorab Rechnung: „Es entspricht einem diffusen Mainstream-Geschmack, indem sie alles, was mit Rüstung und Waffen zu tun hat, pauschal aus ihrem Portfolio ausgrenzen.“

Vorauseilender Gehorsam der Banken

Der Bankenverband bestätigt, dass die Branche die Taxonomie-Pläne der EU unterstützt, weil man sie für richtig und notwendig erachte. Einzelne Finanzinstitute finanzieren nicht mehr die Lieferung von Kriegswaffen ins Ausland (LLBW). Andere wie die DZ Bank schließen die Finanzierung von Waffengeschäften grundsätzlich aus, wenn in Spannungsgebiete oder Länder mit „signifikanten Menschenrechtsverletzungen“ geliefert werden soll. „Kontroverse Waffen“ wie atomare, biologische, chemische Waffen, Landminen, Anti-Personen-Minen, Streubomben oder autonome Waffen, werden generell nicht mehr finanziert. Die Commerzbank lässt verlauten, dass „Transaktionsanfragen mit Rüstungsbezug … jeweils intensiv und kritisch einer Einzelfallbetrachtung unterzogen (werden)“. Die Bayerische Landesbank unterstützt immerhin noch Geschäfte für Bundeswehr und Landesverteidigung.

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Hans Christoph Atzpodien zufolge befürchten die Banken Reputationsschäden bei ihren Aktionären, wenn sie mit Kunden aus dem Rüstungsbereich Geschäfte machen. „Indem Banken den Ausrüstern von Streitkräften und Sicherheitsorganen in Europa die finanzielle Basis entziehen, demontieren sie öffentliche Güter, um deren Schutz sich üblicherweise staatliche Institutionen kümmern müssen.“ Man könne Atzpodien zufolge das Problem auch anders lösen, etwa indem die Mitgliedsregierungen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Zugang zu anderweitigen Finanzquellen eröffnen, zum Beispiel bei der Europäischen Entwicklungsbank (EIB) oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Das kann es aber doch nicht sein, dass staatlicherseits Regularien erlassen werden, die dann wiederum nur über staatliche Stellen umgangen werden können. In unseren verwirrten Zeiten scheint aber auch dies nicht mehr ausgeschlossen.

TE hatte über diese grundsätzliche Problematik bereits im Dezember letzten Jahres berichtet. Vertreter der Rüstungsindustrie beklagen seit geraumer Zeit den Rückzug von Banken aus der Finanzierung von Unternehmen der Rüstungsbranche. Kreditinstitute beenden die Zusammenarbeit mit Rüstungsfirmen vor dem Hintergrund beabsichtigter Einstufungen und Anlagekriterien der EU-Kommission. Deren ESG-Maßstäbe für Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung führten bereits zu deutlichen Einschränkungen der Branchenfinanzierung. Zukunftsprojekte der europäischen Rüstungsindustrie wären so nicht mehr finanzierbar. Die Verteidigungsindustrie und das Prinzip der Nachhaltigkeit werden gegeneinander ausgespielt.

Die Finanzierbarkeit von Rüstungsgütern ist von elementarer Bedeutung

Gerade in Anbetracht des Ukraine-Krieges klingt das Ganze wie ein Schildbürgerstreich. Einerseits erwägt die EU neuerdings, beim Kauf von in Europa hergestellten Verteidigungsgütern auf die Mehrwertsteuer zu verzichten, um gemeinsame Rüstungsprojekte zu unterstützen. Die europäischen Rüstungsfirmen sollen gefördert werden, um nicht weiterhin die zweite oder gar dritte Geige weltweit in Machtfragen spielen zu müssen. Andererseits wird den auf diesem Sektor noch tätigen Unternehmen mit staatlichen Regularien die Finanzierung neuer Systeme und Programme erschwert. Doppeldenk oder die Unfähigkeit, die Wirkungen des eigenen Handelns bis zum Ende zu überblicken? Im Interesse künftig umwelt- und sozialgerechten Handelns die eigene Fähigkeit zur Verteidigung zu untergraben, kann jedenfalls weder im Sinne der EU noch derer Bürger sein. Ohne äußere Sicherheit gibt es auch keinen Sozialstaat; ohne äußere Sicherheit können Despoten unseren Kontinent entern und auf unsere Umwelt- und Sozialstandards pfeifen.

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In der EU-Kommission herrscht offenbar seit geraumer Zeit die Überzeugung vor, dass sich ihr Europa auf Windräder, soziale Gerechtigkeit und den Export des eigenen Demokratiemodells konzentrieren solle. Wenn die Europakommissare unter Führung von der Leyens aber die strategische Autonomie der Europäer stärken wollen, wovon inzwischen sogar im Ampel-Koalitionsvertrag mehrfach die Rede ist, müssen dafür auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Hierzu gehört unabdingbar die Finanzierbarkeit industrieller Projekte einschließlich derjenigen der Verteidigungsindustrie. Wer zulässt, dass Rüstungsfirmen der Geldhahn abgedreht wird, schadet den wirtschafts- und verteidigungspolitischen Interessen der Europäischen Union. Wer Politik im Schwerpunkt für die Gutmenschentribüne macht, geht im weltweiten Wettbewerb unter. Daran zeigt sich auch ein Grundproblem heutiger Politikgestaltung: Unbequeme Sachverhalte werden nicht mehr angesprochen, weil dies den Wahlerfolg gefährden könnte. Der letzte Bundestagswahlkampf dient als Beleg für diese These.

Es ist höchste Zeit, dass an den europäischen Schalthebeln der Macht Realismus einkehrt. Wann stehen endlich die Regierungen der Mitgliedsstaaten gegen die Weltfremdheit der EU-Kommission und des Europaparlamentes auf? Der links-grüne Zeitgeist hat gegen Diktatoren nicht viel mehr als gut gemeinte Appelle und vielleicht Straßenblockaden zu bieten. Wem auch nur der Fortbestand unseres Sozialstaates ein Anliegen ist, müsste eigentlich für gut ausgerüstete Polizei- und Armeeeinheiten eintreten. Und diese funktionieren bekanntlich nicht ohne Unternehmen, die Rüstungsgüter herstellen. Zu dieser Erkenntnis reicht die Beherrschung des kleinen Einmaleins. Das scheint einigen Institutionen auf diesem Kontinent abhandengekommen zu sein. Bleibt zu hoffen, dass der Ukraine-Knall bis in die Brüsseler EU-Institutionen vordringt.

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