Das Ausmaß von Kriegsangst hängt direkt von Beteiligten und Entfernungen ab. Je mächtiger die Protagonisten und je näher der Schauplatz, desto größer die Betroffenheit. Deshalb birgt auch das schreckliche Geschehen im Osten Europas eine kleine Chance zu einer Art „sekundärem Krankheitsgewinn“ für uns, der Krieg könnte sich zu einer therapeutischen Lektion in Sachen Realitätssinn und „Friedenspolitik“ entpuppen.
1) Die Möglichkeiten der Diplomatie stoßen auch im 21. Jahrhundert und auch in Europa an ihre Grenzen, wenn sich einer der Beteiligten verweigert. Wer also, wie Deutschland seit Langem, seine Verteidigungsfähigkeit vernachlässigt – oder gar, wie es Linke fordern – aus dem Nato-Verteidigungsbündnis aussteigt, der könnte sich rasch in einer dramatischen Erpressungslage befinden.
2) Ökonomische Abhängigkeiten von unfreundlichen Mächten können dramatische Auswirkungen haben. Deshalb sind Projekte wie Nord Stream 2 keineswegs so etwas wie „privatwirtschaftliche Vorhaben“ (Kanzler Olaf Scholz). Die deutsche Politik hätte niemals eine Entwicklung fördern dürfen, die diese enorme Abhängigkeit von russischen Energiequellen zur Folge hat. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat schon angekündigt, dass nun zwangsläufig die Preise für Energie steigen werden – und nebenbei drohend betont, nun müssten die nichtfossilen Energiequellen gegen alle Widerstände durchgesetzt werden – und damit sind sicher demokratische und rechtsstaatliche Vorgaben gemeint. Aber wer weiß, vielleicht finden sich zumindest in der Union und in der FDP vermehrt Stimmen, die den Ausstieg aus der Kernkraft doch noch mal in Frage stellen.
3) Russland unter Putin ist eine aggressive und offensive Macht gegenüber dem Rest Europas. Die Ängste der russischen Anrainerstaaten von Finnland bis Rumänien sind sehr ernst zu nehmen. Es gibt auch in Europa sehr wohl nationale Interessen von höchster, existenzieller Bedeutung.
4) Innenpolitische Kriegsschauplätze wie der zunehmend gewalttätige Kampf gegen Klimawandel oder die absurden Auswüchse und Verirrungen einer maßlosen Genderbewegung (in Sprache, Kultur, Wissenschaft und Politik) entlarven sich als groteske Phänomene einer in jeder Hinsicht verwöhnten und ideologisierten Gesellschaft. Wir sind keineswegs nur wegen Corona und der umstrittenen Gesundheitspolitik wahrscheinlich in den kommenden Jahren mit ganz anderen politischen Herausforderungen konfrontiert.
5) Schon immer war die Argumentation, Deutschland liefere wegen „seiner leidigen Erfahrungen in der Geschichte“ keine Waffen in Krisengebiete, verlogen und unlogisch. Jede Waffe in den Nahen Osten ging in ein Krisengebiet; wenn die Geschichte des 20. Jahrhunderts eines lehrt, dann ist es die Notwendigkeit einer unabdingbaren, bewaffneten Gegenwehr gegen kriegerische Mächte. „Si vis pacem para bellum“ (Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg), wussten schon die Griechen und Römer.
6) Der Kampf gegen „Faschisten“ und „Nazis“ dient schnell als pauschales, einleuchtendes und bequemes Argument für einen „gerechten Kampf“ und die Verweigerung, zu sprechen und zu verhandeln. Auch Putin nutzt diesen Vorwurf gegen die Regierung in Kiew, gleich auch unterstellend, dass die Machthaber in der Ukraine die eigene Bevölkerung „foltere und ermorde“. Selbst wenn das den Tatsachen entsprechen würde – gegen wie viele Staaten der Erde könnte man militärisch vorgehen, um ähnliche Vorwürfe zu beenden?
Vielleicht ist es zu optimistisch, zu denken, der Krieg in der Ukraine würde den Realitätssinn vieler Menschen in Deutschland und Europa deutlich schärfen. Die Erfahrung lehrt die Hartnäckigkeit von Illusionen und Phantastereien, wenn sie denn nur bequem sind. Es werden auch weiterhin viele denken, eine friedliche Welt hänge letztendlich doch nur von unserem guten Willen und unserer eigenen Friedfertigkeit ab.
Tut es nicht. Die Pandemie, der Krieg in Europa und vielleicht bald gravierende Stromausfälle könnten im besten Fall auch politischen Sichtweisen der Vernunft und des Augenmaßes einen breiteren Weg ebnen.