Ab und an scrolle ich durch meine Foto-Galerie auf meinem Handy. Nach ein paar Minuten bin ich bei Fotos aus 2019 oder Anfang 2020 angekommen. Fotos, die mich Arm in Arm mit Freunden zeigen, Bilder von vollen Fußballstadien, von vollen Plätzen in Berlin oder anderswo.
Manche Bilder kommen mir inzwischen schon so fremd vor, als ob sie gar nicht von mir wären. Die sogenannte „Zeit vor Corona“ kommt einem wie ein vergangenes Zeitalter vor, ein Sehnsuchtsort. Jeder Jugendliche wird das Gefühl irgendwo nachvollziehen können. Eine Ewigkeit wartet man jetzt schon, dass es wieder so richtig losgeht. Auf den Moment, wo alles wieder „normal“ wird, halt so wie früher.
In der Jugend brodelt es. Wir scharren mit den Füßen, weil wir’s kaum erwarten können, wieder loszulegen. Die Stimmung kippt, das spürt fast jeder. Wer nimmt Lauterbachs Bergpredigt schon noch ernst? Viele von uns haben Omikron durchgemacht, nichts gespürt und sich über den Genesenen-Status gefreut, um das blöde Testen loszuwerden. Unter Jugendlichen ist die erste Reaktion, wenn jemand sich infiziert hat, eben diese: „Boah hast du Glück, brauchst du keinen Test mehr.“ Das ist die traurige Wahrheit, so weit hat es die Politik getrieben.
Partys und Durchseuchung
Angst oder Furcht vor Corona hat von uns kaum einer mehr. Wir wollen wieder frei sein, uns gegenseitig ohne schlechtes Gewissen umarmen können (machen wir trotzdem) und uns kein Stäbchen mehr in die Nase stecken. Unser Abitur feiern, verreisen und Partys schmeißen. Doch davon kommt bei Lauterbach und Konsorten nichts an. Stattdessen reiht sich im öffentlichen Raum die eine Schulschließungsdiskussion an die nächste. Alibi dafür sind einzelne Schülersprecher, die stellvertretend für die ganze Jugend stehen sollen und deren Meinung gezielt von den Medien herausgepickt wird.
Wie zuletzt die Initiativ „Wir werden laut“. In einem offenen Brief sprechen sich einige Schülersprecher hier für eine Aussetzung der Präsenzpflicht aus, sie wollen das Corona-Infektionsrisiko senken, warnen vor Long Covid. Es sei wichtig „die Pandemie mit allen Mitteln zu bekämpfen“, heißt es in jenem offenen Brief, über den nahezu alle Medien groß berichtet haben. „Zu unserer Verärgerung wurden nicht alle zur Verfügung stehenden Werkzeuge eingesetzt.“
Weiter könnte ein Brief nicht von der Lebensrealität der meisten Schüler entfernt sein.
Wir leiden zuallererst unter den gesellschaftlichen Folgen von Isolationen und Lockdown. Doch statt die Sorgen und Wünsche der Jugend wirklich wiederzugeben, orientieren sich viele Schülersprecher an dem, womit sie eben groß rauskommen.
Als mutige Sprachrohre der Jugend werden sie in Szene gesetzt. Coole hippe Teenies, die den alt-gewordenen Erwachsenen mal sagen, wie gefährlich das doch alles sei. Junge revolutionäre Freidenker sollen sie sein. Dass solche Jugendlichen ernsthaft die Stimme unserer Generation sein sollen, ist lächerlich. Als ob wir alle Lust hätten, uns auch noch die zehnte Maske während der Schule über die Nase zu ziehen. Revolutionär ist wohl das unpassendste aller möglichen Wörter, um eine Haltung zu beschreiben, die von der gesamten Bundesregierung und der versammelten Presse vertreten wird.
Jugendlich ist sie sowieso nicht. Denen da oben mal widersprechen, für seine Ansichten einstehen und sich von der von Schule, Eltern oder Politik vorgegebenen Meinung loszulösen – das wäre jugendlich. In Wahrheit geht es so manchem Schülersprecher doch nur darum, ein gut dotiertes Stipendium zu erschleichen.
Ich jedenfalls habe jetzt genug von Corona. Wenn es um Widerstand gegen mehr Normalität in der Schule geht – ohne mich. Ich möchte nicht vor Omikron beschützt werden, ich möchte meine Fotogalerie wieder mit genau den Bildern füllen, die ich früher geschossen habe.
Jerome May ist 17 Jahre alt und Schüler aus Berlin. Der Artikel erschien auch auf dem Jugendmagazin Apollo News.