Transformation ist das Stichwort dieser Koalition. Dabei darf kein Stein auf dem anderen bleiben. Besonders, wenn Deutschlands Industrie nicht dem Image entspricht, das man ihr verpassen will. Staatssekretär Patrick Graichen, Robert Habecks rechte Hand bei der Umsetzung des großen Zukunftsplans, hat jüngst verkündet: Eine neue Klimaabgabe muss her! Zur Finanzierung des klimaneutralen Umbaus braucht es Riesensummen. Man müsse sich fragen, welche anderen Instrumente oder Einnahmemöglichkeiten es geben könnte, jenseits des Bundeshaushalts, überlegt Graichen laut. Das zentrale Instrument, die Klimaverträge mit der Industrie (Carbon Contracts for Difference, CCFD), seien teuer.
40 Milliarden Euro soll der Umbau der Industrie kosten – eine Klimaabgabe muss her
Daran sind mehrere Dinge bezeichnend. Erstens scheint man sich hinter den hohen Zinnen der Ministerien noch nicht so klar zu sein, was die ansteigende Inflation derzeit für die arbeitende Bevölkerung wie für Unternehmen bedeutet. Während in ganz Europa die Anzahl derjenigen zunimmt, die bald nicht mehr die Heizung im Winter bezahlen können, und Unternehmer erst mit dem zu erwartenden Ende der Corona-Maßnahmen das ganze Ausmaß des Trümmerhaufens ermessen können, den die zwei vergangenen Jahre angerichtet haben (in Italien sprechen Mittelständler untereinander davon, dass 25 Prozent der Firmen auf der Kippe zum Bankrott stehen), denkt man in Berlin an nichts anderes als das klimaneutrale Deutschland im Jahr 2045.
Ach ja: und natürlich daran, wie man Bürgern und Unternehmen möglichst viel Kohle aus der Tasche ziehen kann, bis es mit der Kohle ganz aus ist.
Die Agora hat eine neue kleine Schwester, passend zur Transformation: Agora Industrie
Ebenso passend lesen wir zur Gründung der Agora Industrie im Oktober eine Äußerung von Direktor Frank Peter, die das Programm zusammenfasst: „Indem wir unsere Arbeit unter dem Namen Agora Industrie bündeln, tragen wir der Komplexität des Umbaus zu einer klimaneutralen Industrie Rechnung. Wir wollen Lösungen erarbeiten und zur Diskussion stellen, wie der Weg in eine klimaneutrale Industrie rasch gelingen kann.“ Die Hälfte der Anlagen in der Stahl-, Chemie- und Zementbranche müssten ersetzt werden, geht aus dem Agora-Papier hervor.
Die Deutschen werden also nicht nur neuerlich zur Kasse gebeten werden – sondern man sieht auch nebenbei, wie verzahnt und abgestimmt diese Politik ist. Der Think Tank des Staatssekretärs – in dem er nicht mehr Direktor ist, aber immerhin noch Ratsmitglied – ruft ein Tochterprojekt kurz nach der Wahl ins Leben, das ein Papier ausarbeitet, das just zur richtigen Zeit kommt und auch noch Lösungswege aufweist, die natürlich vom Wirtschaftsministerium aufgenommen werden. Spannend ist auch die Betonung der EU-Ebene. Denn der Herr der Zufälle ist nun nicht nur Mitglied im Rat der Agora, sondern auch im nigelnagelneuen EU-Rat der Agora. Darin sitzen nun auch europäische Größen, die das Projekt international vorantreiben sollen.
Mit dem neuen Agora EU-Rat wird die Energiewende in Brüssel salonfähig gemacht
Um sich ein Bild über die neuerlichen Ambitionen zu machen, reicht ein Blick über die letzten Lobby-Treffen mit EU-Funktionsträgern. Auf Lobbyfacts.eu kann der geneigte Leser erkennen, dass Graichens Agora im Jahr 2021 allein neun Gespräche mit Politikgrößen geführt hat (in den Jahren 2012 bis 2021 waren es derer insgesamt sechs). Darunter auch mit Kadri Simson, der Kommissionschefin für Energie. Hier die Liste:
Wir haben eine interessante Woche hinter uns. TE ging bereits am Wochenende mit zwei Artikeln voran, die den grünen Ökokomplex aufspießten. Es folgte unter anderem die Welt, deren ehemaliger Chefredakteur Stefan Aust von einer grünen NGO an der Macht und im Machtrausch sprach; die Augsburger Allgemeine, das Manager Magazin (zusätzlich mit einem Interview mit Baake) sowie Markt und Mittelstand nahmen sich des Themas an. Man möchte hinzufügen: viel zu spät. Eine Sensibilisierung für diese Netzwerke wäre vor der Bundestagswahl deutlich hilfreicher gewesen. Nun blickt man auf die abgeschlossene Transformation der Ministerien zu Instrumenten von Öko- und Klima-Lobbys, die als nächstes nach Brüssel wuchern wollen. Warum nur eine deutsche Klimaabgabe, wenn man daraus eine EU-Richtlinie machen könnte?