Unbestechlich, wissenschaftlich fundiert und mit der Präzision eines Fieberthermometers begleitet das Institut für Demoskopie in Allensbach die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von Beginn an. Das Meinungsforschungsinstitut am Bodensee ist für immer mit dem Namen seiner Gründerin Elisabeth Noelle-Neumann verbunden, deren Arbeit nach dem Tod der „Kassandra vom Bodensee“ durch ihr Ziehkind, Renate Köcher, fortgesetzt wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass ihre Botschaften nicht immer auf das Wohlwollen der Politik stießen und stoßen. Mal geht der Daumen nach oben und mal eben nach unten. Meist wird dann auch noch der Überbringer gescholten, anstatt die Ursachen schlechter Zahlen im eigenen Verhalten zu suchen.
Noch nie aber haben die, die sich für die politische Elite unseres Landes halten, die Botschaften vom Bodensee so konsequent ignoriert wie heute. Vergleichbar ist dies nur mit einer Gruppe von Ärzten, die das Steigen der Fieberkurve nicht beachten. Doch bekanntlich führen Fehldiagnosen zu falschen Therapien und manchmal in die Katastrophe. Nach der jüngsten Erhebung unter 1.090 Personen im Zeitraum vom 6. bis 20. Januar, im Auftrag des Hamburger „Centrums für Strategie und Höhere Führung“, unter der Überschrift „Sicherheitsreport“, müssten nicht nur in Berlin die Alarmglocken schrillen. Kurzum – die Stimmung der Deutschen ist miserabel!
Besonders stark ist die Angst vor Einschränkungen ihres persönlichen Konsums bei Haushalten mit niedrigem Einkommen. Mit 70 Prozent haben wirtschaftliche Probleme zum ersten Mal seit langem die Corona-Krise und ihre Auswirkungen von Platz 1 verdrängt – 66 Prozent.
Es folgen, und das ist wirklich neu, mit 62 Prozent die geopolitisch völlig unberechenbare Lage und eine anwachsende Kriegsfurcht in Folge des Ukraine-Konfliktes. Erst dann folgt auf Platz vier mit 54 Prozent der Klimawandel. Die aktuelle Entwicklung führt also zu neuen Prioritäten!
Nun könnte man annehmen, dass das Vertrauen in die gerade neu gewählte Bundesregierung zur Befähigung, diese Herausforderungen zu meistern, hoch sein müsste. Das Gegenteil ist der Fall. So sind mittlerweile 35 Prozent der Deutschen überzeugt, dass die derzeitige Regierung zu schwach dazu ist – ein Anstieg von 11 Prozentpunkten innerhalb eines Jahres. Mit 70 Proizent ist eine große Mehrheit der Ansicht, die Regierung müsse mehr gegen die Spaltung der Gesellschaft unternehmen.
Erfreulich ist bei all dem, dass die demokratische Staatsform als solche große Zustimmung findet und ihre Stabilität als ungefährdet eingeschätzt wird. Dafür spricht auch die Annahme, dass die Demokratie durch radikale Gruppierungen von links und rechts nicht gefährdet ist. Auch dies steht im deutlichen Gegensatz zu Einschätzungen der Bundesregierung und großen Teilen der veröffentlichen Meinung, die insbesondere eine signifikante Bedrohung, besonders von „Rechts“ beschwören.
Deutlich verändert hat sich das Meinungsbild zur Wahrscheinlichkeit militärischer Konflikte. Neben der allgemeinen Einschätzung, dass die sicherheitspolitische Lage weltweit immer unberechenbarer wird, sind 37 Prozent der Deutschen in großer Sorge, dass Deutschland in militärische Konflikte hineingezogen werden könnte. Dabei ist das Gefühl, von militärischen Konflikten auch ganz persönlich bedroht zu sein, drastisch angestiegen. Waren es zu Beginn 2021 noch 10 Prozent, die so empfanden, sind es heute 21 Prozent.
Für manche überraschend dürfte sein, dass Russland und China als die Staaten angesehen werden, die den Weltfrieden am stärksten bedrohen. So ist die Überzeugung, dass von Russland große Gefahren ausgehen, binnen nur eines Jahres von 32 auf 66 Prozent angestiegen. Für das kommunistische China ist die gleiche Einschätzung von 46 auf 60 Prozent gestiegen. Beachtenswert ist hierbei, dass es erhebliche Unterschiede in der Beurteilung zwischen den Bürgern in den alten und neuen Bundesländern gibt. In letzteren wird die Gefahr, die von Russland und China ausgeht, als wesentlich geringer bewertet.
Wie sensibel die Deutschen mit Blick auf die eigene Beteiligung im Krisenfall sind, zeigt sich auch daran, dass nahezu jeder zweite Deutsche ganz grundsätzlich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ist. Auf besondere Ablehnung stößt der Einsatz deutscher Soldaten im westafrikanischen Mali – nur 16 Prozent befürworten dieses Engagement.
Auch diese Allensbach-Studie, wie schon andere zuvor, belegt eine Haltung, die wohl mit dem alten Sprichwort: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ am treffendsten charakterisiert wird. Es fällt den Deutschen offensichtlich sehr schwer, nach Jahrzehnten der Unbekümmertheit unter dem Schutz der USA, sich der realen Lage in der Welt anzunähern. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Deutschland nicht mehr dem Sonderstatus eines nicht zuletzt von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges bestimmten Handelns unterliegt. Die entsprechenden „Gehversuche“ befinden sich offensichtlich noch im Anfangsstadium. Doch wie es aussieht, haben unsere Partner immer weniger Verständnis für diese aus der Geschichte resultierende nationale Besonderheit. Auch hier sollte die Regierung mehr Führung durch Aufklärung und Orientierung zeigen.
Ein Klima, das von einer intellektuellen Minderheit und deren Dominanz, insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Medien, auf subkutane Weise erzeugt und behauptet wird. Zu den besonders oft erwähnten Feldern gehören das Verhältnis zur Nation, Zweifel am Ausmaß der Klimakrise, die Corona-Politik, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern (hier insbesondere Gendersprache) sowie generell die Forderung nach Akzeptanz auch anderer Meinungen.
Die freie Meinungsäußerung gehört zur Substanz jeder Demokratie. Wenn diese nicht mehr empfunden wird, wäre noch das Mindeste eine aktuelle Stunde im Bundestag – denn dort gehört eine solche Debatte hin. Sie zu ignorieren, ist entweder hochmütig oder ahnungslos. Denn die Folgen könnten auf Dauer dramatisch sein.