Tichys Einblick

Wer hat noch nicht?

Eigentlich wurde die schwarz-gelbe Bundesregierung dafür gewählt, dass sie Subventionen abbaut und die Marktwirtschaft stärkt. Tatsächlich gab es noch keine Bundesregierung, die derart gegen ihre eigenen Ziele verstößt.

Die nackten Zahlen sprechen für sich: Auf fast 180 Milliarden Euro klettern in diesem Jahr die Subventionen – ein historischer Rekordwert. Verschenkt wurden damit alle Anstrengungen aller Bundesregierungen seit Helmut Schmidt, die versuchten, schädliche Subventionen abzubauen. Wie in einem historischen Remake lässt sich beobachten, wie fatal die wortreich begründete Subventionspolitik wirkt: Mit der Mehrwertsteuer-Reduzierung für Hoteliers hat es begonnen; mittlerweile ist die Liste der nehmenden Hände zu lang für diese Kolumne. Denn klar ist: Wenn der Staat erst anfängt, dem einen zu helfen, kann er dem Nächsten Hilfe kaum abschlagen. Offshore-Windanlagen erhalten Kredit und Landärzte Zuschüsse für Büromöbel. Teuer sind nicht die Kleinen, die Autoindustrie schlägt ein paar Milliarden heraus für das Elektroauto, die Chemieindustrie für die dazu passenden Batterien. Jede Subvention erzwingt die nächste, weil sich “die Interessenten rasch an diese Nachhilfe gewöhnen”, formulierte Alexander Rüstow schon 1932 im Vorgänger der WirschaftsWoche, dem “Volkswirt”. Erst werden Windräder und Solardächer gefördert – und weil Wind und Sonne eher unregelmäßig Strom erzeugen, brauchen auch die dazugehörigen Gaskraftwerke Zuschuss. Mit Staatsknete wird jede große Idee in Windeseile zum Arbeitsbeschaffungsprogramm für Lobbyisten. Das alles war bekannt – die Folgen der Staatswirtschaft haben sich in der DDR gut beobachten lassen. In den Siebzigerjahren waren es die höchstsubventionierten Computer und Atomkraftwerke von Siemens, die Deutschland an die Weltspitze katapultieren sollten – ein teurer Irrweg. Heute ist die Solarindustrie am fettesten gepäppelt – und doch machen Chinesen und Amerikaner das Rennen. Wirtschaftlichen Erfolg kann der Staat nicht kaufen. Aber in der Finanzkrise wurde die bis dahin eherne Regel ausgesetzt: dass der Staat sich raushalten soll aus der Wirtschaft. Seither gefallen sich Politiker wieder in der Sonne ihrer Gestaltungskraft und steuern, lenken und dirigieren. Die unsichtbar wirkende Hand des Marktes wird ersetzt durch das Primat der Politik, hinter dem sich dann doch nur irgendeine Bürokratie der Planung, Lenkung und Verschwendung verbirgt. So wurden die Bastionen zur Verteidigung der Marktwirtschaft geschleift: Das Wirtschaftsministerium ist ein Durchlauferhitzer für Minister-Lehrlinge, mal darf die CSU üben, mal die FDP. Die Bundesbank wurde zur Zweigstelle der mit anderen Problemen überhäuften Europäischen Zentralbank degradiert; an den Universitäten die Lehrstühle für Wirtschaftspolitik abgeschafft zugunsten weltferner Professuren, in denen gescheiterte Mathematiker Ersatzarbeitsplätze erhalten. Auch die Wirtschaft wurde korrumpiert – jeder klatscht Beifall, wenn er nur auch etwas in Aussicht hat. Noch nie kämpften Verbände um die reine Lehre. Doch lange war Konsens, dass man die marktwirtschaftliche Ordnung nicht total beschädigen darf. Vorbei – rücksichtlos fetzen die Berliner Verbandsfunktionäre immer neue Stücke vom Gemeinwohl für ihre Klientel heraus, und statt dies abzuwehren, folgt die Wirtschaftspolitik der Regel: “Wer hat noch nicht, wer will noch mal?” Das Ende ist absehbar: Schon heute erreicht die Staatsverschuldung Rekordwerte, können die Sozialkassen nur noch zahlen, weil man in die Kasse greift, die zufällig gerade am wenigsten pleite ist. Jedes der neuen Subventionsprogramme hat eine Ausgabensteigerung eingebaut. Wenn mal die Wirtschaft nicht mehr brummt, kracht die Finanzierung wie Griechenlands Haushalt und höhere Steuern drohen.

Der “Staat als Beute” der Lobbyisten und Abkassierer (Rüstow) verliert Gestaltungskraft statt zu gewinnen. Vergessen ist der Rat Rüstows: “Brauchst du eine hilfreiche Hand, so suche sie zunächst am Ende deines rechten Arms.”

(Erschienen auf Wiwo.de am 18.06.2011)

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