Das soziale Netzwerk ist aus einem Streit um das Thema Datenschutz hervorgegangen. Leitung und Studenten der Elite-Universität Harvard waren sich nicht einig, ob die Jahresbücher, die sogenannten Face Books, digital erscheinen sollen. Der Student Mark Zuckerberg ergriff die Initiative und stellte die Daten online, ohne eine Entscheidung abzuwarten.
Das Thema Datenschutz hat Facebook in seiner knapp 20-jährigen Geschichte nie verlassen. Auch jüngst sorgte es für schlechte Schlagzeilen: Apple zwingt Facebook neuerdings zu Transparenz und dazu, Kunden um ihr Einverständnis zu bitten, wenn es darum geht, deren Nutzungsverhalten für Werbezwecke auswerten zu dürfen. Facebooks Kerngeschäft. (Zu) viele Apple-Nutzer verweigern Facebook diesen Zugriff. Solcher Trubel trübt die Bewertungen an der Börse.
In der chinesischen Konkurrenz sieht Zuckerberg derzeit das größte Problem: „Die Leute haben jede Menge Auswahl, wie sie ihre Zeit verbringen wollen – und Apps wie TikTok wachsen sehr schnell“, soll der 37-Jährige in einer Telefonkonferenz mit Analysten gesagt haben. Die Chinesen von TikTok setzen vor allem auf Videos. Um in diesem Bereich besser mithalten zu können, hat Meta „Reels“ gegründet – bisher mit geringem Erfolg.
So lässt TikTok Facebook alt aussehen. Auf mehreren Ebenen. Denn der weltweite Rückgang an Nutzern kommt nicht überraschend. In den Ländern, in denen sich Facebook zuerst ausbreitete, gab es diesen Effekt schon früher: Im Mai 2017 verzeichnete Facebook in Deutschland noch 30 Millionen aktive Nutzer, Ende 2019 waren es schon nur noch 25,9 Millionen Nutzer.
Das ist zum einen ein Generationenproblem: Als auf Facebook plötzlich Mama, Opa und Tante aufschlugen, wurde es für jüngere Menschen weniger interessant, weil junge Menschen auch im Netz den Wunsch verspüren, unter sich zu bleiben. Außerdem haben sie ein anderes Nutzungsverhalten. Text spielt für sie eine immer geringere Rolle, Bewegtbild eine immer größere.
Und in diesem Feld ist Facebook nicht der Platzhirsch: Marktführer ist YouTube. Laut dem Marktforschungsportal App Annie verbrachten Handynutzer in diesem Januar im Schnitt 23,7 Stunden monatlich auf YouTube – bei Facebook und TikTok waren es jeweils nur 19,6 Stunden. Wobei insgesamt die Jüngeren zu TikTok gehen, wie die deutsche „JIM-Studie“ des Forschungsverbundes Südwest feststellte: Demnach sah sich 2020 jeder Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren mehrfach in der Woche Kurzvideos auf TikTok an.
Doch es gibt noch einen anderen Grund für Facebooks Schwäche. Und der ist gefährlicher, denn er greift tiefer: Der Zeitgeist ist gegen Facebook.
Der ursprüngliche Antrieb Zuckerbergs war, Kommunikation zu fördern und dafür den Menschen selbst transparent zu machen. Dabei unterlief ihm der Fehler, der Visionären gerne unterläuft: Er hielt die Menschheit für gut und selbstlos. Die Menschen würden Facebook nutzen, um sich auszutauschen und so Fortschritt zu ermöglichen. Doch stattdessen nutzten Spamer die Daten, um für Penispumpen zu werben oder die Nutzer dazu zu bringen, in Nigeria festsitzenden, vermeintlichen Geschäftsleuten zu helfen.
Sein Gründer Mark Zuckerberg glich somit immer mehr dem Zauberlehrling, der die Geister nicht beherrscht, die er rief: Die Politik forderte Regulierungen. In Diktaturen wie in freiheitlichen Demokratien. Die Wirtschaft setzte Facebook unter Druck – etwa im Juni 2020. Da boykottierten Konzerne wie Unilever oder Coca Cola das soziale Netzwerk, weil dies nicht genug tue, um „Hass-Botschaften“ zu unterbinden. In diesem Spannungsfeld laviert Facebook: Das soziale Netzwerk fördert direkten privaten Austausch, setzt aber gesponsorte Beiträge nach oben, weil Unternehmen dafür bezahlen. Bekämpft Hass-Botschaften und muss sich damit auseinandersetzen, dass diese von Land zu Land anders definiert werden.
Das Gleiche gilt für „Fake News“. So versieht Facebook in Deutschland nahezu jeden Beitrag zu Corona mit einer Verlinkung zu Botschaften des Gesundheitsministeriums. Wer sich über die Impfpflicht beschwert, bekommt diesen Hinweis ebenso zwangsverordnet wie der, der ein Bild seiner Impfung oder Boostung feiert. Wobei gerade das Gesundheitsministerium seine „Wahrheit“ schon öfters korrigieren musste als mancher Verschwörungstheoretiker.
So scheitert Facebook nicht nur an dem Wechsel von Wort zu Video. Es scheitert mit seiner amerikanischen Philosophie vom mündigen Bürger, der sich zum Wohle der Freiheit und des Fortschritts besser austauschen kann. Die Welt ist diesbezüglich chinesischer geworden. Der Nutzer ist ein Untertan und zwischen seiner Regierung und ihm entscheidet das Medium, was und wie er es sehen darf – wie in Deutschland beim Thema Corona. Transparenz bedeutet dabei, dass Staat und Unternehmen sehen können, ob der Untertanen-Nutzer sich wohlgefällig verhält. In China fließen Äußerungen in sozialen Netzwerken längst ins „Social Scoring“ ein, mit dem der Staat seine Bürger bewertet und anhand dessen er ihn belohnt oder bestraft. Für dieses Treiben hat Facebook die Ideen geliefert. Und die Technik. Aber gebraucht wird es nicht mehr.
349 Millionen Nutzer hat Facebook in Indien, in den USA sind es 194 Millionen – in China spielt es so gut wie keine Rolle. Russland hat Telegram entwickelt, China TikTok. Dass dessen wirtschaftliche Eckdaten nur teilweise besser sind als die von Facebook, spielt keine Rolle – solange es Herzen und Daten westlicher Nutzer erreicht.
Zuckerberg setzt in diesem Duell auf Technik: Die Tochter „Oculus“ soll Meta die Gewinne der Zukunft garantieren. Mit virtuellen Räumen, in denen die Grenzen zwischen digitalem Erleben und Realität verschwimmen. Der Nutzer der Zukunft trägt dabei Brillen, die ihm die digitale Welt buchstäblich vor Augen führen sollen. Daher auch die starken Investitionen und die hohe Verlustbereitschaft in diesem Bereich. Behält Zuckerberg recht, würde er die Welt ein zweites Mal prägen. Ob er aber dann die Geister im Griff behält, ist zweifelhaft. Denn der Zeitgeist ist gegen ihn.