Wie ernst die Ampel-Koalitionäre ihren Mit-Koalitionär Christian Lindner nehmen, lässt sich anhand zweier Meldungen erkennen, zwischen denen kaum zwei Wochen liegen. „Alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen“, mahnte der Bundesfinanzminister laut Presseberichten vom 18. Januar zu Beginn der aktuellen Haushaltsverhandlungen. Von einer „soliden Haushaltspolitik“ war in einem Schreiben Lindners an die Kabinettskollegen die Rede, und von „Erwartungen“, die sich als „unerfüllbar erweisen können“.
Womöglich wissen Spitzenpolitiker, die bekanntlich nicht mehr selbst Auto fahren und nicht zum TÜV müssen, nicht so genau, was ein Prüfstand ist, und haben deswegen nicht verstanden, was der passionierte Porsche-Fahrer Lindner meinte. Jedenfalls treten die Minister, wie das Handelsblatt jetzt meldet, nicht nur ohne Einsparvorschläge, sondern mit exorbitant erhöhten Forderungen ans Finanzministerium heran.
Schlappe 400 Milliarden Euro zusätzlich wollen die grünen, roten und auch gelben Minister bis 2026 zusätzlich ausgeben. Allein im angebrochenen Jahr wollen sie, wie das Handelsblatt aus Regierungs- und Koalitionskreisen erfahren hat, 70 Milliarden Euro mehr als im ohnehin schon höchst staatsausgabengeprägten Corona-Jahr 2021 ausgeben. Und das sind nicht vage Vorstellungen, sondern bereits beim Finanzministerium angemeldete Wünsche. Die Ministerialreferenten seien „einigermaßen fassungslos“, schreibt das Handelsblatt.
Dass der Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Robert Habeck der Primus der Ausgabensteigerer ist und Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf Platz Zwei liegt, ist weniger überraschend als der dritte Platz des früheren FDP-Generalsekretärs und Lindner-Vertrauten Volker Wissing, der nun als Verkehrsminister von seinen noch nicht einmal ein halbes Jahr alten Wahlkampfversprechen offenbar auch nichts mehr wissen möchte. (Zur Erinnerung hier aus dem FDP-Wahlprogramm in einfacher Sprache: „Deutschland darf nicht mehr so viele Schulden machen. Denn die jungen Menschen müssen auch in Zukunft noch gut in Deutschland leben können.“)
Bezeichnend auch, dass sich Lindner selbst offenbar gegenüber dem Handelsblatt nicht äußern wollte. Aber vermutlich hat ohnehin CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase recht, wenn er über Lindner sagt: „Niemand hört offensichtlich auf ihn.“ Dann kann er, wenn er schon kein Geld spart, sich wenigstens das Reden künftig sparen. Nur eine ungenannte Stimme „aus dem Finanzministerium“ wird im Handelsblatt mit der Feststellung zitiert, die Wünsche seien „nicht ansatzweise mit den finanziellen Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen“.
Aber was könnte Lindner auch sagen? Er hat schließlich als eine seiner ersten Amtshandlungen jene höchst fragwürdige Finanzoperation vollführt, durch die eine ursprünglich für Corona-Maßnahmen vom Bundestag bewilligte Neuverschuldung über 60 Milliarden Euro nun für alle möglichen Klima-Vorhaben in einen „Klima- und Transformationsfonds“ umetikettiert wird. So hat Lindner schon in den ersten Tagen im Amt jegliche Glaubwürdigkeit als Haushaltswächter preisgegeben. Ein klares Versprechen, dass die Neuverschuldung nicht über 100 Milliarden Euro steigen werde, konnte sich Lindner auch bei seinem jüngsten Auftritt im Bundestag nicht abringen.
Mit ihrer sturen Corona-Politik der fortgesetzten Lockerungsverweigerung tut die Ampel-Regierung schließlich viel dafür, dass die saftige Neuverschuldung von 2020 (130 Milliarden Euro) und 2021 (155 Milliarden Euro) in diesem Jahr eine Fortsetzung erfährt. Das ist auch in den Wunschlisten der Ministerien abzulesen: Wirtschaftsminister Habeck will das (Corona-)Überbrückungsgeld verlängern, Arbeitsminister Heil das Kurzarbeitergeld und Gesundheitsminister Lauterbach braucht viel mehr Geld für die Krankenhäuser und die Zuschüsse zur Gesetzlichen Krankenversicherung (28,5 statt 14,5 Milliarden Euro, Tendenz weiter steil steigend).
Verkehrsminister Wissing kann natürlich sagen, dass die „Modernisierung“ ein Schwerpunkt des FDP-Wahlprogramms war und all die neuen Brücken und Glasfaserkabel auch viel kosten. Aber er hätte dann in seinem Ministerium zumindest Vorschläge zum Sparen auf anderen Feldern machen können. Die gibt es aus seinem Ressort jedoch ebenso wenig wie aus allen anderen. Die Freien Demokraten stehen ganz offensichtlich eben nur auf Wahlplakaten „für solide zukunftsfähige Finanzen“.
Nun rächt sich ein zentrales Versäumnis in den Koalitionsverhandlungen (allerdings nicht an den Verhandlern selbst – im Gegenteil: die sind jetzt fast alle wohlalimentierte Minister –, sondern an den steuerzahlenden Bürgern und vor allem an deren Kindern): Im Koalitionsvertrag ist keine Priorisierung der Ampel-Projekte festgehalten. Auch eine Kostenschätzung der Vorhaben gibt es da nicht. Wenn es Lindner und Wissing mit ihrem Wahlversprechen der Haushaltssolidität ernst gewesen wäre, hätten sie eben in den Koalitionsverhandlungen statt abstrakter Einsparversprechen darauf bestehen müssen, dass jeder Minister verpflichtet wird, jede Mehrausgabe durch Einsparungen an anderer Stelle gegen zu finanzieren, oder zumindest entsprechende Vorschläge zu machen. Klar, das wäre für alle Beteiligten sehr unbequem gewesen. Sehr viel schöner ist es, wenn alle einfach Wunschzettel schreiben dürfen und der Steuerzahler das Christkind zu sein hat.
Wissing ließ sein Ministerium noch vor wenigen Tagen eine wohlfeile Polit-PR-Phrase twittern: „Heute das Machbare tun & nicht an den Problemen der Zukunft verzweifeln!“ Ehrlicher zur Charakterisierung der Haltung der Bundesregierung wäre gewesen: „Heute das Geld ausgeben & und nicht an die Probleme der Zukunft denken!“