Nicht mal eine Woche, nachdem Karl Lauterbach zum neuen Gesundheitsminister ernannt wurde, verkündete er Mitte Dezember des vergangenen Jahres, er habe eine „Impfstoff-Inventur“ im Ministerium durchgeführt – und man habe festgestellt, dass von der Vorgängerregierung zu wenig Impfstoff bestellt wurde. Das habe ihn selbst überrascht. Das mediale Bild stand schnell fest und auf Lauterbachs Seite: Jens Spahn hat mal wieder Chaos produziert und Lauterbach muss es ausbügeln. Wie aufwendig diese „Inventur“ angesichts transparent veröffentlichter Impfbestellmengen und -lieferungen eigentlich konkret war, ist unklar. Bisweilen klang es allerdings fast so, als wenn Lauterbach persönlich mit hochgekrempelten Ärmeln und Klemmbrett durch das Gesundheitsministerium schritt, die vor sich hin gammelnden Impfdosen unter Jens Spahns Sofa hervorzog und feststellen musste, dass die alkoholisierte Beamtenschaft die halben Impf-Vorräte versoffen hat.
Dennoch kündigte Lauterbach öffentlichkeitswirksam an, diese angebliche Lücke mit aller Gewalt schnell schließen zu wollen – man brauche 70 Millionen „Booster“- Impfdosen im ersten Quartal, damit man eine Quote von 90 Prozent in der Bevölkerung erreichen könnte. Er kündigte an, bei Moderna 35 Millionen weitere „Booster“-Impfdosen zu bestellen. Finanzminister Christian Lindner stellte seinem Kollegen gleich 2,2 weitere Milliarden für die Impfstoffbeschaffung zur Verfügung. 35 Millionen zusätzliche „Booster“-Dosen sind, wie wir heute wissen, auch schon zu viel gewesen – allerdings bestellte Lauterbach gar nicht, wie angekündigt, 35 Millionen „Booster“-Impfdosen, sondern 70 Millionen.
128 Millionen „Booster“-Dosen – 83 Millionen Einwohner
Das kommt nun langsam ans Licht. Wie eine kleine Anfrage der Unionsfraktion ergab, über die Tagesspiegel Background berichtet, steht damit im ersten Quartal 2022 so viel Impfstoff zur Verfügung, dass 128 Millionen Menschen „geboostert“ werden könnten. 128 Millionen „Booster“ bei 83 Millionen Einwohnern.
Der Verdacht ist ungeheuerlich: Hat Lauterbach zur bloßen Selbstdarstellung zig Millionen Impfdosen aufkaufen lassen? Doch das scheint nicht alles zu sein – es scheint zusätzlich ein simpler, aber folgenschwerer Rechenfehler vorzuliegen.
Für die „Booster“-Impfung wird beim Stoff von Moderna nämlich nur eine halbe Impfdosis verwendet – eine gekaufte Moderna-Impfdosis entspricht also zwei „Booster“-Dosen. Für den von Lauterbach ausgewiesenen Bedarf von 35 Millionen „Booster“-Dosen hätte man also 17,5 Millionen Moderna-Impfdosen kaufen müssen. Das Gesundheitsministerium kaufte aber 35 Millionen ganze Impfdosen, die dann eben 70 Millionen „Booster“-Impfungen möglich machen. Scheinbar aus Versehen hat das Gesundheitsministerium hier die doppelte Menge an Impfstoff gekauft.
Doch statt auf Aufklärung setzt Lauterbach auf Verschleierung. Mitte Dezember verschwand plötzlich (und sicherlich rein zufällig) die unter der Vorgängerregierung transparent geführte, online einsehbare Übersicht über Impfstoffbestellungen und -vorräte des Bundesgesundheitsministeriums – im gleichen Atemzug mit Lauterbachs „Inventur“.
Alles-besser-Macher Lauterbach verweigert der Bevölkerung die Information über den Stand der Impfstoffbestellung in Deutschland – und verschleiert so auch diesen desaströsen Vorgang. Doch auf ein paar hundert Millionen Euro Steuerzahlergeld mehr oder weniger kommt es offenbar weder für Bundeskanzler Scholz noch Finanzminister Lindner an – Hauptsache man konnte mal wieder „Zeichen setzen“.