Schon seit Monaten reden Politiker der Demokraten davon, dass die oppositionellen Republikaner mit neuen Wahlgesetzen in den Bundesstaaten angeblich „Wählerunterdrückung“ zu Ungunsten von Minderheiten betreiben würden. Der Mythos ist so verbreitet, dass er seinen Weg auch in die deutsche Presse gefunden hat. Im Spiegel etwa ist die Rede von einem „Stillen Coup“ der Republikaner. Im US-Senat ist Biden Anfang des Jahres mit einem eigenen „Wahlrechtsgesetz“ gescheitert – auch an der eigenen Partei. Die Situation ist besonders im Vergleich zur Debatte um die Anfechtung der Präsidentschaftswahl durch Donald Trump so bemerkenswert. Also: Was ist an den Vorhaben und Vorwürfen dabei?
Ein Beispiel für eine Änderung eines Wahlgesetzes durch die Republikaner ist Georgia. Linke Aktivisten werfen der Regierung hier vor, diese würde so afroamerikanische Wähler am Wählen hindern wollen, damit bei der nächsten Senatswahlen wieder ein Republikaner gewinnt. Wähler müssen beim Antrag auf Briefwahl nun nämlich eine Ausweisnummer zur Identifikation angeben. Linke behaupten, Afroamerikaner wären so benachteiligt, da sie seltener über einen Ausweis verfügten.
Biden und übrigens auch der Spiegel beklagen außerdem eine Reduzierung der Einwurfkästen für Briefwahlzettel. Allerdings gab es zuvor überhaupt keine solchen Briefkästen in Georgia – sie waren illegal und wurden nur auf dem Wege eine Notverordnung im Corona-Wahljahr 2020 eingeführt. Mit der Gesetzesänderung jetzt werden sie nun überhaupt erst gesetzlich eingeführt. Eine Einschränkung im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit ist dies also eindeutig nicht.
Ein weiterer beliebter Vorwurf ist, dass das Gesetz es verbieten würde, wartende Wähler mit Wasser zu versorgen. Das Gesetz erlaubt explizit, dass Wahlmitarbeiter Wählern Wasser zur Verfügung stellen. Es verbietet dies lediglich zusammen mit allen möglichen anderen „Geschenken oder Geld“ im Umkreis von 15 Metern um das Wahllokal. So soll „Electioneering“, also das Werben mit Geschenken um Stimmen von Wählern verhindert werden. Gesetze gegen „Electioneering“ gibt es dabei in vielen Bundesstaaten, auch in Bidens demokratisch regiertem Heimatstaat Delaware, der ähnliche Aktivitäten sogar in einem weiteren Radius als Georgia, nämlich von 45 Metern um das Wahllokal, verbietet.
Rassistische Ideen sind das alles wohl kaum, aber neu sind all diese Vorwürfe auch nicht. Schon seit Jahren behaupten Demokraten, Änderungen am Wahlrecht durch Republikaner, z.B. sog. „Voter ID Laws“, also Gesetze, nach denen Bürger ihre Ausweise zum Wählen zeigen müssen, seien rassistisch. Und das, obwohl solche Vorschriften auch von einer überwältigenden Mehrheit der Afroamerikaner unterstützt werden.
In Georgia ist es so nun ausgerechnet Stacy Abrams, ehemalige und womöglich zukünftige Gouverneurskandidatin der Demokraten, die sich bis heute weigert, ihre Niederlage gegen den Republikaner Brian Kemp einzugestehen. Sie behauptet „Wahlunterdrückung“ von Minderheiten hätte sie 2018 den Sieg gekostet, dabei verlor sie mit mehr als 50.000 Stimmen Rückstand – zum Vergleich, Joe Biden gewann die Wahl gegen Trump in Georgia mit gerade einmal gut 12.000 Stimmen. Aber mit Abrams Wahlvorwürfe haben die Demokraten kein Problem, beim demokratischen Parteitag 2020 durfte sie sogar in einer Gouverneursrunde mit auftreten, ganz so als hätte sie ihre Wahl gewonnen. Trump hingegen wird für seine Anfechtung der Wahl bis heute als Demokratiefeind geschmäht.
Um diese angeblichen Wahlmanipulationen der Republikaner zu verhindern, plant Biden nun selbst eine große Wahlrechtsoffensive. Nachdem Bidens Billionenpaket „Build Back Better“ im Dezember am Widerstand der eigenen Partei scheiterte, hatte er sich das Thema groß auf die Fahne geschrieben. Das entsprechende Gesetzesvorhaben stand unter heftiger Kritik von Republikanern, da es automatische Wahlregistrierung mithilfe von Führerscheinlisten vorsieht – so können allerdings auch Nicht-Staatsbürger zum Wählen autorisiert werden.
Bidens Gesetz braucht eine Mehrheit von 60 von 100 Senatoren – Hintergrund sind die „Filibuster“, also Dauerreden bzw. deren Androhung, mit denen die Opposition das Gesetz bei knapperen Mehrheiten de facto blockieren kann. Biden hat aktuell allerdings nur eine Hauchdünne Mehrheit von 50 Senatoren sowie der bei Gleichstand entscheidenden Vize-Präsidentin – von 60 Stimmen weit entfernt.
Daher plante Biden ein unglaublichen Eingriff in die Tradition und Ordnung des US-Senats – der traditionsreiche „Filibuster“ sollte einfach abgeschafft werden. Lange Garant für Überparteilichkeit und Zwang zu Kompromissen wurde die Regel nun als „rassistisch“ gebrandmarkt, völlig unabhängig davon, dass Demokraten, als sie kurz zuvor selbst in der Minderheit waren, keine Scheu hatten, das Prinzip hunderte Male gegen republikanische Vorhaben einzusetzen. Gerade bei einem so sensiblen Thema wie dem Wahlrecht sollten jetzt jahrzehntelange Gepflogenheiten über den Haufen geworfen werden, damit eine Senatsmehrheit, die knapper nicht sein könnte, ein Gesetz durchdrücken kann. Doch das Vorhaben war so radikal, dass nicht alle Demokraten mitzogen. Die beiden moderaten Demokraten Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona stimmten dagegen. Das war bereits wochenlang absehbar, aber Biden wollte nicht einlenken und fuhr damit das nächste seiner Großvorhaben mit voller Geschwindigkeit an die Wand.
Der Präsident säht jetzt sogar offen Zweifel an der Legitimität amerikanischer Wahlen – das gleiche, was er bei Trump noch als absolute Ungeheuerlichkeit anprangerte. Bei seiner ersten Pressekonferenz dieses Jahr, direkt nach dem Scheitern seines Wahlgesetzes im Kongress, wurde er gefragt, ob die diesjährigen Kongresswahlen „frei und fair“ stattfinden und ob sie auf „irgendeiner Weise illegitim wären“. Biden antwortete: „Oh ja, ich denke, es könnte leicht – illegitim sein.“ Und weiter: „ich werde nicht sagen, dass sie legitim sein werden. Die Zunahme und die Aussicht, illegitim zu sein, stehen in direktem Verhältnis dazu, dass wir diese Reformen nicht durchsetzen können.“
Ein bemerkenswertes Statement für den Präsident der Vereinigten Staaten und gerade für Biden, der sonst gerne mit erhobenem Finger auf seinen Vorgänger zeigt, wenn es um die Anerkennung der Legitimität von Wahlen geht. Aber das ist der logische Schlusspunkt, an den Biden die aufgeladene Wahlrechtsdebatte geführt hat: Wenn seine Wünsche nicht umgesetzt werden, hält er die nächste Wahl für „illegitim“ – und damit ganz nebenbei auch die Wahl, die seine Partei aktuellen Umfragen nach krachend verlieren wird.