Bevor der Parteitag beginnt, plänkeln auf Phoenix ein Moderator und eine Politikwissenschaftlerin: Die Grünen lebten von Widerspruch von unten, die ihre Regierungsvertreter antrieben und letztlich durch Kompromisse in der Regierung zu Fortschritt führten. Interessante Analyse. Sieben von 42 Jahren waren die Bundesgrünen in der Regierung. Diese Zeit war davon geprägt, dass ihre Basis mehr Kröten schluckte, als über die Straße zu tragen – und das Ganze endete damit, dass man sich selbst das Zeugnis aussprach, nicht mehr regierungsfähig zu sein.
Doch das Phoenix-Duo macht unbeirrt weiter. Mit Glanz in den Augen. Den sieht man im Fernsehen sonst nur in Kuppelshows von RTL so leuchten – oder wenn über die Grünen von Menschen geredet wird, die auf der Lohnliste von öffentlich-rechtlichen Sendern stehen. Intern müssten die Grünen jetzt lernen, auch mal die Ellbogen einzusetzen, schwadroniert der Journalisten-Darsteller von Phoenix – als ob es so was Profanes wie Ellbogen bei allen Parteien gäbe, nur nicht bei den Grünen. Bisher zumindest.
Neutrale Menschen wissen längst, dass die Grünen genauso normal sind wie andere Parteien. Nur Journalisten und Grüne selber versuchen eine andere Erzählung am Leben zu halten. Deshalb heißt der Parteitag auch nicht Parteitag sondern Delegiertenkonferenz – und der Generalsekretär nicht Generalsekretär sondern politischer Geschäftsführer. Dieses Amt erhält an diesem Samstag voraussichtlich Emily Büning. Sie arbeitet bereits für die Geschäftsstelle. Das qualifiziert sie für die Aufgabe, die ihr an diesem Samstag möglicherweise die Partei mit auf den Weg geben wird: den Wahlkampf 2021 aufarbeiten.
Sprich: Sie soll ihre eigene Arbeit beleuchten und Fehler, die ihre ehemaligen Chefs zu verantworten haben. Etwa Baerbock, mit ihrer Plagiatsaffäre. Oder Kellner, der mit Tweets Sauerstoff in das Feuerchen blies und so erst eine Sturmflamme draus machte. Wobei Büning in die Karten spielen dürfte, dass der Blick nach hinten bald keinen mehr interessieren dürfte – bei all dem, was der Blick nach vorne erwarten lässt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehört zu den wenigen, die noch alte Fehler ansprechen.
Franziska Brantner bringt die kommenden Schwierigkeiten auf den Punkt: Sie hat einen „mulmigen Blick auf das, was in der Welt passiert“. Russland und die Ukraine erwähnt die neue Wirtschafts-Staatssekretärin. Und sie deutet wirtschaftliche Baustellen an, vermeidet aber Wörter wie „Inflation“, „steigende Energiepreise“, „Lieferengpässe“, „marode Infrastruktur“ oder „Konjunktureinbruch“ wie es sonst nur die Bewohner von Harry Potters Zaubereiwelt mit dem Namen „Voldemort“ tun. Auf den Punkt kommen – nein, das wollen die Grünen nicht gerne.
So fällt denn auch die Abschiedsrede von Baerbock und Robert Habeck nüchtern und sperrig aus. Von Applaus getragen können sie von einem Parteitag nicht werden, der zum größten Teil digital ist. Die Sätze des Führungsduos sind so schwülstig, dass Substantiv und Prädikat längst vergessen sind, wenn die Vielzahl an Objekten und Adverbialen heruntergezählt ist. Der rote Faden, der sich aus diesem Wulst heraussuchen lässt, sind die „guten Kompromisse“, die Habeck immer wieder anmahnt. Und womit er auch seine spontane Streichung der Förderungen für klimagerechtes Bauen meint.
Wenn es überhaupt ein Aufregerthema bei den Grünen gibt, ist es diese Streichung. Doch es gibt genug staatliches Geld, mit dem sich der Parteitag versöhnen lässt. Da sind zuallererst die 60 Milliarden Euro. Sie wurden einst vom Bundestag als Genehmigung zur Schuldenaufnahme fiktiv bereit gestellt, damit die Bundesregierung sich als Wirtschaftsretter in der Coronakrise verkaufen kann. Aber sie wurden nicht abgerufen, da die bürokratischen Hürden hoch genug waren, um ein Abrufen zu verhindern.
Nun fließen diese 60 Milliarden Euro in reale Schulden, auch wenn der liberale Finanzminister Christian Lindner sich in Framing übt, um es anders darzustellen. Das Geld wird in Klimaschutz investiert. Ein warmer Regen für all die Agenturen, Institute und Entwicklungsgesellschaften, deren Inhaber sich oft genug im grünen Milieu bewegen. Aus Überzeugung oder aus Lobbyismus.
So ist genug Geld und sind genug Stellen da, um alle Delegierten mit den „guten Kompromissen“ zu versöhnen. Kellner wurde nicht gefeuert, sondern ins Wirtschaftsministerium weg befördert. Die erste politische Rede nach Habeck und Baerbock hält Steffi Lemke. Sie wurde 2021 Umweltministerin. 2013 war sie als politische Geschäftsführerin nicht mehr tragbar, als sie in einem katastrophalen Wahlkampf von dem Thema Grüne und ihre pädophile Vergangenheit überfahren worden ist. Auch war ihre Bundesgeschäftsstelle nicht auf das Thema Steuerpolitik vorbereitet gewesen. Lemke räumte in internen Runden ein, dass sie nicht gedacht hätte, dass sich Journalisten dafür interessieren würden.
Zwei Wahlkampf-Versager in lukrativen Jobs. Dazu passt, dass Ricarda Lang zur Vorsitzenden befördert wird, nachdem sie schon in den Bundestag eingezogen ist. Doppelte finanzielle Versorgung für eine 28-Jährige, die sieben Jahre lang studiert hat, um dann abzubrechen. Sie gehört zu denen im Vorstand, die in strafrechtliche Ermittlungen geraten sind, weil sie sich selbst einen Corona-Bonus gegönnt hatten.
Im Vorfeld des Parteitags hat Kretschmann ein Interview gegeben, in dem er die Fehler der Vergangenheit hart kritisiert hat. In seiner Rede lässt der ehemalige Maoist sich von den wulstigen Worten des Parteitages einlullen. Milder als im Interview erklärt er: Seine Partei habe es im Wahlkampf versäumt, der Bevölkerung ein „Sicherheitsversprechen“ zu geben. Das müsse sie künftig tun, wenn sie sich als Regierungspartei etablieren wolle.
Nach innen klappt das schon ganz gut mit dem Sicherheitsversprechen. Im Moment kann sich jeder sicher sein, Job oder Aufträge zu bekommen, wenn er sich wohlfällig genug verhält. Oder sie. Ob dieses Sicherheitsversprechen auch nach außen klappt, wird sich erst nach dem Parteitag zeigen. Falls das nicht klappt, können die Grünen immer noch auf die Journalisten hoffen, die mit Glanz in den Augen von ihnen schwärmen.