Doch. Seit Gerhard Trabert (65) seine Kandidatur fürs Präsidentenamt bekannt gegeben hat, wird er von seinen heimischen Medien auch schon mal kritisiert. Er sei keine Frau, warf ihm der SWR in einem Kommentar vor. Ja, so banal sind Linke und öffentlich-rechtlicher Rundfunk in diesen Tagen. Die Allgemeine Zeitung Mainz unterstellte ihm, er habe sich mit einem Nazi-Vergleich „etwas vergaloppiert“.
Nun klingt „etwas vergaloppiert“ nicht gerade nach harter Kritik. Aber im Verhältnis Allgemeine Zeitung (AZ) und Trabert kommt das einem Erdrutsch gleich. Denn die Lokalzeitung feiert den Arzt wie die Wiedergeburt von Sankt Martin. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass Trabert nicht seinen Senf zur Weltgeschichte beitragen darf. Etwas sei ein Skandal, ist dabei eine seiner liebsten Redeweendungen. Hartz IV etwa sei ein Skandal.
Das ließ sich so nicht halten. Wenn selbst seine AZ auf hartes Geschütz wie „etwas vergaloppiert“ setzen muss. Also griff Trabert zu einer grün-linken Spezialität, der doppelbödigen Nicht-Entschuldigung, und schrieb auf seinem Twitter-Account: „Verschiedene Medien interpretieren meinen historischen Hinweis auf das Wegschauen vieler Deutscher im Nationalsozialismus … als einen Vergleich mit der gegenwärtigen Missachtung und Gefährdung von Gesundheit und Leben bestimmter Bevölkerungsgruppen. Das ist es ausdrücklich nicht.“ Damit können er und seine Anhänger sagen, er habe sich ja entschuldigt. Dabei hat er eigentlich nur Kritikern vorgeworfen, ihn falsch verstanden zu haben.
Kritik ist Trabert nun aber auch nicht gewöhnt. Einmal kam sie kurz auf, als der von ihm geschaffene Verein „Armut und Gesundheit“ den Posten eines Geschäftsführers besetzte. Die Suche nach dem am besten geeigneten Kandidaten endete bei Traberts Sohn Jari. Wenn es um Posten geht, ist die Welt in Mainz manchmal klein. Gegenüber der christlichen Publikation Chrismon sagte Trabert, sein Sohn habe das diplomatische Geschick, das ihm manchmal fehle. Selbstkritischer ist er in der Öffentlichkeit selten aufgetreten.
Wer würde ihm auch Kritik entgegenbringen wollen: einem Mann, der sein Leben der Behandlung von Obdachlosen gewidmet hat? Doch der St. Martin von Mainz verteilt nicht seinen eigenen Mantel. Er lässt ihn sich bezahlen. Und andere Einrichtungen für Obdachlose beschweren sich, dass „Armut und Gesundheit“ mehr bekomme als sie. 29 angestellte Mitarbeiter hat „Armut und Gesundheit“ nach eigener Auskunft. Davon sei allerdings „die große Mehrheit in Teilzeitbeschäftigung“. Hinzu kommen rund 50 ehrenamtliche Mitarbeiter.
Nach Darstellung des Ärzteblatts erhält der Verein das Geld aus Spenden, aber auch von der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Sozialamt. „Eine Erstattung der medizinischen Behandlungen durch Stadt, Land oder Bund erfolgt nicht“, sagt indes Jari Trabert. Nach eigener Auskunft sei er nur „Geschäftsführer für Kommunikation, Fundraising und Verwaltung“. Durch Spenden und Förderungen habe der Verein im Jahr 2020 insgesamt 1.592.000 Euro erhalten. Ausgegeben habe er 863.000 Euro für gemeinnützige Zwecke – durch die Pandemie seien die Möglichkeiten, aktiv zu sein, eingeschränkt gewesen.
Für Gerhard Trabert, der Hartz IV für einen Skandal hält, dürfte es zu wenig sein. Deshalb macht er soziale Gerechtigkeit zu seinem politischen Thema. Oder das, was er darunter versteht: als St. Martin den Mantel anderer verteilen. Etwa in der „Seenotrettung“. Dass die Retter wie Schlepper behandelt würden, ist für ihn – richtig: ein Skandal. Wohltaten auf Kosten anderer findet allerdings seine Fans. In Mainz trat Trabert 2021 als Direktkandidat für den Bundestag an und holte ein respektables Ergebnis: 12,4 Prozent. Bei den Zweitstimmen konnten die Linken im Wahlkreis nur 4,7 Prozent erreichen.
In dem Wahlkampf setzte Trabert auf sein Image als St. Martin von Mainz. Bilder zeigten ihn kitschig Kopf an Kopf mit Obdachlosen. Hochglanzoptik. Auf edlem Papier. Breit gestreut in der Stadt. Geld muss da gewesen sein für einen Mann, der mit dem Thema „Gesundheitssituation und medizinische Versorgung von wohnungslosen Menschen“ habilitierte.
Bürgerlicher mit Bezug zu Armut. Mehr kann sich eine Linke nicht wünschen, die ohne die Wahl in der Stadt Berlin aus dem Bundestag geflogen wäre. Jene Wahl, die unter skandalösen und irregulären Bedingungen stattgefunden hat. Bliebe bei dem Kandidaten nur das Manko, dass er keine Frau ist. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Wäre er es, müsste die AZ für ihn einen eigenen trabertpolitischen Redakteur abstellen. Oder besser eine trabertpolitische Redakteurin.