Tichys Einblick
Deutschland und die Staatsbürgerschaft Teil 2

Die Integrationsbeauftragte und ihr Missgriff in die Geschichte

Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, will ein neues Staatsbürgerschaftsrecht einführen. Ihr pseudo-historisches Argument dafür bezeugt nur eine völlige Kenntnislosigkeit der Geschichte des deutschen Kaiserreichs.

IMAGO / photothek

Reem Alabali-Radovan wurde am 8. Dezember 2021 von Olaf Scholz zum Staatsminister für Migration, Flüchtlinge und Integration berufen. In dieser Funktion nun strebt sie – ganz im Sinne der RG2-Koalition – eine Neugestaltung des Staatsbürgerrechts an. Um die bildungsfernen, linken Bataillone für ihre Neugestaltung zu mobilisieren, griff Alabali nun gänzlich ohne Wissen um die deutsche Geschichte zu dem in linken Kreisen überaus beliebten Kaiser-Bashing.

„Damit klopfen wir den letzten Staub der Kaiserzeit aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz!“ Das sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und verkannte dabei nicht nur, dass die sogenannte Kaiserzeit die eines Bundesstaates mit frei gewähltem Parlament war, in dem der König von Preußen qua Amt unter dem Namen „Deutscher Kaiser“ in etwa die Funktion hatte, die gegenwärtig ein Frank-Walter Steinmeier einnimmt. Der gern geschmähte Kaiser war Präsident des Bundes deutscher Länder – aber weit davon entfernt, ein allmächtiger Sonnenkönig zu sein. Denn ohne die Zustimmung der Länder durfte er so gut wie nichts machen – und Gesetze konnte er nicht aus eigenem Gutdünken erlassen, sondern musste absegnen, was zuvor vom demokratisch gewählten Bundesparlament mit dem Namen Reichstag und der Länderkammer, damals Bundesrath geheißen, gemeinsam beschlossen worden waren.

Auch „staubig“ war dieser fälschlich als „Kaiserreich“ geschmähte Bundesstaat nicht. Ganz im Gegenteil. Nie zuvor und niemals danach sollte ein deutscher Staat eine solche Dynamik an kulturellem, wirtschaftlichem, wissenschaftlichem, gesellschaftlichem und sozialem Fortschritt ermöglichen, wie dieses nach 1871 der Fall war. Und was nun das angeblich so staubige Staatsangehörigkeitsrecht betrifft, so war dessen Beschreibung in der demokratisch verabschiedeten Verfassung letztlich sogar deutlich weniger ethnisch orientiert, als es beispielweise das bundesdeutsche Grundgesetz formuliert.

Die Verfassung von 1871 kannte kein deutsches Volk – nur Bundesangehörige

Während im Grundgesetz der deutsche Volksbegriff nach wie vor schwammig ist und bis heute einen ethnisch-„völkischen“ Charakter hat, spielte die Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Ethnie 1871 nicht die geringste Rolle. Die am 16. April 1871 verkündete Verfassung befasste sich ausschließlich in ihrem Artikel 3 mit der Frage, wer Staatsbürger des Deutsches Reich sei. Er liest sich wie folgt:

„Für ganz Deutschland besteht einen gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist.
Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugniß durch die Obrigkeit seiner Heimath, oder durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates beschränkt werden.“

Details des damals noch „Heimatrecht“ genannten Staatsbürgerrechts waren bereits in einem Gesetz für den Norddeutschen Bund vom 1. Juni 1870 geregelt worden. Danach bestand das Staatsbürgerrecht in einzelnen Bundesländern, welches automatisch zur Bundesangehörigkeit als Bürger des Deutschen Reichs führte, durch

Zugegeben eher spärlich war die Möglichkeit der Aufnahme einer Bundesbürgerschaft durch Bürger von Staaten oder Ländern geregelt, die nicht dem Bund angehörten. Die damals sogenannte „Naturalisation“ von „Ausländern“ setzte gemäß § 8 voraus, dass der Antragsteller einen „unbescholtenen Lebenswandel“ geführt hatte, er dort, wo er sich niederlassen will (oder bereits niedergelassen hat), über eine eigene Wohnung oder Unterkunft verfügt, und er daselbst in der Lage ist, sich und seine Angehörigen nach dortigen Verhältnissen zu ernähren. Somit konnte ein Ausländer, der sich im Bundesgebiet niederlassen wollte, jederzeit die Staatsbürgerschaft beantragen, soweit er die genannten Bedingungen erfüllte. Sie war ihm zu gewähren, soweit er den Nachweis erbringen konnte, dass er in seinem Herkunftsland geschäftsfähig war, und umfasste automatisch seine Ehefrau sowie die gemeinsamen Kinder. Die Zuständigkeit zur Einbürgerung lag bei den einzelnen Bundesstaaten und dort zumeist auf kommunaler Ebene.

Im ach so geschmähten „Kaiserreich“ spielte es nicht die geringste Rolle, ob sich ein Deutscher als Germane, Italiener, Franzose, Pole oder Jude fühlte. War er Bürger – in den Fürstentümern und Königreichen auch noch als „Unterthan“ bezeichnet – eines der deutschen Länder, welche dem Bund angehörten, dann war er Angehöriger des Bundes mit allen Rechten, die ein freier Bürger in einem liberalen Staat wahrnehmen kann. Er war Deutscher, soweit diese Angehörigkeit zum Deutschen Reich als „deutsch“ zu bezeichnen ist – denn Deutsche als Menschen, die sich mit dem Deutschsein identifizierten, gab es auch andernorts.

Dieses für seine Zeit überaus moderne und liberale Bürgerrecht war übrigens auch der Grund, weshalb vor allem jüdische Deutsche sich in hohem Maße mit diesem jungen Staat identifizierten. Erstmals standen ihnen in allen deutschen Ländern alle Türen offen, um mit ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit Karriere zu machen. Sie nutzten diese Chance und wurden als Deutsche zu maßgeblichen Trägern in Kunst und Kultur, Politik und Wissenschaft – bis dann die kleinbürgerlich-proletarische Missgunst der Nationalsozialisten 1935 den Begriff des Deutschen abschließend vergewaltigte und aus dem deutschen Staatsbürger den Angehörigen eines germanischen Blutstammes machten.

Vom Auswanderer- zum Einwandererland

Nicht zuletzt dadurch, dass mit der Verfassung von 1871 so gut wie sämtliche, in manchen Ländern noch bestehenden Hemmnisse zur Ausreise fortfielen, kam es in den jungen Jahren des deutschen Bundesstaats zu erheblicher Auswanderung, vor allem nach Amerika und dort wiederum in die USA. Über fünf Millionen Bundesbürger sollen damals als Siedler diesen Weg gegangen sein.

Mit der erfolgreichen Industrialisierung jedoch wurde der Bedarf an Arbeitskräften zunehmend wichtiger und konnte mit dem Bestand an Bundesbürgern nicht mehr gedeckt werden. So kam es zu stetiger Zuwanderung, die sich vor allem aus den europäischen Nachbarländern, darunter insbesondere Polen und Westpreußen sowie dem Vielvölkerstaat der k.u.k.-Monarchie organisierte.

Das Staatsangehörigkeitsrecht von 1913

Unter den Maßgaben des Rechts von 1870 konnten diese Zuwanderer vergleichsweise unproblematisch Bundesangehörige werden, wenn sie über eine gesicherte Existenz und einen guten Leumund verfügten. Trotzdem kam es 1913 zu einer grundlegenden Neuformulierung des „Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes“.

Staatsangehöriger war nach wie vor, wer Bürger eines der Bundesstaaten war. Hinzu kam die „unmittelbare Reichsangehörigkeit“. Gleichwohl wurden die Bürger des Reichslands Elsaß-Lothringen – jene Gebiete, die sich im Zuge des Westfälischen Friedens die Franzosen angeeignet hatten und 1871 wieder ans Reich gefallen waren – gleich den Bürgern eines Bundesstaats behandelt. Selbst die Schutzgebiete, heute gern als Kolonien bezeichnet, galten als Inland. Dort lebende Menschen – damals „Eingeborene“ genannt – konnten jedoch auf Antrag nur die Reichsangehörigkeit erlangen, da die Schutzgebiete nicht als Bundesstaaten galten.

Neben den seit 1870 geltenden Regeln wurde explizit die Möglichkeit der „Einbürgerung“ geregelt – zuvor als „Naturalisation“ bezeichnet. Schauen wir uns die entsprechenden Regelungen an, so kommen wir an der Feststellung nicht vorbei: Dieses Recht der so staubigen Kaiserzeit war um ein vieles liberaler und weltoffener als das entsprechende Recht der Bundesrepublik.

Die Möglichkeiten der Einbürgerung

Paragraph 8 schrieb die Möglichkeit der Einbürgerung unabhängig von Herkunft und sozialem Status jedem zu, der unbescholten war, über eine Wohnung verfügte und sich und seine Familie ernähren konnte. Damals legte man Wert darauf, nicht als Sozialamt der Welt missbraucht zu werden:

„Ein Ausländer, der sich im Inland niedergelassen hat, kann von dem Bundesstaat, in dessen Gebiete der Niederlassung erfolgt ist, auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er
1. nach den Gesetzen seiner bisherigen Heimat unbeschränkt geschäftsfähig ist oder nach den deutschen Gesetzen unbeschränkt geschäftsfähig sein würde oder der Antrag in entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 2 Satz 2 von seinem gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Zustimmung gestellt wird,
2. einen unbescholtenen Lebenswandel geführt hat,
3. an dem Orte seiner Niederlassung eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat und
4. an diesem Orte sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist.“

Um Missbrauch zu verhindern, sollte sichergestellt werden, dass der Neubürger nicht andernorts im Bundesgebiet belastet ist. Dazu formulierte §9 Absatz 1:

„Die Einbürgerung in einem Bundesstaat darf erst erfolgen, nachdem durch den Reichskanzler festgestellt worden ist, daß keiner der übrigen Bundesstaaten Bedenken dagegen erhoben hat; erhebt ein Bundesstaat Bedenken, so entscheidet der Bundesrat. Die Bedenken können nur auf Tatsachen gestützt werden, welche die Besorgnis rechtfertigen, daß die Einbürgerung des Antragstellers das Wohl des Reichs oder eines Bundesstaats gefährden würde.“

Dieser Vorbehalt kannte jedoch Ausnahmen, die in §9 Absatz 2 und 3 formuliert wurden:

„Die Vorschriften des Abs. 1 finden keine Anwendung
1. auf ehemalige Angehörige des Bundesstaats, bei dem der Antrag gestellt wird, auf deren Kinder oder Enkel sowie auf Personen, die von einem Angehörigen des Staates an Kindes Statt angenommen sind, es sei denn, daß der Antragsteller einem ausländischen Staate angehört,
2. auf Ausländer, die im Deutschen Reiche geboren sind, wenn sie sich in dem Bundesstaate, bei dem der Antrag gestellt wird, bis zur Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahrs dauernd aufgehalten haben und die Einbürgerung innerhalb zweier Jahre nach diesem Zeitpunkt beantragen.“

Damit galt nun auch für jedes Migrantenkind, welches auf dem Boden des Bundes geboren wurde, der Anspruch auf Einbürgerung mit dem Erreichen der Volljährigkeit.
Zudem gab es einen Anspruch auf Einbürgerung, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt waren. §12 schrieb fest:

„Ein Ausländer, der mindestens ein Jahr wie ein Deutscher im Heere oder in der Marine aktiv gedient hat, muß auf seinen Antrag von dem Bundesstaat, in dessen Gebiet er sich niedergelassen hat, eingebürgert werden, wenn er den Erfordernissen des § 8 Abs. 1 entspricht und die Einbürgerung nicht das Wohl des Reichs oder eines Bundesstaats gefährden würde. Die Vorschriften des § 8 Abs. 2 und des § 9 finden Anwendung.“

Danach hätten 2021 beispielweise jene Afghanen, die hauptberuflich länger als ein Jahr für die Bundeswehr gearbeitet haben, ein Anrecht auf Einbürgerung. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der „Eingeborenen“, die in den Schutztruppen dienten, diese Regelung nicht zutraf. Die Schutztruppen galten nicht als Teil von Heer oder Marine, sondern waren getrennt. Das Einbürgerungsrecht von 1913 wollte insofern sicherstellen, dass „Eingeborene“ nicht in Scharen über den Weg der Schutztruppe Staatsbürger des Bundes wurden. Ob diese Regelung dauerhaft funktioniert hätte, müssen wir dahingestellt bleiben lassen, da die Schutzgebiete bereits 1914 verloren gingen. Angenommen aber, die Schutzgebiete wären nicht im Handstreich von den Alliierten genommen worden, dann hätte es im Zuge des Krieges nahegelegen, ähnlich den anderen Kolonialmächten „Eingeborene“ in das reguläre Heer einzugliedern. Spätestens dann hätten zahlreiche Farbige die Möglichkeit gehabt, unter Berufung auf geltendes Recht die Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Automatisch eingebürgert wurden nach §12 und 13 auf Antrag Ausländer, die eine Anstellung im Staatsdienst – auch im Ausland – sowie bei einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft hatten. Allerdings konnte dazu in den Anstellungsverträgen ein Vorbehalt geschrieben werden.

Gemäß §34 hatten Ausländer Anspruch auf die „unmittelbare Reichangehörigkeit“, wenn sie im Ausland tätig waren und ein Diensteinkommen aus der Reichskasse bezogen. War Letzteres nicht der Fall, so konnte dennoch die Reichsangehörigkeit erteilt werden, jedoch gab es darauf keinen Rechtanspruch.

Auch hinsichtlich der „Eingeborenen“ oder Ausländern in den Schutzgebieten bestand gemäß §33 als Kann-Bestimmung die Möglichkeit der Einbürgerung:

„Die unmittelbare Reichsangehörigkeit kann verliehen werden
1. einem Ausländer, der sich in einem Schutzgebiete niedergelassen hat, oder einem Eingeborenen in einem Schutzgebiete;
2. einem ehemaligen Deutschen, der sich nicht im Inland niedergelassen hat; dem ehemaligen Deutschen steht gleich, wer von ihm abstammt oder an Kindes Statt angenommen ist.“

Mit dieser Regelung war nun 1913 auch die Grundlage gelegt, dass Menschen, die im Sinne Merkels schon länger als die Deutschen in den „Kolonien“ lebten, Bürger des Bundesstaates Deutsches Reich hätten werden können. Hätte das Reich die Schutzgebiete nicht 1914/18 verloren, wäre insofern eine ähnliche Entwicklung wie im Vereinigten Königreich und in Frankreich zu erwarten gewesen.

Anders als heute allerdings konnte die Staatsangehörigkeit jedoch auch in besonderen Fällen aberkannt werden. Sie ging automatisch verloren, wenn jemand eine fremde Staatsangehörigkeit annahm – es sei denn, er beantragte zuvor den Behalt der Angehörigkeit zum Deutschen Bund. Diese Regelung richtete sich maßgeblich an jene Auswanderer, die zumeist ohnehin nicht die Absicht hatten, zurück in die Alte Welt zu gehen. Chancenlos, Angehörige des Deutschen Bundesstaats zu sein, waren beispielsweise jene Menschen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beispielsweise als Russlanddeutsche in die Bundesrepublik geholt wurden. Allerdings hätten sie als Ausländer jederzeit die Möglichkeit gehabt, in einen Bundesstaat des Deutschen Reichs umzusiedeln, um dort einer Erwerbsmöglichkeit nachzugehen und sich dann einbürgern zu lassen.

Keine ethnischen Deutschen und Alabalis Verquirlungen

Festzuhalten bleibt insofern noch einmal: Das Staatsangehörigkeitsrecht des Bundesstaates „Deutsches Reich“ folgte von Anbeginn an keinerlei ethnischen oder rassistischen Vorstellungen. In seiner Fassung aus dem Jahr 1913 ist es bis heute Grundlage geltenden Rechts – mit den durch die Zeitläufe notwendigen Änderungen und Streichungen. Dabei ist das bundesrepublikanische Einwanderungsrecht in vielerlei Hinsicht deutlich weniger liberal und „völkischer“ als das der sogenannten Kaiserzeit.

Was nun also meint Alabali, wenn sie „den letzten Staub der Kaiserzeit“ aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz herausklopfen möchte? Wie kann man etwas herausklopfen, das nicht existiert? Der „Staub“, den Alabali nun aus dem Staatsbürgerrecht entfernen will, ist nicht der Staub des sogenannten Kaiserreichs, welches ein demokratisch aufgebauter Bundesstaat mit präsidial-monarchischem Staatsoberhaupt gewesen ist.

Es ist, wenn es denn überhaupt Staub ist, der Staub einer rechts-sozialistischen Ideologie, die in unzulässiger Weise Begriffe wie Volk, Nation und Rasse mit Deutsch und Staatsbürgerschaft verquirlt hat und damit bis heute in manche Köpfe – und in das Grundgesetz – wirkt. Jene aber, die 1871 die erste deutsche Demokratie aus der Taufe hoben und dabei vor dem Problem standen, die damals noch mächtigen Adelsgeschlechter irgendwie mit auf den Weg nehmen zu müssen, waren es nicht, die diese tragische Verquickung organisierten. Ihr Staatsbürgerbegriff, der 1913 mit langwährender Gültigkeit manifestiert wurde, war der eines freien Bürgers, der in diesem Land lebt und sein Mögen und Vermögen für dieses einsetzt. Wer dazugehören wollte, konnte unabhängig von Herkunft, Ethnie und Religion einen entsprechenden Antrag stellen. Er wurde eingebürgert, wenn er nachwies, sich nach Recht und Gesetz zu verhalten und nicht dem Staat auf der Tasche zu liegen.

Was jenes Deutsche Reich von der Bundesrepublik unterscheidet, ist die Tatsache, dass das verfemte „Kaiserreich“ spätestens ab 1890 tatsächlich ein Einwanderungsland, in dem Neubürger willkommen waren, gewesen ist – ohne dass dabei der Anspruch behauptet worden wäre, die Alt-Bürger hätten auf ihre deutsche Identität verzichten müssen. Ganz im Gegenteil: Der Bundesstaat mit dem Namen Deutsches Reich stand allen Neubürgern offen – sie mussten einfach nur Deutsche werden wollen.

Die SPD braucht Sündenböcke

Dieses auch dürfte der eigentliche Grund sein, weshalb Alabali und ihre bildungsfernen Claqueure in den Medien, die das Nonsens-Zitat bereitwillig zur Schlagzeile gemacht haben, einen solchen, an Geschichtsvergessenheit und Kenntnislosigkeit nicht zu überbietenden Unsinn verbreiten: die Absicht, über die Änderung des tatsächlich im Vergleich zur sogenannten Kaiserzeit illiberaleren Staatsbürgerrecht der Bundesrepublik die deutsche Identität zu schleifen. Wer allerdings mit einem solchen Ansatz eine auf Falschbehauptungen basierende Politik betreibt, der treibt gezielt einen Keil zwischen Alt- und Neubürger und darf sich nicht wundern, wenn sich dagegen Widerstand regt.

Wie viel intelligenter wäre es dagegen, nicht auf ein angeblich verstaubtes Kaiserreich einzuprügeln, sondern stattdessen die Fakten zu bemühen und mit Bezug auf die erste deutsche Demokratie die Sinnfälligkeit einer verantwortlichen Einwanderungspolitik zu vermitteln? Einer Einwanderungspolitik, die – dieses nur am Rande – auch keine „Reichsbürger“, sondern nur „Bundes- und unmittelbare Reichangehörige“ kannte.

Doch das müsste auch bedeuten, dass die Sozialdemokratie, die 1918 letztlich durch einen als Revolution verkauften, verfassungswidrigen Staatsstreich die Macht im Reich übernommen hatte, sich ihrer eigenen Geschichtserzählung stellen müsste. Da ist es durchaus einfacher, Geschichte zu verleumden. Wehren kann sich ja niemand mehr von jenen, die heute wider die Fakten als Begründung für politische Indoktrination ohne Tatsachenbezug herhalten müssen.

Lesen Sie in Teil 1 über Alabalis Geschichten von Widerstand, Flucht und Verfolgung.

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