Es war eine Woche der Weltdiplomatie: Baerbock in Kiew und Moskau, Blinken und die Chefalliierten in Berlin. Die Ukraine-Krise hält die Welt in Atem. Marschiert Russland ein – und wie reagiert der Westen? Gibt es begrenzte Sanktionen, wie US-Präsident Joe Biden anzudeuten schien, wenn Russland „nur ein wenig einmarschiert“? Gibt es einen aus den NATO-Staaten unterstützten und letztlich gesteuerten Guerillakrieg, sollte Putin tatsächlich sein westliches Nachbarland besetzen, wie es US-Außenminister Antony Blinken angedeutet haben soll? Und endet ein solcher Partisaneneinsatz tatsächlich an den Grenzen Russlands?
Berlin ist wichtigster Partner
Eines jedenfalls gilt in Washington als gesetzt: Der Focus liegt gegenwärtig auf Berlin. Schlüsselpartner auf dem Kontinent ist in diesem Konflikt die Bundesrepublik Deutschland. So waren es die USA, die die Außenminister aus Frankreich und dem Vereinigten Königreich nach Berlin zum gemeinsamen Auftritt der Front gegen Putin zitierten. Annalena Baerbock steht für die USA im Mittelpunkt. Zwar noch unerfahren auf dem diplomatischen Parkett, wird ihr jedoch „ein klarer, moralischer Kompass“ unterstellt. Ihrem mit Spannung erwarteten Besuch bei dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, der gern als bärbeißige Bulldogge auftritt, wird in Washington hohe Anerkennung gezollt. Es sei der Newcomerin gelungen, trotz unterschiedlicher Positionen einen in der Sache harten und konsequenten, dabei gleichzeitig freundlichen Ton durchzuhalten. Lawrow, der in klassischer Gromyko-Tradition gern den Bösen aus den Weiten Russlands gibt, habe im Umgang mit Baerbock fast handzahm gewirkt.
Ohnehin wird Lawrow in Washington unterstellt, über mehr Weltverständnis und Intelligenz als sein Chef im Kreml zu verfügen. Der gebürtige Moskowiter, dessen Äußeres an den britischen Schauspieler Leo G. Carroll erinnert, gilt trotz seiner aggressiven Auftritte als verbindlicher und zuverlässiger Gesprächs- und Verhandlungspartner. Gegenüber Baerbock wirkte er fast schüchtern – auf jeden Fall ungewöhnlich höflich.
Deutschland hat die Schlüsselrolle
Dass der Deutschen im Konflikt um die Ukraine aus Washingtoner Sicht eine Schlüsselrolle zufallen soll, hängt jedoch nicht nur mit ihrem offensichtlichen Geschick im Umgang mit „alten weißen Männern“ zusammen. Vergessen bereits Angela Merkel, der stets ein ambivalentes Verhältnis zum eurasischen Imperium an der Moskwa unterstellt wurde. Anders auch als die SPD gelten die Grünen mit Baerbock und Habeck in den USA als Atlantiker, auf die in der Konfrontation mit Russland Verlass ist. Deshalb die sehr wohl durchdachte Rollenverteilung bei der Belieferung der Ukraine mit Defensivwaffen. Diese Aufgabe übernehmen die USA und Großbritannien. Baerbock kann entsprechende Wünsche aus Kiew freundlich zurückweisen und sich so gegenüber Moskau die Rolle einer unparteiischen Vermittlerin erhalten. Daran, dass eine solche Rolle unverzichtbar ist, soll die Konfrontation nicht aus dem Ruder laufen, gibt es in Washington keinen Zweifel – und auch Moskaus Chefdiplomat scheint dieses akzeptiert zu haben. Wenn die FDP nun dennoch Waffenlieferungen an die Ukraine fordert, dann belegt die Lindner-Partei damit aus Sicht der USA nichts anderes als ihre Unfähigkeit, das große Spiel zu durchschauen. Die Partei des Hans-Dietrich Genscher, die über Jahrzehnte für eine seriöse Außenpolitik stand, hat sich abgemeldet.
Für Frankreichs Selbstdarsteller Emmanuel Macron mag diese Rollenverteilung eine ungewohnte Situation darstellen, wohingegen der Brite Boris Johnson mit seinem Partygate ohnehin gerade ums Überleben kämpft und andere Sorgen als die Außenpolitik hat. Wenn die Außenminister dieser beiden Alt-Alliierten nun bereitwillig dem US-Ruf zum Gruppenfoto nach Berlin gefolgt sind, ist damit die aktuelle Rollenverteilung im Bündnis eindeutig definiert.
Wie reagiert Scholz?
Dennoch wird in Washington mit Interesse auch darauf geschaut, wie der Schulterschluss mit den deutschen Grünen in der deutschen Innenpolitik wirkt. Die SPD des Bundeskanzlers Olaf Scholz gilt jenseits des Atlantiks als „wankelmütig und butterweich“ in ihrer Russland-Politik. Zwar wird gesehen, dass die atlantische Politik der Grünenspitze auch in der ehemaligen Öko-Partei bei manchem Alt-Marxisten auf wenig Gegenliebe stoßen könnte, doch wird auf Robert Habeck gesetzt, der die „isolationistische und weltabgewandte“ Basis mit Öko-Bonbons bei Laune halten soll.
Anders bei der SPD. Scholz gilt als politischer Egomane, als jemand, der großen Wert darauf legt, in allen Bereichen den Hut aufzuhaben. Die grüne Außenpolitik jedoch, die eine unerwartete Dynamik entfaltet, scheint an ihm vorbei zu gehen. Washington rätselt. Nimmt Scholz das unkommentiert hin – und vor allem: Wie gehen die Anti-Amerikaner in der SPD mit dem grünen transatlantischen Schulterschluss um, die – anders als bei den Grünen – eine deutliche Mehrheit in der sozialdemokratischen Parteispitze stellen?
Denkbar, dass dem gebürtigen Osnabrücker die gegenwärtige Rollenverteilung mit Blick auf seine SPD sogar sehr angenehm ist. Wenn Baerbock die US-BRD-Connection im wahrsten Sinne des Wortes auf leuchtendgrün stellt, kann der Kanzler seinen auf rot gepolten Genossen immer noch die durch die Partei abgesegnete Rollenverteilung im Kabinett vorhalten. Motto: Wollte ihr lieber mit US-affinen Grünen oder überhaupt nicht regieren? Angesichts der großzügigen Verteilung lukrativer Posten an verdiente Genossen bedarf die Antwort keines Nachdenkens. Und so hat Baerbock ungewöhnlich freie Fahrt, wenn sie in enger Abstimmung mit Blinken daran arbeitet, die aus Russland drohende Kriegsgefahr in eine langanhaltende, diplomatische Beschäftigung umzuleiten. Bislang, so wird ihr unterstellt, habe sie nichts falsch gemacht. Und gegenüber ihrem Vorgänger aus der SPD sei sie ohnehin in jeder Hinsicht eine Wohltat.