Servus Tichy, wenn ich könnte, würde ich gerne wie Angela Merkel die Zeit um viele, viele Jahre zurückspulen. Ich hätte zum Beispiel das ZDF rechtzeitig verlassen können. Die anständigen Deutschen hätten ganz sicher aufs Sommermärchen verzichtet. Und CDU/CSU wiederum wären Frau Merkel ganz sicher nicht durch Dick und Dünn gefolgt. Das Blöde ist, dass man es immer erst hinterher weiß. Weshalb die „Rückwärtsbetrachtung“ (Seehofer) ungefähr so sinnvoll ist, wie sich von einer Frau scheiden zu lassen, die man erst noch unbedingt heiraten möchte.
I.
Es gibt den rückwirkenden Konjunktiv und den vorausschauenden – zwei ganz verschiedene Fahrradketten, aber eben doch Fahrradketten. Rückwirkend: Hätte Kohl seinen Zapfenstreich nicht überhört, hätte er Schäuble als seinen Nachfolger zugelassen, hätte er keine krumme Parteispendennummer gedreht, würde sich kaum jemand mehr an den Namen Merkel erinnern. Vorausschauend: Würde die CSU auch außerhalb Bayerns antreten, bliebe die AfD eine Randerscheinung. Dies wünschen sich die linken AfD-Bekämpfer. Sie appellieren an die nationale Verantwortung der CSU. Stammt nicht von Franz Josef Strauß das Bonmot, notfalls müssten die Bayern die letzten Preußen sein? Abgesehen davon, dass Seehofer und Söder anders ticken als SPON-Kolumnisten, und niemals die CDU dazu einladen würden, sich im schönen Bayernland auszubreiten.
II.
Die entscheidende Frage ist, wie nachhaltig und unumkehrbar die Parteivorsitzende Merkel die CDU nach Links manövriert und programmatisch entkernt hat. Wird die CDU am Merkelkurs festhalten, auch nach dem Merkelrücktritt, der der Merkeldämmerung folgen muss. Wird die Rolle der Treuesten – Kauder, von der Leyen, Altmaier – mit ihrer Herrin (mir fällt gerade kein gendermäßig korrekter Ausdruck ein) verblassen? Wenn die von ihrer Führerin (besser?) eines gelernt haben, dann dies: Prinzipienlosigkeit als Prinzip. Das Hauptproblem der CDU steckt nicht im C sondern im D. Gibt es noch jemand in dem Laden, der Politik als Beruf anders versteht? Einer Sache zu folgen statt einer Person: Kann mal jemand der Jungen Union erklären, was das bedeutet? Von „Richtung, Ziel und Grundüberzeugung“ sprach die Kanzlerin jetzt. An allem hat es ihr stets gefehlt. Darin besteht der Grundirrtum der Bewunderungspresse; sie hat Merkels Herumgestochere im Zeitgeist für Haltung gehalten. Gegen Gefühle sei mit Fakten schwer anzukommen, behauptet sie jetzt, ohne rot zu werden. Es war aber doch genau umgekehrt. Sie hat Gefühle als Fakten etikettiert. Sie hat immer auf die Gefühlstube gedrückt, ob es um Energie, Euro oder Einwanderung ging. Nun hat sie das „absolut sichere Gefühl“, dass „wir“ aus dieser „komplizierten Phase besser herauskommen, als wir in diese Phase hineingegangen sind.“ Das ist es wieder, ihr Gefühl. Gefühle haben aber die Eigenart, dass sie nie absolut sicher sein können.
III.
Nur Mut! Ganz abwegig ist der Gedanke nicht, dass sich die CDU aus dem Merkelschen Gefühlsverhau befreien könnte. Die Nachmerkel-CDU wird ihre Chance bekommen, und man sollte ihr den Willen dazu nicht von vornherein absprechen. Womit wir wieder bei der CSU wären. Eine bundesweit agierende CSU würde der CDU den Raum nehmen, den sie braucht, um sich neu zu finden. Die Chance auf eine Reprogrammierung der CDU wird mit dem Tempo ihres Verfalls wachsen.
IV.
Es war eine besondere Situation, als der Rausch der Wendezeit Angela Merkel nach Bonn trug. Kohl hinterließ in der CDU zwar auch ein personelles Vakuum, aber kein programmatisches. Merkels Chance kam, als ihre Partei auf den Oppositionsbänken saß. Erst jonglierte sie ein wenig mit liberalem Gedankengut herum, um es bald darauf anstandslos zu verwerfen. Ihre erste Kanzlerschaft verdankte sie Stoibers mangelndem Willen zur Macht und Schröders überheblichem Auftritt nach Merkels erster Wahlschlappe, als sich deshalb die Reihen hinter ihr schlossen. Alles schon vergessen? Wer ihr auch immer aus den Reihen der CDU folgen sollte – er wird sehr wahrscheinlich wieder aus der Opposition kommen. Rot-Rot-Grün drohen auch im Bund. Nur weil die Unionschristen davor eine Heidenangst haben, halten sie Merkel noch aus und hoffen auf irgend eine schwarz-grüne Rettung. Doch eine nur noch machtpolitisch bewegte Ex-Volkspartei hat keine Zukunft.
V.
Im Brachland rechts der CDU wäre theoretisch auch für die FDP Platz, meint mancher Salon-Stratege, der noch nie die Liberalen gewählt hat. Rechts von Merkel aber hat ein Liberaler nichts zu suchen. Liberal ist etwas, was nichts mit der Rechts-Links-Geographie zu tun hat. Liberal wäre die Befreiung von der Staatsgläubigkeit, von der alle anderen Parteien besessen sind. Individualismus gegen Kollektivismus (gleich ob Klasse oder Volk) ist das Gegensatzpaar, an dem sich der politische Liberalismus auszurichten hat.
VI.
CSU-Generalsekretär Scheuer gelang in der Runde der Generalsekretäre nach der Wahl in Berlin eine treffende Formulierung. CDU und CSU würden nun ihre „Gemeinsamkeiten identifizieren.“ Offenbar ist man den Gemeinsamkeiten hinterher wie die Polizei dem Täter. Gibt es noch Fingerabdrücke? Oder ist alles schon verwischt? Wer identifizieren will, muss „die Echtheit einer Person oder Sache feststellen.“ (Duden) Wie wäre es, wenn die CDU erst einmal die Fahndung nach sich selbst ausriefe? Am besten, man hielte sich dabei an eine Identifikationsfigur. Noch ist keine zu sehen.