Ich bin wütend. Wie so oft in den letzten Monaten. Aber jetzt eben noch mehr, weil sich zur Wut auch immer mehr Verzweiflung mischt. Weil ich mich von den Altparteien, vom etablierten Parteienspektrum im Stich gelassen fühle und mit jedem Monat mehr die Hoffnung schwindet, dass sich daran bis 2017 noch etwas ändern wird.
„Wer noch Hoffnung in die Altparteien setzt, dem ist eh nicht mehr zu helfen“ und „Die Alternative, was man stattdessen wählt, sollte mir klar sein.“ höre ich jetzt wieder einige sagen. Aber so einfach ist es für mich nicht. So einfach ist es für viele nicht.
Ich will ganz ehrlich sein: Vor einem Jahr hielt ich die AfD für eine böse, eine gefährliche Partei. Das hörte auf in dem Maße, wie ich auch aufhörte, mir von Seiten der Medien und anderen gesellschaftlichen Teilen einreden zu lassen, ich sei ein Rassist, wenn ich dem Islam und der Flüchtlingspolitik kritisch gegenüberstehe. Danach erachtete ich die AfD (auch aus politikwissenschaftlicher Sicht) sogar als wichtig, weil sie es wie keine andere Partei seit Jahrzehnten vermag, Nichtwähler zu mobilisieren, Menschen das Bedürfnis zurückzugeben, sich politisch einzumischen. Weil sie die anderen Parteien vor sich hertreibt und sie hoffentlich irgendwann wieder dazu zwingen wird, ihr eigenes Profil zu schärfen, wieder stärker die Unterschiede hervorzuheben, sich zu den eigenen alten Werten zurückzubesinnen. Und weil ich es aus tiefstem Herzen für wichtig halte, dass sich die Menschen noch parlamentarisch vertreten fühlen. Dass es gerade das ist, was sie vor der Radikalisierung, dem Abdriften in Extreme bewahrt. Dass es ein bisschen so ist, wie mit dem Meinungsjournalismus. Dass es schon beruhigend ist zu wissen, dass es da noch Leute gibt, die dieselbe Meinung vertreten und sich für diese auch einsetzen.
Da wäre zum Beispiel der Lichtenberger Abgeordnete Kay Nerstheimer zu nennen, der nicht nur 2012 Mitglied der als rechtsextrem geltenden German Defence League war, sondern darüber hinaus auch immer wieder durch seine teils widerlich homophoben Äußerungen bei Facebook auffiel. So bezichtige er u.a. eine Userin „selber zu dieser degenerierten Spezies (gemeint sind Homosexuelle)“, zu gehören und kam auch nicht drum herum, Homosexuelle als widernatürliche Erscheinungen zu bezeichnen, die die Natur durch die nichtvorhandene Möglichkeit der Fortpflanzung aus dem System löschen würde.
Oder der Spitzenkandidat der AfD im Saarland, Rudolf Müller, der in seinem Antiquitätengeschäft gerne auch mal Hakenkreuz-Orden und Geld aus Konzentrationslagern verkauft. Zwar hatte man innerhalb der AfD eigentlich schon vor einiger Zeit beschlossen, den saarländischen Landesverband aufzulösen, nachdem bereits im vergangenen Jahr Kontakte der beiden Landesvorsitzenden ins rechtextreme Milieu bekannt wurden. Hierzu ist es allerdings durch ein partieinternes Schiedsgericht bis heute nicht gekommen.
Und selbst wenn man Müllers naiver Aussage, nach der er nicht gewusst haben will, dass der Verkauf solcher Orden in Deutschland unter Strafe steht, glauben schenken will und auch wenn in Berlin bereits verkündet wurde, dass die AfD-Fraktion ohne Nerstheimer ins Parlament einziehen werde, bleibt ein bitterer Nachgeschmack bestehen, der sich zumindest für mich nicht einfach wegdrängen lässt.
Machtkämpfe ignorieren?
Denn Tatsache ist, dass diese Leute es bis zu diesem Punkt geschafft haben. Dass sie niemand aufgehalten hat, dass sie aufgestellt worden sind. Parteiintern, so viel steht fest, ist der Kampf zwischen genau jenem Flügel und den verbleibenden liberaleren Kräften, die es zweifelsohne genauso gibt, in vollem Gange. Das Problem: Es geht auch und vor allem in der Führungsspitze um Macht und weniger um Inhalte. Mehrheiten besorgt man sich, so scheint es, vor diesem Hintergrund auch gerne aus dem zweifelhaften rechtsextremen Lager. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass eine hochintelligente Frau wie Frauke Petry sich derart mit Äußerungen über den Begriff „völkisch“ vergreift? Man weiß sehr genau, dass man damit öffentlich einen Shitstorm erntet, aber man nimmt ihn in Kauf, um Mehrheiten zu generieren, wo es eigentlich dringend geboten wäre, sich klar von diesem Flügel zu distanzieren. Besonders, wenn man auf lange Sicht anstrebt, zur Volkspartei zu avancieren und sich auch andere Wählerschichten zu erschließen.
Momentan, so scheint es jedenfalls von außen, scheint der radikale Flügel der Partei sich gegen den Rest durchzusetzen. Auch, weil viele liberale Kräfte bereits mit Lucke, der selbst nicht unbedingt als Parade-Liberaler gilt, die Partei verlassen haben,
Und genau deshalb bin ich so wütend. Nicht wegen der AfD, die eben wie jede neue Partei ihre Grabenkämpfe erst noch ausfechten muss. Nicht wegen ihres Parteiprogrammes, was nicht meines ist, weil ich mich weder mit der Familien-, noch mit der Klimapolitik, dafür aber umso mehr mit der Islam- und zu großen Teilen mit der Wirtschaftspolitik identifizieren kann. Nein, ich bin wütend auf die Altparteien, die mir keine Alternative zur Alternative bieten. Die mich mit meiner bereits vor Monaten beschriebenen politischen Heimatlosigkeit einfach im Stich gelassen haben und sich nicht mal darum bemühen, irgendetwas an dem Zustand, den außer mir viele andere genauso empfinden, zu ändern. Ein Blick in die Talkshows dieses Landes verrät bereits, dass ihr nicht Willens seid.
Ich war nie Nazi, nie Rassist, nie Konservative. Ich bin Liberale und ich würde so gerne liberal wählen. Aber ich kann es nicht. Weil es nichts wirklich Liberales in Deutschland gibt. Weil ich mit den vermeintlichen Liberalen nur die gleiche Politik wie vorher wählen würde. Weil ich damit nicht den wehrhaften Liberalismus wähle, den es braucht, sondern jenen toleranzbesoffenen, der uns am Ende alles kostet. Weil in der FDP mittlerweile Leute Positionen besetzen, die ich für Linke hielt, bis sie mir sagten, dass sie bei der FDP seien. Weil ALFA und alle anderen Parteien, die mir in den letzten Monaten noch aufgezählt worden sind, keine Chance auf den Einzug in die Parlamente haben und meine Stimme dann vergebens ist. Kein Gehör findet und einfach untergeht. Und weil es unter den anderen Altparteien noch viel weniger Liberale, sondern nur noch Umverteiler, Multi-Kulti-Illusionisten und seit jeher Berufspolitiker gibt, die wenig gemein haben mit der Lebensrealität der meisten Menschen hierzulande.
Ja sagt mir doch, was mir am Ende noch übrigbleibt, wenn ich das alles so nicht mehr will? Wenn ich will, dass dem konservativen Islam in Deutschland Einhalt geboten wird, wenn ich Zuwanderung steuern und die Wahnsinns-Flüchtlingspolitik der Kanzlerin beendet wissen will? Was bleibt mir außer der AfD, die ich eigentlich nicht wählen kann, nicht wählen möchte, so lange Leute wie Nerstheimer, Höcke und Müller in ihr sind, wenn ich euch keinen Zentimeter mehr über den Weg trauen kann?
Wütend, weil ihr mir keine Wahl lasst
Ja, ich bin wütend auf euch, weil ihr mir keine Wahl lasst. Weil ihr mir keine Optionen anbietet. Weil ihr die Alternative für so viele Menschen in Deutschland alternativlos macht. Weil ihr nicht lernt aus euren Wahldebakeln. Weil ihr euch immer noch Blumensträuße reicht und eure Siege feiert, die längst keine mehr sind. Und weil ihr nichts über die Lebenswirklichkeit der Menschen wisst, die tagtäglich die Auswirkungen dieser Politik zu spüren bekommen. Die nicht der arbeitslose Sachsen-Ronny sind, der angeblich Angst hat, dass man ihm was wegnimmt, sondern Unternehmer, Juristen, Ärzte, Lehrer, denen es nicht um das Wegnehmen geht, sondern um die Veränderung dieses Landes zum Negativen.
Was soll ich also tun? Ich kann doch keine Partei wählen, die Rassisten und Homophobe in ihren Reihen duldet, sie sogar zu Kandidaten macht. Aber auch niemanden von euch, wo kein einziger ernsthaft Willens ist, den Wahnsinn zu stoppen, wo alle weiter mit Vollgas auf den Abgrund zurasen. Wo ich keinem mehr glauben kann.
Es macht mich wütend, dass ich mich fragen muss: Worum geht es am Ende eher? Um die eigenen Bauchschmerzen beim Wählen einer Partei, die Rassisten in ihren Reihen duldet oder um die Bauchschmerzen, die man hat, wenn all das hier so weitergeht, wenn man sich mitschuldig macht. Was wiegt schwerer? Temporär Menschen seine Stimme zu geben, die illiberales Gedankengut in sich tragen oder der vollkommene Verlust der Freiheit, der am Ende der Duldung des Postsäkularen stehen wird? Muss ich meine Ideale erst verraten, um sie langfristig erhalten zu können?
Offensichtlich ja und vielleicht ist es am Ende, wie Karl Popper sagt: Dass die Frage danach, wer herrschen soll, nicht die Richtige ist. Dass es schon genügt, eine schlechte Regierung abwählen zu können, um Demokratie zu definieren.