Tichys Einblick
Öffentliche Verwaltung überfordert

Beamtenbund-Chef Silberbach: „Regierung hat Bodenhaftung verloren“

Deutschland ging es über Jahrzehnte gut, und die Wirtschaft florierte. Auch, weil Deutschlands Verwaltung bestens funktionierte, gar international zu einem Vorbild wurde. Ulrich Silberbach bestätigt nun, dass es heute anders ist.

Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach

IMAGO / Christian Ditsch

Mit drastischen Worten hat Ulrich Silberbach soeben in einem Interview mit der FAZ die Probleme des öffentlichen Dienstes charakterisiert. Der „Laden“, gemeint ist der Staat, fliege Deutschland bald um die Ohren, weil eine abgehobene Politik der staatlichen und kommunalen Verwaltung immer neue Aufgaben aufhalse, ohne die Rahmenbedingungen dafür anzupassen.

Ulrich Silberbach (60) ist nicht irgendwer, auch wenn man ihn nicht täglich in den Medien findet. Er ist Vorsitzender des 1,3 Millionen Mitglieder zählenden „DBB Beamtenbund und Tarifunion“. Und er weiß, wovon er spricht: Früher war er im Kölner Ordnungsamt tätig. Weil Silberbachs FAZ-Interview hinter einer Bezahlschranke steckt, geben wir hier einige Kernaussagen daraus wieder:

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Silberbach sorgt sich um einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen frustrierenden Erfahrungen, die Bürger mit schwerfällig wirkenden Behörden machen, und einem abnehmenden Vertrauen in staatliche Handlungsfähigkeit und Politik. In letzter Konsequenz zeige sich das in der steigenden Zahl von Fällen an Respektverlust, Verrohung und Gewalt, die etwa Polizisten, Sanitäter oder Feuerwehrleute bei ihren Einsätzen erleben. Eine wichtige Ursache sei, dass politisch allzu oft mehr versprochen werde, als die öffentliche Verwaltung objektiv leisten könne.

Silberbach nennt als aktuelles, demnächst womöglich anstehendes Beispiel eine Impfpflicht. Wenn so eine Impfpflicht komme, müsse präzise geklärt sein, wie sie umgesetzt werde: mit welchen Instrumenten, welchen Sanktionen, welcher Bürokratie. Da reiche es nicht, wie Kanzler Scholz zu sagen, das Ganze solle unbürokratisch umgesetzt werden. Denn: Solle etwa das Ordnungsamt an jeder Haustür klingeln und Impfnachweise kontrollieren? Und was sei, wenn keiner öffne?

Silberbach wörtlich: Eine Politik, die sich nicht bequemt, solche Fragen zu beantworten, sei „Schaufensterpolitik“. Gerade hier, so Silberbach, verliere die neue Bundesregierung die Bodenhaftung. Er spricht gar von einer „Spielart politischer Verantwortungslosigkeit“. Die Bundesregierung verkenne, dass der Staat – so wie er jetzt aufgestellt ist – nicht in der Lage sein werde, das umzusetzen, was sie auf den Weg bringen wolle.

Als anderes Beispiel nennt Silberbach das Thema Gebäudesanierung für den Klimaschutz. Hier solle es nun einen neuen Katalog an Vorschriften geben, um privaten Hauseigentümern und Unternehmen anspruchsvolle neue Pflichten aufzuerlegen, die natürlich zu prüfen und zu kontrollieren seien. Zugleich sei der Staat bei seinen eigenen Gebäuden – Schulen, Finanzämtern und dergleichen – alles andere als ein Vorbild.

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Drei Ursachen für die Überforderung der öffentlichen Verwaltung und für den Verlust des Vertrauens in diese Verwaltung sieht Silberbach: Erstens halte die Personalausstattung der Verwaltung mit den ambitionierten Vorhaben nicht Schritt, etwa im Bereich Klimaschutz, Digitalisierung, Diversität und mehr. Schon heute würden 330.000 Beschäftigte fehlen, um alle politisch vorgegeben Aufgaben sinnvoll zu erfüllen. Zweite Ursache sei die verschleppte Digitalisierung von Behörden und Verwaltungsabläufen. Drittens: Abläufe und Antragsverfahren seien zu kompliziert. Um Spielraum für andere Aufgaben zu gewinnen, müssten Abläufe und Antragsverfahren spürbar einfacher werden.

Zum Beispiel mit dem „Once-Only-Prinzip“: Warum solle man Daten und Nachweise, die dem Staat und seinen Behörden schon vorliegen, immer wieder neu einreichen müssen? Bis heute sei es zudem nicht flächendeckend möglich, einen Bauantrag für eine neue Werk- oder Lagerhalle digital zu stellen; Baupläne müssten noch immer als dicke Papierrollen eingereicht werden.

Ergänzung: Gar nicht zur Sprache kamen im Interview – wohl aus Gründen der „political correctness“ – die enorm gestiegenen Belastungen der öffentlichen Verwaltung durch eine ungeregelte Zuwanderung und Asylanträge. Seit spätestens 2015 und der im damaligen Herbst von Merkel willkürlich entschiedenen Grenzöffnung pfeifen die Ausländerämter und die Jugendämter, die Verwaltungsgerichte ohnehin, aus dem letzten Loch.

Vor all diesen Hintergründen wäre es billig und wohlfeil, über die öffentliche Verwaltung und die dort Beschäftigten zu spotten. Gewiss gibt es dort – wie in jedem Beruf – Flaschen. Und gewiss genießen die dort Beschäftigten einen weitreichenden Kündigungsschutz. Gerade in Zeiten Corona-bedingter Wirtschaftsflaute ist das viel wert. Aber eines ist auch klar: Deutschland ging es über Jahrzehnte hinweg gut, und die Wirtschaft florierte, weil Deutschlands Verwaltung bestens funktionierte, gar international zu einem Vorbild wurde.

Wo personalpolitisch indes geklotzt wird

Das droht vor Ort wegen immer neuer Aufgaben und wegen Personalmangels vorbei zu sein. Außer ganz oben, da wird geklotzt.

Beispiel 1: Die neue Bundesregierung will in den Ministerien und im Kanzleramt 148 neue (hochdotierte) Stellen schaffen. Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) soll allein 24 zusätzliche Planstellen zur „Erarbeitung und Umsetzung ambitionierter Maßnahmen im Bereich Klimaschutz“ bekommen.

Beispiel 2: Seit dem Amtsantritt des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder im Jahr 2018 hat sich die Zahl der Beschäftigten in dessen Regierungszentrale von 410 auf 576 Personen erhöht, Die Personalausgaben für Söders Staatskanzlei sind damit um gut 40 Prozent auf 42,2 Millionen gestiegen.

Beispiel 3: Verantwortlich für immer neue Regelungen, die vor allem die kommunalen Verwaltungen belasten, ist die EU-Kommission. Dort sind 32.000 Leute beschäftigt. Womit eigentlich?


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