Über die Maßen selbstbewusst, immer einen Takt zu schnell sprechend, etwas überdreht wirkend, dabei immer ein bisschen frech und herausfordernd – so kennt man Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock aus Talkshows und anderen öffentlichen Auftritten. Nach ihrem Gespräch mit Putins Außenminister Sergej Lawrow war das anders. Baerbock wirkte wesentlich konzentrierter als sonst. Verglichen mit der Routine und der einstudierten Attitude des westlichen Parketts mit seinem Small-Talk, betrat sie in Moskau wirkliches Neuland. Mit Sergej Lawrow saß ihr ein mit allen Wassern gewaschener Profi der internationalen Diplomatie gegenüber. Seit fast 20 Jahren in Diensten seines Herren, zuerst als russischer UN-Botschafter und dann 19 Jahre als Außenminister, gehört Lawrow zwar nicht zu Putins engsten Kreis, aber immerhin zur politischen Elite des Kreml.
Natürlich wusste er, dass das Gespräch mit der „jungen Frau“ nicht zu konkreten Ergebnissen führen würde. Die Position Deutschlands in der Welt und auch ihre Position gibt das einfach nicht her. Außerdem hatte die deutsche Außenministerin mit ihren Statements zu Russlands Verhalten gegenüber der Ukraine und ihrer Kritik an der Nord Stream 2 Pipeline schon demonstriert, was sie von der russischen Führung hält.
Die Haltung der russischen Obrigkeit gegenüber Frauen dürfte sich heute nicht viel von der unter Stalin oder an den Zarenhöfen unterscheiden. Während der frühen Putin-Jahre, in denen ich als Journalist in Moskau arbeitete, begrüßten sich höhere Funktionäre oder Spitzenkader des KGB häufig mit anzüglichen Witzen. Einer davon lautete so: „Was haben die Sicherheitsberaterin des US Präsidenten, Condelizza Rice, und die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, gemeinsam?“ Lösung: „Beide sind noch Jungfrauen“. Brüllendes Gelächter in der Runde. Die russische Gesellschaft ist eine durch und durch patriarchalische. So ist es russischen Männern sogar nach dem Gesetz erlaubt, ihre Frauen „bis zu einem gewissen Grad“ zu züchtigen. Putin selbst hatte diese Formulierung wieder ins Gesetzblatt gehoben, nachdem sie unter Gorbatschow bereits getilgt worden war.
In fast jedem anderen Land hätte Baerbock die Rolle der Frau angesprochen. In Russland, China und Saudi Arabien dürfte dies der zuhause überzeugten Feministin wohl gar nicht erst in den Sinn kommen.
Beide Seiten können nach dem Zusammentreffen zufrieden sein – nach dem Motto: „We agree to disagree“. An einer Stelle während der Pressekonferenz musste ich an ein Interview mit Russlands Präsidenten Putin wenige Monate nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 denken. Nach einem unerwartet langem Gespräch für die „Welt am Sonntag“ fragte mich mein Gegenüber am Ende plötzlich: „Warum gehen die Deutschen so schäbig mit einem Mann wie Helmut Kohl um, der doch für sein Volk so viel geleistet hat?“ Ich antwortete: „Herr Präsident, vielleicht weil die Deutschen vor dem Hintergrund ihrer jüngeren Geschichte jedes Gefühl für geschichtliche Größe verloren haben.“
Dies kam mir in den Sinn, als Deutschlands Außenministerin feststellte, dass Deutschland und Russland seit 75 Jahren in Frieden miteinander leben würden. Baerbock vergaß, dass dies nicht für alle Deutschen gelten kann. In der DDR waren es die Sieger, die eine erneute Diktatur etablierten, an deren Grenzen auf Menschen wie auf Hasen geschossen wurde. Vielleicht sollte man im Auswärtigen Amt ein Mal im Monat die Geschichte des eigenen Volkes unterrichten.