Ach, warum immer schimpfen? Und weshalb im Vorfeld schon wieder die rote Karte ziehen, nur weil die Erfahrung lehrt, dass die Big-4 der öffentlichen-rechtlichen politischen Talkshows nur wieder der großen Koalition den Wassereimer tragen?
Schaut man, wen Sandra Maischberger dieses Mal auffährt, dann muss das doch mal zu einer erquicklichen Unterhaltung mit Mehrwert reichen. Man will über die Kanzlerin sprechen, über die Volksparteien, über Merkels Fehler in der Flüchtlings- bzw. Einwanderungs- bzw. Zuwanderungspolitik. Schlichte Facebook-Gemüter sprechen von Mobbing, wenn man einfach nicht mehr damit aufhören mag, der CDU-Kanzlerin ihre anhaltende Katrin-Göring-Eckardt-Agenda vorzuhalten.
Klingt doch erst einmal gut, wenn zwei Vertreter der GroKo den Galionsfiguren der beiden neuen potentiellen Volksparteien, wenn sie Wagenknecht und Petry gegenübergesetzt werden, nur getrennt noch von Albrecht von Lucke, der zuletzt bei Illner mit seinem Maschinengewehr-Sprech auffiel und der meinte, die Zuwanderung sei eine „epochale Aufgabe“, wo man die Frage stellen könnte an Frau Merkel: „Ist das zu bewältigen?“
Doppeltes Lottchen mit DDR-Kinderstube
Die direkte Begegnung der beiden Damen im Ring dürfte spannend werden. Die gute Sahra Wagenknecht wird sich wohl erst einmal in Abgrenzung üben müssen gegenüber der AfD-Vorsitzenden. Zu sehr hängt ihr die eigene Zuwanderungskritik wie ein Mühlstein um den Hals, was ja bekanntlich dazu führte, dass ihre Partei eine Acht-Punkte-Erklärung formulierte, die versicherte, dass die Linke auch weiterhin Asylrechts- und Strafrechtsverschärfungen konsequent ablehne. Ein denkwürdiger Vorgang.
Aber die sozialistische und die national Karte in einem Blatt, das ist dann eben ein Stich zuviel auf der Hand für die Söhne und Töchter Marx’. Dabei hatte doch Wagenknecht, die von sich sagt, sie möchte Ludwig Erhard zu Ende denken, längst den ollen Vollbart gegen den ollen Adenauer getauscht, die Liebe zur Kommunistischen Plattform gegen jene nicht weniger altbackene für die Wirtschaft der Bonner Republik. Also den Turbokapitalismus gegen die Soziale Marktwirtschaft unserer Gründungsväter.
Aber starten wir doch mit einer vernünftigen Aussage, die zu diskreditieren für die Vertreter der beiden etablierten Volksparteien, für Katarina Barley (SPD) und Politsenior Peter Radunski (CDU) sicher schwer sein dürfte. Starten wir mit dem Stein des Anstoßes der Fraktionsvorsitzenden der Linken in deutschen Bundestag: „Ich glaube aber, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht ist, dass man von Menschen, denen man Schutz gewährt, auch erwarten kann, dass sie die Regeln unseres Landes respektieren.“ Und weiter: „Selbst die Genfer Flüchtlingskonvention besagt doch, dass es einerseits die Verpflichtung gibt, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, und dass andererseits die Flüchtlinge aber auch die Pflicht haben, sich an die Regeln und Gesetze des sie aufnehmenden Landes zu halten“, sagte jedenfalls die Linken-Politikerin.
Halbzwölf – später Start in die Talk-Nacht
Also, Tango zwischen der feschen roten Carmen und dieser taffen Dresdner-Düster-Jeanne-D’arc. Die Schnittmenge derer beider Rosenkavaliere im Volk ist erstaunlich groß. Aber ob die Petry in Zukunft der Wagenknecht das Wasser reichen kann – man wächst ja an seinen Aufgaben – bleibt fraglich. Immerhin hatte sie es geschafft, die Turbokapitalismusanhänger der Partei gleich gemeinsam mit Bernd Lucke mit dem AfD-Reinigungsbade auszuschütten. Ist die Petry aber deshalb schon Teilzeit-Sozialistin? Nationaler als Wagenknecht auf jeden Fall. Für alles andere dürfte ihre verbale Waffenkammer zu mager aufgestellt sein. Schauen wir also mal, was das mit den beiden wird. Also rasch die Tüte Salzbrezeln aufgerissen, los geht’s.
Sandra Maischberger eröffnet mit der Frage an Frauke Petry, ob diese eine Kanzlerin erlebt hätte, die sich entschuldigt hat. Für Petry täuscht nichts darüber hinweg, dass die Entschuldigung ein Befriedungssignal an die Union gewesen ist, sie sehe aber nicht, dass sich die Politik geändert hat. Zunächst fällt hier auf, dass die Vorsitzende der AfD erschöpft aussieht. Oder man will es sehen, weil man um die internen Machtkämpfe weiß? Sahra Wagenknecht erinnert daran, das Merkel ja längst den Kurs in der Flüchtlingspolitik geändert hat. Sie ist sich allerdings einig mit Petry, dass über die Köpfe der Menschen hinweg Politik gemacht wird.
Katarina Barley, dieses rheinische Funkenmariechen der SPD, die Generalsekretärin der Partei, fragt sich, ob die CSU noch Volkspartei oder schon Populistenpartei sei. „Wer den Sprech der Populisten bedient, der schürt die Verunsicherung.“ Ach ja, das ist dieser nicht gerade neue Versuch, der AfD über die Sprache an den Karren zu fahren, aber ob das Wirkung zeigt bei den Menschen, darf zu Recht angezweifelt werden. Was kommt als nächstes? Extensive Graphologie?
Kommen wir zu Peter Radunski, der 1939er Jahrgang hat schon mit Helmut Kohl über dem Kartentisch gesessen bei zünftiger Erbsensuppe, er spielt heute so etwas wie den Alterspräsidenten der Runde: Wer meinen würde, das Merkels Rede ein Ende ihres Standpunktes sei, der irrt. (…) Die CSU würde im Übrigen sowieso einlenken, man hat ja für Bayern schon erreicht, was man erreichen wollte.
Postfaktische Zeiten
Nu kommt Schnell-Talker Albrecht von Lucke. Der sieht keine Entschuldigung bei Merkel. Die hätte ja klar gemacht, wo – besonders in Richtung AfD – ihre Grenzen liegen. Dann greift er Wagenknecht an und wirft ihr vor, sie gäbe den Seehofer. Na, das ist ein guter Anfang. Hoffentlich würgt Maischberger da alles im Laufe des späten Abends nicht ab. „Wir leben in postfaktischen Zeiten.“ Fakten gelten nicht mehr. Gut, aber was hat der zweite Rheinländer in der Runde eingenommen vor der Sendung? Man sollte es jedenfalls zur Pflichteinnahme machen für alle Teilnehmer solcher Sendungen.
Petry und Wagenknecht einträchtig auf einem 2er Sofa – das sieht schon Klasse aus. Wie Petry die Wagenknecht freundlich beäugt, dass hat fast was von WG-Kumpanei. Da hat es die Barley gegenübersitzend schwer. Sie wirkt nun fast wie das spielverderbende Hausmütterchen aus den alten Volksparteien. Aber bleiben wir fair, wer möchte schon so eine Perspektive einnehmen, noch dazu, wo der Türsteher der SPD, wo Sigmar Gabriel ihr nicht zur Seite stehen kann, wie sonst überall, wo Barley so flatterich an die Mikrofone tritt.
Von Lucke spricht aus, was längst für alle erkennbar ist, nämlich das Frau Petry gar nichts sagen muss, das erledigt hier Sahra Wagenknecht. Für die Ikone der Linken sei doch die SPD immer Mitglied eines neoliberalen Kartells. Frau Petry hätte die gleiche Diktion. Petry würde die SPD heute kritisieren, weil sie ihr nicht sozial genug sei, wo sie selbst noch vor kurzer Zeit den Mindestlohn abgeschafft haben wollte. Nochmal: ein Klasse Wachmacher dieses journalistische Maschinengewehr. Nicht zuerst inhaltlich, aber stilistisch. Die Damen staunen wie Zirkusbesucherinnen, wenn der Clown den lustigen Kasper aus dem Hut zaubert.
Auf dem Sofa lümmeln
Frau Petry ist dran: Die Volksparteien würden die Verankerung im Volk verlieren, weil sie mit den Leuten nicht mehr Klartext reden: “’Wir schaffen das‘ ist der populistischste Satz, den ich in den letzten Jahren gehört habe.“ Deutschland hätten Ende Juni fast die gleichen Flüchtlingszahlen wie im Juni letzten Jahres, das zu leugnen, sei nun Mal Populismus. Dem Bürger werde nicht die Wahrheit gesagt, die AfD sei also als Korrektiv so nötig wie nie zuvor. Korrektiv? Das ist doch Gysi/Lafontaine-Speech. Das müsste doch mindestens Frau Wagenknecht bekannt vorkommen. Und besonders originell ist es leider auch nicht, da muss noch deutlich mehr passieren, damit der Zuschauer um jetzt 0:00 Uhr wach bleibt.
„Die Seele unserer Partei heißt, das wir eine Volkspartei seien wollen. Eine Partei, die sich um das große Ganze kümmern will“ erdet Alt-CDUler Radunski die Runde. Die Volkspartei an sich sei doch eine große Errungenschaft. Frau Wagenknecht moniert sofort Radunskis „große Ganze“, es gäbe doch gegenseitige Interessen. Die SPD hätte doch früher noch die Interessen der einfachen Leute vertreten. Das sei was anderes, als das große Ganze. Dafür lächelt Frauke Sahra an. Aber der gefällt das nicht, also erinnert sie ihrerseits daran, dass in Berlin ein echter Nazi für die AfD ein Direktmandat gewonnen hätte. Und schon ist er dahin, der Sofafrieden. Petry erwidert schwach, es wären auch vielen Linksextreme bei den Linken. Als wenn das irgendwas relativieren könnte.
Maischberger nimmt Wagenknechts rüden Ball natürlich dankbar auf. Und Zack kommt der erste AfD-Nazi-Einspieler. „Die AfD, eine Nazi-Reloaded-Partei?“, fragt der Einspieler. Barley findet es jetzt doof, über die AfD zu reden. Maischberger beharrt darauf, das zu klären. Scheint auf ihrem Ablaufzettel ganz oben zu stehen. Also auf dem, den sie immer dabei hat. „Jetzt wäre ich gerne beim rechten Rand“, sagt Maischberger. Der erste gute Gag des Abends. – Muss an der Uhrzeit liegen. Petry bleibt aber entspannt. Solche Dinge kläre man innerparteilich.
„Die Volksparteien haben nicht mehr die Akzeptanz der Bürger.“, erklärt Petry. Und das würde sich solange fortsetzen, solange die Bürger nicht ernst genommen werden. Dann will von Lucke wieder eine seiner Salven abfeuern, aber Maischberger hat noch einen AfD-Einspieler im Köcher. Und tatsächlich: Björn Höckes „Tausend Jahre Deutschland“ kommt, dann Gaulands Boateng-Blödsinn und von Storchs Nationalmannschafts-Twitter folgt. Ja, dass wäre schade, wenn das jetzt die Linie der Sendung werden soll. Und schon folgt der Maischberger Unterbrechungsreigen Richtung Petry, den wir schon aus der unsäglichen Maischberger-Sendung mit Augstein als Pöbel-Journalist erinnern.
Rheinische Küchenpsychologie für Ex-DDR-Frauen
Wagenknecht zankt sich jetzt auch noch ein bisschen mit Petry. Aber das wirkt dann doch mehr wie ein Show-Kampf. Wrestling statt echtes Boxen. Sie erinnert daran, dass die AfD früher keine Sozialpartei war, dass man sich jetzt aber nach rechts öffnen würde. Hä? Das klingt zunächst merkwürdig. Oder dann doch wieder nicht, wenn man sich an Wagenknechts mini-nationale Rückbesinnung in Sachen Zuwanderung erinnert. Barley psychologisiert dazu aus der Küche: Es tut mir leid, aber die SPD-Frau wirkt nicht besonders helle. Klingt alles, wie aus der strickfreudigen Bezirksratssitzung. Ist ja nicht schlimm, aber sie gefällt sich auch noch dabei, wird richtig quasselig. Unangenehm. Petry lächelt. Sahra auch. „Wir sind die einzige Partei die sich wirklich rational mit den Vor und Nacheilen des CETA-Abkommens auseinandergesetzt hat.“ Selbst die CDU hätte den Kopf eingezogen. Ähm, hat da jemand kurzfristig das Thema der Sendung aus dem Auge verloren? Oder Vorwahlkampf? Schon vergessen, dass auch die SPD in der GroKo Regierungspartei ist?
Noch ein Einspieler. Nein, dieses Mal kein best-of AfD, sondern Radunskis Rolle am Sofa wird eingeleuchtet. Der nämlich rät der CDU, der AfD Koalitionen anzubieten: „Mit der AfD muss man umgehen, wie mit jeder anderen Partei.“ Na, das muss doch nun der Petry gefallen, oder doch nicht? „Macht er die Rechtspopulisten damit hoffähig?“ fragt die Off-Stimme.
„Sachsen-Anhalt: Bündnis aus Schwarz, Rot und Grün, wäre es da nicht einfacher gewesen, die beiden bürgerlichen Partein CDU und AfD gehen zusammen?“, fragt Maischberger, nicht ohne vor bei „bürgerlich“ ein bisschen zu würgen. Radunski rudert nun zurück, der Protestwähler würde die Bundestagswahlen doch viel ernster nehmen. Diese Hürde müsse die AfD erst einmal überwinden. Man müsse aber mit der Tabuisierung aufhören. Das gelte übrigens für alle Seiten. Auch für das Verhältnis der SPD den Linken gegenüber. Bei sechs Parteien müsse das aufhören, wenn zwei Parteien nicht mehr gemeinsam die 50 Prozent überschreiten würden. „Bei der AfD müssen wir mal die Entwicklung abwarten“, meint Radunski. „Die AfD wird auf Dauer integriert werden ins Parteiensystem wie schon die Linke und die Grünen. Was habe ich für Kampagnen gegen die Grünen gemacht.“ Später hätte er dann trotzdem mit Joschka Fischer beim Wein gesessen, grinst der gute Alte.
Das ist natürlich Klasse. Weiß der gute Mann überhaupt, was er da zum Besten gibt? Dass sollte der AfD aber keine Hoffnung machen, sondern eine echte Warnung sein. Die Etablierten spielen mit gezinkten Karten, soll das heißen. „Sie sind auf eine Goldader gestoßen“, erklärt Radunski Frau Petry. „Sie redet mit dem Volk so, wie es redet“. Die Goldsucherin staunt. Da redet einer, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Ein zweiter Gauland, mag Petry jetzt denken, nur besser. Es ist herrlich. Wenigsten hier für hat es sich gelohnt, wach zu bleiben.
Der Druck ist vom Kessel
Von Lucke war ein paar Minuten sprachlos. Schießt dann aber doch weiter. Und er wird zum größten Kritiker der AfD. Und er ermahnt Maischberger wegen ihres – aus seiner Sicht: Fauxpas – von einer „bürgerlichen“ AfD zu sprechen. Er sieht die AfD noch lange nicht im normalen bürgerlichen Common Sense angekommen. Zuviel Rechtsradikale in allen Landesverbänden – ergänzt wieder Wagenknecht. Die sieht noch nichts Produktives dort, wo die AfD schon überall hineingewählt wurde.
Tja, nun verplempert es alles irgendwie wieder. Jeder hat seinen individuell aufgestauten Druck vom Kessel gelassen. Petry muss noch die angesammelte Kritik der Runde abarbeiten, tut sie auch und dann kommt auch von ihr nicht mehr viel. Die AfD wird sich im Moment nicht als Juniorpartner anbieten, erklärt sie immerhin noch. Solange die anderen mit der AfD grundsätzlich nicht zusammenarbeiten wollen, werden Partnerschaften eben schwer. Na ja.
Dann werden die möglichen Koalitionen durchgearbeitet. Man hat also 2017 schon fest im Blick. Katarina Barley erwähnt die grundsätzlichen Anti-SPD Haltung der Linken, Radunski spricht den Linken außenpolitische Kompetenz ab, man würde nur in den Länderparlamenten bestehen können und dann weiß man wieder, warum Wagenknecht und Petry auf dem selben Sofa sitzen, dort, von wo aus man die Kollegin Barley richtig doof finden darf.
Und nächstes Mal geht es um Internet und sexuellen Missbrauch erklärt Maischberger dann noch, als ob sie sagen wollte: Das könnte dann unterhaltsamer werden. Wer’s glaubt …