Tichys Einblick
DEUTLICH GERINGERES WACHSTUM

Im europäischen Vergleich sieht Deutschlands Wirtschaftsplus mager aus

Italien erwirtschaftete im Jahr 2021 laut Schätzungen ein Wirtschaftswachstum von 6,2 Prozent, Frankreich rechnet mit 6,3 Prozent, Spanien mit 5,7 Prozent. Deutschland freut sich über magere 2,7 Prozent. Interessant: Etwa 0,5 Prozent werden dem Impfstoffhersteller Biontech zugerechnet.

Konzernzentrale von Biontech in Mainz

IMAGO / Hannelore Förster

Nach amtlichen Schätzungen des Statistischen Bundesamts ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2021 um 2,7 Prozent gewachsen. Ursprünglich hatten Ökonomen mit einem Plus von rund vier Prozent gerechnet. Die Bundesregierung hatte ein Wachstum von 3,5 Prozent erwartet. Grund für das Minus sei die vierte Corona-Welle mit weiteren Einschränkungen im Kampf gegen die Virus-Pandemie, heißt es. Im Vergleich dazu: 2020 sank das Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt um 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2019, wie das Statistische Bundesamt berichtete.

Offiziell wird kolportiert, das geringer als erwartete Wachstum habe mit Lieferengpässen zu tun, wonach viele Betriebe in der Automobilindustrie, der Elektroindustrie oder im Maschinenbau leiden. Doch beispielsweise Italien erwirtschaftete 2021 laut Schätzungen ein Wachstum von 6,2 Prozent. Was die Frage aufwirft, ob Italien nicht auch unter Lieferengpässen leidet; schließlich treffen Lieferengpässe nicht nur Deutschland oder Italien, sondern sind offenbar global zu beobachten.

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Dazu noch eine genauere Betrachtung: Im 2. Quartal 2021 wuchs Italiens Wirtschaft um 2,7 Prozent. Bereits im 1. Quartal 2021 wurde über ein Wachstum berichtet. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum 2020, als für Italien nahezu eine Katastrophe heraufbeschworen wurde, die auch den Wiederaufbaufonds der EU rechtfertigte, gab es in Italien ein Plus von 17,3 Prozent beim BIP. Sicherlich, im gesamten Jahr 2020 gab es insgesamt einen deutlichen Einbruch beim BIP, nämlich neun Prozent, und damit den gravierendsten Absturz in der Nachkriegsgeschichte.

Doch wie lässt sich nun der neuerliche Wirtschaftsaufschwung Italiens erklären? Oftmals heißt es, es hinge mit den strengen Corona-Regeln zusammen, die Italien bereits seit dem Ende der Sommerferien 2021 kenne. In Deutschland griffen diese – offensichtlich dem Wahlkampf geschuldet – erst weitaus später. Dennoch: Ende Dezember 2021 meldeten Italiens Behörden rund 98.000 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. Italien wurde aus deutscher Perspektive vom Impfmusterland zum Hochrisikogebiet.

Womöglich liegt es am Europäischen Wiederaufbaufonds: Italien erhält in Summe 191,5 Milliarden Euro – davon 68,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und den Rest in Form von Krediten. Das Geld soll zu 70 Prozent zwischen 2021 und 2022 ausgezahlt werden, die restlichen 30 Prozent im Jahr 2023. Aber laut dem Handelsblatt (Stand Oktober 2021) „kommt die Maschinerie für die Projektvergabe jedoch erst langsam in Gang. Ausschreibungen für wichtige Großprojekte gibt es noch keine. Italien und auch Frankreich nutzen die Hilfen aus Brüssel bislang vor allem, um bereits bestehende Projekte zu fördern.“ Das Wirtschaftswachstum in Südeuropa nehme zwar Fahrt auf. Die EU-Fonds hätten daran aber nur einen sehr geringen Anteil.

Schauen wir nach Frankreich: Im Jahr 2020 betrug das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts dort rund minus 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für das Jahr 2021 wird das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts auf rund 6,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr prognostiziert.

Und Spanien? Im Jahr 2020 betrug das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Spanien rund minus 10,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für das Jahr 2021 wird das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Spanien auf rund 5,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr prognostiziert.

Interessant in Deutschland beim Plus von 2,7 Prozent: Etwa 0,5 Prozent werden dem Impfhersteller Biontech zugerechnet. Von einem „Biontech-Effekt“ ist gar die Rede. Das Unternehmen verhelfe der Wirtschaft zum Aufschwung. Führende Ökonomen sind überzeugt, das deutsche Wirtschaftswachstum 2021 wäre ohne den Impfstoff-Hersteller Biontech deutlich kleiner ausgefallen.

Dazu kommt aber: Angeheizt von gestiegenen Energiepreisen stieg die Inflationsrate in Deutschland 2021 deutlich. Die Verbraucherpreise legten im vergangenen Jahr im Schnitt um 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Zieht man also in Deutschland die Inflationsrate ab – sie lag 2020 noch bei einem Plus von 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2019 – so dürfte der „Konjunkturaufschwung“ noch weitaus geringer ausfallen.

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